„Anbindung ans Wasserstoff-Kernnetz zwingend nötig“. So überschrieb die Stadt Konstanz kürzlich eine Medienmitteilung. „Für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft (…) und für den Umbau unserer Energieversorgung“ sei ein Anschluss „unerlässlich“, zitiert die Mitteilung den Oberbürgermeister: Konstanz dürfe nicht abgehängt werden. Doch wer braucht hier wie dringend Wasserstoff?
Bislang wird Wasserstoff als Grauer Wasserstoff weitgehend aus Erdgas und Kohle gewonnen. Dabei werden große Mengen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. Jedoch kann das Gas auch durch Elektrolyse aus Wasser gewonnen werden. In diesem Fall entsteht als Abfallprodukt kein Kohlendioxid, sondern reiner Sauerstoff. Wird die Energie für die Wasserspaltung zudem aus Windkraft, Sonnenlicht oder anderen erneuerbaren Quellen gewonnen, ist dieser Grüne Wasserstoff klimaneutral.
Grüner Wasserstoff gilt deshalb als Energieträger der Zukunft. Kaum beachtet wird dabei, dass etwa durch Lecks oder unvollständige Verbrennung in die Atmosphäre freigesetzter Wasserstoff ein noch viel schädlicherer Klimakiller ist als das beim Verbrennen fossiler Brennstoffe entstehende CO2. (Mehr dazu finden Sie in einem früheren seemoz-Bericht).
Das Wasserstoff-Kernnetz
Für den Transport von Wasserstoff soll bis 2032 ein rund 9700 Kilometer langes Wasserstoff-Kernnetz in Betrieb genommen werden. Teilweise können bereits bestehende Erdgasleitungen umgerüstet werden, es müssen aber auch neue Pipelines gebaut werden. Das Kernnetz soll wichtige Erzeugungs- und Verbrauchszentren sowie Importpunkte von Wasserstoff miteinander verbinden.
Das Wasserstoff-Kernnetz wird kein Staatsunternehmen sein, sondern von den überregionalen Gastransportunternehmen gebaut und betrieben. Deren Dachverband, die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber FNB, hat den Netzplan ausgearbeitet. Jedoch fehlen insbesondere für die geplanten Neubaustrecken oft noch Unternehmen, die diese errichten und betreiben wollen. Auf wenigen Strecken haben auch regionale Gasanbieter Anteil am Kernnetz. Der Bund ist nur insoweit beteiligt, als er nach Genehmigung der Vorhaben durch die Bundesnetzagentur den Netzaufbau mit kräftigen Finanzspritzen unterstützt.
Weiße Flecken im Südwesten
Schaut man sich die Planung der Wasserstofftransportrouten näher an, wird schnell klar, dass die Südwestecke Deutschlands nicht in das geplante bundesweite Kernnetz eingebunden ist. Was nur logisch ist, weil Wasserstoff als Erdgasersatz am dringendsten von der Stahlindustrie und Großchemie benötigt wird, die es hier kaum gibt. Mit zwei Ausnahmen: Am Hochrhein ist mit der H2@Hochrhein eine Leitung von Grenzach-Wyhlen bis Waldshut vorgesehen, die auch Abzweige in die Schweiz haben soll. Die Idee dahinter: Der Energieversorger Badenova will in Albbruck und Rheinfelden Elektrolyseanlagen bauen, aus denen die Aluminium- und Chemieindustrie an Hochrhein mit Wasserstoff beliefert werden kann.
Mit der RHYn Interco hat es im Regierungsbezirk Freiburg noch eine weitere Trasse ins Kernnetz geschafft. Diese grenzüberschreitende, aus dem elsässischen Fessenheim kommende Leitung, an der neben Badenova auch der französische Netzbetreiber GRTgaz und der Fernleitungsnetzbetreiber terranets bw beteiligt sind, soll auf deutscher Seite Firmen zwischen Freiburg und Kehl mit in Frankreich erzeugtem Wasserstoff versorgen.
Kein Anschluss für Konstanz?
