Verliebt Ins Leben2 Filmstill

Zwischen allen Stühlen …

Verliebt Ins Leben2 Filmstill
Szene aus dem Film „Verliebt ins Leben“


Robbi Heim mit Hobby Reim. Verliebt ins Leben – auch wenn es manchmal schmerzt: Vor zehn Jahren starb der großartige Musikclown und Meister des Schüttelreims Christoph Janz. Eine Veranstaltung im Berliner Sputnik-Kino erinnerte an ihn.

Es sagte noch die Laus eben:
„Ich möcht’ mich auch mal ausleben.“
Doch warse tot, die Laus, eh’se
konnte, das nennt man Auslese.
(Christoph Janz)

Es ist heiß, fürchterlich heiß, und zu spät bin ich außerdem. Ich haste an einem späten Sonntagvormittag im August durch ebenso staubige wie trockene und obendrein menschenleere Kreuzberger Straßen, hie und da von den Blicken glasiger Obdachlosenaugen begleitet, da und dort von einer neuen Idee des öffentlichen Bauens mitten im Lauf hart gestoppt. Mist. Das Smartphone meinte doch, es seien nur 20 Minuten. Die sind aber schon um.

Trau keinen Dingen, die agieren, ohne dass du siehst, wo sie ihr Hirn haben, ließ Joanne Rowling den alltagsweisen Familienvater und Muggelfreund Arthur Weasley vor bösem Zauber warnen. Ach, herrje, aber, vielleicht hat das Ding ja gar kein Hirn. So. Nun bin ich wohl angekommen. 

Oben höre ich es schon klatschen – ja, ein Kino im dritten Hinterhof und fünften Stock. Alle sind schon da, nur ich nicht. Nicht, dass ich so wichtig wäre, aber stören möchte ich doch nicht und zu spät kommen – na, komm, zwei Minuten habe ich noch – und schon betrete ich die dunklen, aber leider auch nicht kühlen Räume des Sputnik, höre schon La Monas lautes Klatschen und Lachen. Für all die tollen Filme, die da auf Plakaten angekündigt werden, habe ich keine Zeit. 

La Mona – das ist der Künstlerinnenname der in Ulm geborenen Christiane Seitter, der Flamencotänzerin, die 13 Jahre lang mit Christoph Janz alias Robby Heim zusammengelebt hat und gleich neben ihrem verstorbenen Mann und ihrer inzwischen zur Wirtin der Kollektivkneipe Tristeza, dem „feuchtfröhlichen Zuhause für Punks, Queers, Hausbesetzer*innen, Zecken und sonstigem Lumpenproletariat“ in der Pannierstraße in Neukölln avancierten Tochter Lilly auf der Leinwand zu sehen sein wird.

Dokumentarfilm über ein Familienleben

Noch ein Tütchen salziges Lakriz und dann geht’s auch schon los. Ich reihe mich ein in die Schlange der durch die Saaltür Drängenden: Es ist rammelvoll, die meisten kennen einander. Die Sitzreihen im Kino sind von kleinen Mäuerchen begrenzt, was dem Kino die leichte Anmutung eines Partykellers aus lang vergangenen Spätsiebzigerjahren verleiht; da baute man sowas – mit Tresen und Fototapete – in die tristen Neubausiedlungen mit ihren strikten Bauvorschriften, die jede Idee schon im Keim ersticken ließen, ein. 

Im Kino ist es heiß, es gibt eine kurze Begrüßung – neben La Mona und Lilly steht die Regisseurin des Filmes, Jacqueline Görgen, die kurz von dessen Zustandekommen erzählt. La Mona und Jacqueline hatten ihre Kinder in derselben Kita, sahen sich also regelmässig und erzählten einander dieses und jenes. Und so entstand die Idee zu einem Dokumentarfilm über das Familienleben von Christoph, Christiane, Lilly und einem Tumor zwischen Wohnung, Bühne und Klinik. 

„Wo steckt der Sinn?“

Gleich zu Beginn des Films stellt La Mona eine der zentralen Fragen des Films: „Warum bin ich in so ’ne Lebensgeschichte reingerutscht, die überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was ich leben will? Wo steckt der Sinn? Das würde ich gerne wissen.“ 

La Monas Gesicht ist angeschnitten in Großaufnahme zu sehen. Sie wendet sich jetzt direkt an die Kinozuschauer:innen: „Falls jemand es weiß, falls jemand diese Frage beantworten kann …“ Lachen im Publikum. Ein Lachen, das sich speist aus der allzu guten Bekanntheit mit dieser Frage, die sich die meisten wahrscheinlich irgendwann in ihrem Leben mal stellen, und aus dem Wissen heraus, eben auch kein Experte für das Leben zu sein. 

