Der Tätigkeitsbericht 2020–2023 des Beauftragten für Menschen mit Behinderung Stephan Grumbt ist ein sehr detaillierter Spiegel dessen, was in den letzten Jahren in der Stadt in Sachen Inklusion geschehen ist. Welche Maßnahmen wurden getroffen, und wie wirken sich diese auf die Bürgerinnen und Bürger in Konstanz aus?
Hier eine Medienmitteilung der Stadt Konstanz:
In Konstanz leben aktuell insgesamt 9.842 Schwerbehinderte. In den vergangenen Jahren fanden in verschiedenen Bereichen in der Stadt Inklusionsprojekte statt. So wurde am 27. Juli 2020 ein für RollstuhlfahrerInnen geeignetes Taxi in Betrieb genommen. Zudem wurde ein zweites Blindenrelief im Stadtgarten installiert, und die Theatergruppe der Caritas inszeniert bereits seit vielen Jahren Stücke für die ganze Familie.
Auch im Bereich der Kommunikation gibt es regelmäßige Veranstaltungen zum Thema Inklusion. 2019 fand anlässlich der Internationalen Tage der Menschen mit Behinderung eine Open-Air-Veranstaltung statt. Seit September 2019 erscheint bei Bedarf eine Kolumne im Amtsblatt mit wichtigen Informationen für Menschen mit Behinderung. Auch der Internetauftritt auf Facebook und die Webseite www.konstanz.de/leben-mit-handicap werden gepflegt und neu überarbeitet.
Ein harter Einschnitt war die Corona-Pandemie. Menschen mit Behinderungen waren mangels digitaler Infrastruktur von der sozialen Isolierung besonders betroffen. Grumbt kritisiert in seinem Bericht zudem, dass es an bezahlbaren, barrierefreien Wohnungen mangle und mehr für die Inklusion im gesellschaftlichen Leben getan werden müsse. Dafür brauche es mehr Bereitschaft, sich der Probleme bewusst zu werden und Lösungen umzusetzen.
Ein laufendes Großprojekt ist der Umbau des Bahnhofplatzes unter Berücksichtigung der Barrierefreiheit. Weitere Maßnahmen sind beispielsweise die Bereitstellung barrierefreier Toiletten, die Querung von Fußwegen und Straßen sowie der Umbau von Bushaltestellen. An all diesen Projekten wirkt Stephan Grumbt mit. Zudem ist er im sozialen Bereich beraterisch tätig, unter anderem im Freundeskreis Klinikum Konstanz, dem Verein „Konstanz hilft!“ und allgemein für BürgerInnen bei Problemen im Zusammenhang mit Behinderung.
Aus den 2017 bereitgestellten finanziellen Mitteln (1 Mio.) aus der Cerlowa Stiftung sind für 2024 und die Folgejahre noch 441.368,16 Euro für inklusive Projekte vorhanden. Zusätzlich sind Förderungen u.a. für das aktuelle Projekt „Toilette für Alle“, „2. Hilfe im Krankenhaus“ und „Radeln ohne Alter“ geplant.
Der komplette Bericht ist online unter konstanz.sitzung-online.de abrufbar.
Text & Bild: Stadt Konstanz / red.
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Zur obigen Erklärung der Stadt fallen einem bei der Lektüre des kompletten Berichts von Stephan Grumbt noch einige weitere Überlegungen auf.
Angesichts von rund 10.000 Betroffenen Menschen in Konstanz – das sind knapp 12 Prozent der circa 86.500 in Konstanz lebenden Menschen – stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die Inklusion für Stadtverwaltung und -politik tatsächlich hat. Wenn es im Bericht heißt, der bundesweite Trend in Gemeinden mit mehr als 50.000 EinwohnerInnen gehe immer stärker in Richtung eines hauptberuflichen Behindertenbeauftragten, ist das angesichts der Fülle der Aufgaben und der absehbaren demografischen Entwicklung ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die Verwaltung sollte dringend in sich gehen, diese bisher ehrenamtliche Stelle bald in eine „richtige“ Stelle für eine/n bezahlten Behindertenbeauftragte/n umzuwandeln. Das würde den Stelleninhaber*innen in ihrem Kampf mit der Verwaltung deutlich mehr Gewicht verleihen.
In dieselbe Kerbe schlägt der Bericht mit folgender Bemerkung: „Die Richtlinie für den Beirat für Menschen mit Behinderung wurde aufgrund der vielfältigen Aufgaben angepasst und muss meines Erachtens – wie in anderen Gemeinden in Baden-Württemberg – in Richtung ‚Inklusionsrat‘ umstrukturiert und umgewandelt werden. […] Ein zukünftiger Beteiligungsprozess von unterschiedlichen Akteuren – auch aus Politik und Verwaltung – muss unter der Leitfrage diskutiert werden, wie sich die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in Konstanz verändern lässt, damit sie überall gleiche Chancen haben.“
Als Mensch ohne Behinderung vermag man sich die zahlreichen Fallstricke, die mobilitäts- oder anderweitig eingeschränkten Menschen zwischen die Beine geworfen werden, kaum vorzustellen. Denken wir nur an eine barrierefreie Mobilität – wer einmal ein paar Wochen mit Gipsbein und Krücken herumlaufen musste, weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, in den Bus und wieder hinaus zu kommen, wie rutschig der Boden im Supermarkt an Regentagen sein kann und wie steil viele Rampen sind, auch wenn sie normgerecht angelegt wurden.
Die Grundüberlegung muss aber sein, das Umfeld so zu gestalten, dass alle Menschen – mit oder ohne Behinderung – gleich problemlos am Sport teilnehmen, ins Museum, in die Kita oder Schule, ins Theater, Restaurant, zum Arzt oder zu Freunden gelangen können. Und nicht zuletzt ist da die Frage: „Was brauchen wir, damit Kinder mit Behinderungen, die vielfach öfter von Gewalt betroffen sind, gestärkt und geschützt sind?“
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Die Entwicklung der letzten Jahre stimmt Grumbt scheint’s eher skeptisch. Die schwer erkämpfte Überzeugung, dass „Menschen mit Behinderung wie alle anderen am Leben teilhaben können und dürfen“ sei plötzlich wieder „einer Art Fürsorgegedanken zum Opfer“ gefallen, das Menschen in solche „in den Einrichtungen und die Menschen außerhalb davon“ einteilt und so den Leitgedanken der Gleichberechtigung aller aufkündigt. (Was Menschen mit Behinderung droht, wenn die zutiefst unsozialen, sozialdarwinistischen Rechten größeren politischen Einfluss gewinnen, mag mensch sich schon gar nicht vorzustellen.)
Der Behindertenbeauftragte formuliert die Grundfrage, die sich uns allen stellt, in seinem Bericht jedenfalls so: „Was kann die Stadt dazu beitragen, dass jeder überall dabei sein kann?“ Die reflexartige Antwort „Nein, das ist unmöglich“ will er auf keinen Fall gelten lassen.
Text: O. Pugliese
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