Nicht ans Wasserstoff-Kernnetz angebunden zu werden bedeutet aber nicht, dass etwa der Landkreis Konstanz überhaupt nie Wasserstoff bekommt. Er muss nur länger warten. Das H2-Kernnetz wird parallel zur weiter bestehenden Erdgasversorgung aufgebaut. Wer etwa in Waldshut mit Erdgas heizt, kann dies auch nach Inbetriebnahme von H2@Hochrhein weiter tun.
Erst 2040 ist damit landesweit Schluss. Ab dann will der in Baden-Württemberg maßgebliche Betreiber von Ferngasleitungen, die EnBW-Tochter terranets bw, kein Gas mehr liefern. Damit werden alle Gasleitungen jedoch frei für die Umrüstung auf den Transport von Wasserstoff. Auch Singen, Radolfzell und Konstanz werden dann, wie bislang mit Erdgas, mit Wasserstoff beliefert werden können.
Allerdings, weiß Josef Siebler von den Stadtwerken Konstanz, würden die bisherigen Versorgungsleitungen bei einer Umstellung auf Wasserstoff in der Lastspitze nur noch etwa 80 Prozent der jetzt möglichen Leistung für Erdgas übertragen können. Mit der bisherigen Leitungskapazität könnte die Region an Spitzentagen also nicht mehr im bisherigen Umfang mit Energie versorgt werden.
Grüner Wasserstoff als knappes Gut
Nicht nur bei den Leitungskapazitäten, auch bei der Erzeugung von klimaneutralem Grünen Wasserstoff zeichnet sich ab, dass die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigen wird – vor allem dann, wenn Verkehr und Gebäude miteinbezogen werden.
„Sowohl die inländische H2-Produktion als auch die H2-Importe werden kurz- bis mittelfristig nicht mit der stark steigenden H2-Nachfrage Schritt halten können“, betonen etwa die Forscher Frank Merten und Alexander Scholz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in einem kürzlich veröffentlichten Bericht. Deshalb halten die Stadtwerke Konstanz den Einsatz von Wasserstoff für die Gebäudeheizung weiterhin für unrealistisch und plädieren dafür, dort wo keine Fernwärmenetze geplant sind, auf Wärmepumpen umzurüsten.
Farbenlehre Wasserstoff
Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Die Kennzeichnung mit Farben erfolgt aufgrund seines Ursprungs.
– Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse, also die Aufspaltung von Wasser in seine Komponenten Sauerstoff und Wasserstoff, hergestellt. Stammt der dazu benötigte Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Windkraft, Wasserkraft oder dem Sonnenlicht, ist die Herstellung von grünem Wasserstoff CO2-neutral.
– Türkiser Wasserstoff entsteht durch Methanpyrolyse. Dabei wird das im Erdgas enthaltene Methan CH4 in Wasserstoff H2 und festen Kohlenstoff C gespalten. Wenn die zur Methanpyrolyse benötigte Energie aus erneuerbaren Energien stammt, ist die Erzeugung von türkisem Wasserstoff klimaneutral.
– Grauer Wasserstoff: Hier werden fossile Brennstoffe wie Erdgas, Kohle oder Öl mittels Wasserdampf in H2 und CO2 aufgespalten. Letzteres geht in die Atmosphäre. Etwa 90 Prozent des in Deutschland verbrauchten Wasserstoffs entstehen auf diesem klimaschädlichen Weg.
– Blauer Wasserstoff entsteht wie grauer Wasserstoff. Allerdings gelangt das entstandene CO2 nicht in die Atmosphäre, sondern wird unterirdisch eingelagert.
Klimaneutral aus der Wüste?
Bisher sehen die Pläne der Bundesregierung vor, Wasserstoff für den heimischen Bedarf vorrangig aus dem Ausland zu beziehen, weil er beispielsweise in Nordafrika, Namibia und anderen sonnenreichen Ländern günstiger und reichlicher produziert werden könne als hierzulande.