Ein Freund von mir sagte mal, das Leben sei eine Maschine, die man auf dem Dachboden finde. Zweck unbekannt. Funktionsweise unbekannt. Ein ganzes Leben tüftele man daran herum, um sie schließlich – immer noch ratlos – der nächsten Generation zu übergeben. 

Noch während ich mich an dieses Bild erinnere, bietet La Mona von der Leinwand her doch so etwas wie eine Antwort an: „Oder ist es einfach Teil und Charakter vom Leben, dass man es nur ab und zu mal, in Momenten, weiß. Camaron de la Isla, einer der größten spanischen Sänger der neuen Zeit hat gesungen ‚Enamorao de la vida que a veces duele‘, also ‚Verliebt in das Leben, obwohl es manchmal schmerzhaft ist‘.“ 

Schnitt. 

Verliebt ins Leben, das ist die Aufgabe

Und da sind wir wieder mitten in diesem Leben, von dem wir nicht lassen können, nicht lassen können wollen, nicht lassen können sollen trotz allen Leids, trotz allen Schmerzes, aller Ungerechtigkeit und all der Scheiße, die uns aufschreien und verzweifeln lässt. Verliebt ins Leben – das ist keine Feststellung, sondern eine Aufgabe. 

Wir sehen die Bilder, die sich durch eine und auf einer sich drehenden Glastür bilden, die Tür einer Klinik. Der weiße Türrahmen versperrt immer wieder den Blick auf drei im Raum dahinter stehende Menschen. Ich erkenne Christoph und Christiane. Im Hintergrund, weit weg, aber doch präsent, das Heulen von Martinshörnern. 

Schnitt. 

Genau dort, wo eben noch, vor der Drehtür, Christiane im dunklen Raum saß, sitzt nun Christoph, genau gleich im Bild angeordnet, in einem hellen Raum. Und an die Stelle einer spanischen Liedzeile tritt ein Schüttelreim: „Muss ich erst vor Gier beben, bevor die mir ein Bier geben?“ Das Tiefe und das Banale, der Schmerz und der Humor, ein Humor nah am Kalauer und gern darüber hinaus, von dem La Mona im Anschluss an die Filmvorführung sagen wird, dass er sie und Christoph als Paar zusammengehalten habe durch die Krankheit hindurch und bis in den Tod von Christoph hinein. 

Der Unterschied von „b“ und „g“

Christophs Humor lebt von der Lust an Sprachspielen. Hier sitzt er nun in der Klinik und demonstriert die Wirkung des Tumors, der ihm auf den Gaumen drückt. Eines Tumors am Ende der Wirbelsäule, inoperabel und ständig wachsend. Hier im hellen Klinikraum sitzend demonstriert Christoph, wie schwer es ihm fällt, „b“ und „g“ auseinanderzuhalten: „Klingt ja schon nicht mehr schön. Das ist, was mich beeinträchtigt und auch so (er fasst sich an den Kopf) psychisch einfach fertig macht.“

„Wie ein Bonbon am Gaumen“, meint die Stimme einer Ärztin, die man im Bild nicht sieht, und Christoph stimmt zu. Er probiert k, i, g durch, dann wendet sich die Kamera der jungen Ärztin zu, die meint, das könne ein „Aufblähen des Tumors unter ansprechender Therapie sein“, aber auch ein Tumorprogress. „Das lässt sich schwer beurteilen.“

Diese Unsicherheit prägt den ganzen Film, weil er den Alltag von Christoph und Christiane prägt. Es gibt kein Muster, keine Regieanweisung, kein Skript für diesen Film, für dieses Leben. Nicht mal medizinisch: „Es ist ja so, dass niemand“ – und nun holt die Ärztin tief Luft und betont das folgende Wort – „Erfahrungen mit Chordomen [so nennen sich diese Tumore] hat, weil es die so selten gibt.“ 

Der Papierpapagei hinter der Zupfbox

Schnitt auf Christiane, die konzentriert zuhört. Der Film arrangiert seine Bilder sehr sorgfältig: Christoph vor weißer Wand, hinter ihm, genau auf Augenhöhe, ein schwarzer Knopf, der mal größer, mal kleiner hinter ihm hervorlugt, die Ärztin neben großem medizinischem Gerät und Christiane verloren im Durcheinander, das so ein Klinikbüro zu bieten hat: Kalender, Telefon, Kästen mit Einmalhandschuhen und Tüchern.