Allerdings werden für die Herstellung von einem Kilogramm Wasserstoff 20 bis 30 Liter Meerwasser benötigt, das mit hohem Energieaufwand entsalzt und gereinigt werden muss. Zudem muss der Wasserstoff dann zu Ammoniak verflüssigt und per Schiff nach Europa transportiert werden, wo aus dem Ammoniak wieder Wasserstoff wird. Auch das kostet Energie.
Umso wichtiger ist es nach Ansicht der Wuppertaler Wissenschaftler, die Abnehmer:innern zu bevorzugen, die Wasserstoff zwingend brauchen, weil ihre Prozesse nicht anders dekarbonisierbar oder elektrifizierbar sind. „Dazu zählen die Herstellung von Ammoniak, Primärstahl, Grundstoffchemikalien und ausgewählten Raffinerie-Produkten sowie teilweise die Erzeugung von Hochtemperatur-Prozesswärme und gegebenenfalls der Schwerlastverkehr“, schreiben Merten und Scholz.
Diese Anwendungen künftig mit Vorrang zu bedienen helfe, die Wasserstoff-Nachfrage zu begrenzen – und damit auch die erforderlichen Erzeugungs- und Importmengen.. „Ein umfangreicher Einsatz von Wasserstoff im Gebäude- und Verkehrssektor ist dagegen aus heutiger Perspektive nicht zu empfehlen.“
Wasserstoff für die Industrie oder Erdgas für die Haushalte?
Zurück zur Ausgangsfrage. Für die Standorte Konstanz und Singen ist der Anschluss ans Wasserstoff-Kernnetz keineswegs unerlässlich. Energiefresser wie Constellium („Alu“) oder Fondium (vormals Georg Fischer) in Singen werden in den Bereichen, die sich nicht von Gas auf elektrische Energie umstellen lassen, auch bis 2040 noch mit Erdgas wirtschaften. Andere Betriebe wie etwa die Aluminumschmelze Stockach sind technisch noch gar nicht bereit für die Umstellung auf Wasserstoff.
Da es ab dem Knotenpunkt bei Stockach nur jeweils eine Leitung nach Singen und nach Konstanz gibt, eine Leitung aber nicht gleichzeitig Wasserstoff und Erdgas transportieren kann, würde eine Aufnahme ins Kernnetz bedeuten, dass neue Pipelines gebaut werden müssten – oder spätestens ab 2032 kein Erdgas mehr nach Konstanz und Singen kommt. Wer kann das ernsthaft wollen?
Ampel-Bashing trifft die Urangst der Randlage
In konzertierter Aktion beklagen die neuen Hauptgeschäftsführerin der IHK Hochrhein-Bodensee, Katrin Klodt-Bußmann, der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung, der Landkreis Konstanz und Oberbürgermeister Uli Burchardt, der Südwesten käme in punkto Wasserstoffversorgung zu kurz. Und fordern von der Bundesregierung, auch den Landkreis Konstanz ans Wasserstoff-Kernnetz anzuschließen.
Indes ist hier die Bundesregierung die falsche Adresse. Die Forderung nach einer zusätzlichen, nur bis 2040 nötigen H2-Pipeline wäre vielmehr an den Fernleitungsbetreiber terranets bw oder die regionalen Gasverteiler zu richten. Denn die, nicht irgendein Staatsbetrieb, hätten die Leitung zu bauen. Der ökonomische Unsinn einer solchen Forderung ist offensichtlich.
Wer sie dennoch erhebt, dem geht es nicht um die Versorgung mit Wasserstoff. Sondern ums Ampel-Bashing mithilfe der Urangst, unsere Region käme zu kurz. Dergleichen Klage über die Randständigkeit, zuletzt vor allem die Verkehrsanbindung betreffend, ist in Konstanz allerdings seit dem Anschluss an Vorderösterreich anno 1548 gang und gäbe. Wir sollten sie deshalb nicht allzu ernst nehmen.
Text: Ralph-Raymond Braun / Fotos, Grafiken: Pressebilder des Unternehmens terranets bw und des Forschungszentrums Jülich (© Limbach)
Schreiben Sie einen Kommentar