Im Rückschnitt dann auf die Ärztin ist mehr Gruscht zu sehen, nicht nur der medizinische Apparat, ein Papierpapagei, der hinter einer Zupfbox mit grünen Einmalhandtüchern steckt, eine blauen Plastikflasche, die in einem weißen Becher steckt. Auch die Ärztin, sagt das Bild, muss Unsicherheit und Unwissen leben und kommunikativ vertreten. Die Autorität des ersten, sie einführenden Bildes, das Medizin als Sicherheit von Apparaten zeigte, ist im zweiten zurückgenommen. 

Der filmische Schnitt lässt Christoph auf die Sorgen der anderen musikalisch reagieren: Wir sehen ihn in seiner Bühnenrolle als Robby Heim mit Brille, Bauch und Hohlkreuz in rosa Rüschenhemd und schwarzen Jacket, wie er den Bogen auf einer Saite seiner Geige tanzen lässt. „Schau mich bitte nicht so traurig an. Das halt ich nicht aus. Das kann ich nicht leiden …“, singt er. 

Morgen ist zu spät

Das lyrische Ich dieses Songs bleibt jedoch nicht bei der Abwehr der Zumutung des Mitleids der anderen stehen: „Komm doch mal rüber, rüber zu mir. Oder wär‘ es Dir lieber, ich käme zu Dir. Ich bitte Dich, komm heute noch. Morgen ist zu spät.“

Der Film endet mit der Einschulung von Lilly. Mit großen blauen Augen und blaurosa Tornister sitzt sie unter den anderen Kindern und singt ein Lied. Christoph und Christiane schauen zu. Christoph filmt mit einem kleinen Camcorder. In seinem Gesicht spiegeln sich Freude und Anstrengung gleichermaßen. 

Als das Lied der Kinder endet, nimmt er zwei Finger in den Mund und versucht zu pfeifen. Gewohnheit. Geht ja nicht mehr. Enttäuschung, Müdigkeit, Frust, Sich-am-Riemen-Reißen und eine große Sehnsucht: All das spiegelt sich in dem sich wegdrehenden Gesicht. Wie schön wäre es, wenn … Er umarmt Christiane: „Ihre Klasse – und ich war dabei. Das war mir wichtig.“

„Zeigt diesen Film!“

Ich frage mich, warum diesem Film, der in seiner großen Nähe zu seinen Protagonist:inn:en emotional tief berührt und ästhetisch traumwandlerisch sicher ist, nie eine Chance gegeben wurde, ein großes Kino zu erreichen. In Konstanz haben wir ihn am 16. Mai 2014 im Scala-Kino (ja, das gab’s damals noch … lang ist’s her) gezeigt in einer Kooperation von Universität und Hospizverein, im November desselben Jahres dann noch einmal im evangelischen Gemeindezentrum von Litzelstetten. 

Jacqueline Görgen erinnert sich, als ich sie in Berlin darauf anspreche. Aus ihrer Stimme klingt immer noch verständliche Bitterkeit gegenüber einem Festivalbetrieb, der dem Film keine Chancen gab. Über die Festivals geht es in der Regel ins Kino. 

Der Autor tritt zur Seite und ruft ins Publikum: Hey, Kinos! Zeigt diesen Film! Der ist verdammt gut gealtert, trifft mitten ins Herz und mitten in den Kopf.

„Ich bin froh“, sagt La Mona am Ende des Filmabends, „dass wir dieses Dokument haben.“ Es endet mit dem Lied der Gosh-Brothers, jenes Musikkomikerduos, das Christoph Janz mit Helmut Nünning gemeinsam betrieben hat: 
Noch sind wir hier.
Sind noch nicht weg.
Keine Angst.
Noch sind wir da.
Es könnt passier’n, vielleicht gehn wir spazier’n.
Doch noch sind wir da.
Überlegt es Euch gut, gut, gut,
denn was Ihr auch tut, tut, tut,
ob Ihr denkt oder lacht oder macht,
wir wünschen Euch
gute Nacht.

Und auch, nachdem die Musikanten die Bühne verlassen haben, hört das Lied nicht auf, sondern spielt immer, immer weiter.

Text: Albert Kümmel-Schnur / Fotos: Filmstills von „Verliebt ins Leben“, mit freundlicher Genehmigung der Regisseurin Jacqueline Görgen 

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