Weil der Angeklagte zur Tatzeit minderjährig war, fand der Prozess gegen ihn am vorletzten Montag unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm Nötigung, Sachbeschädigung und Gewaltanwendung vorgeworfen. Hier eine kurze Zusammenfassung des Ergebnisses und die Stellungnahme des Beschuldigten vor Gericht.
Die Tür blieb zu. Und doch sorgte eine kleine Gruppe am Morgen des 11. März vor dem Konstanzer Amtsgericht für Aufmerksamkeit: Sie protestierte mit Transparenten gegen den Prozess, der zur gleichen Zeit im Gebäude gegen ein Mitglied der Letzten Generation Konstanz abgehalten wurde.
Die Staatsanwaltschaft hatte dem Aktivisten Tino Esposito von der Konstanzer Gruppe der Letzten Generation die Beteiligung an zwei Blockaden vorgeworfen: Einerseits Mitte Februar 2023 die Sperrung der Bodanstraße auf der Höhe des Lago, die deutlich kürzer ausgefallen war als die seit Monaten dort herrschenden Einschränkungen. Und am 11. Juli 2023 die erheblich längere Behinderung des Verkehrs auf der Autobahnbrücke samt Zufahrt ins Paradies.
Im ersten Fall legte die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine „symbolische Blockade“ zur Last, „um für ein konsequentes Einschreiten der politischen Akteure bezüglich des Klimaschutzes zu sorgen“, wie es in einem Schreiben des Oberstaatsanwalts heißt. Und im zweiten Fall habe der „Angeschuldigte, gemeinsam mit 11 anderen, an einer Demonstration der Gruppe „Letzte Generation“ für mehr Klimaschutz“ teilgenommen.
Die langen Sätze der Anklage
Im Februar habe der Angeschuldigte „mittäterschaftlich versucht“, „einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen“.
Und für sein Vorgehen im Juli beschuldigte ihn der Staat, „in einer rechtlichen Handlung gemeinschaftlich einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt zu haben, rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört zu haben, eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt zu haben und einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben“ – was immer auch damit gemeint ist.
Das alles, so das Fazit, sei strafbar als „versuchte Nötigung, Nötigung, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“.
Die Stellungnahme des Beschuldigten
Wie das Jugendgericht auf diese (absurd anmutende) Anklage reagierte, was der Verteidiger dazu sagte, ob Zeug:innen angehört wurden – all das konnte aufgrund der Nichtöffentlichkeit (Jugendgerichtsgesetz §48) nicht beobachtet werden. Aber dafür liegt seemoz die Stellungnahme vor, die Tino Esposito vor Gericht abgab:
„Die Anklage gegen mich lautet versuchte Nötigung, Nötigung, Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Jeder dieser Anklagepunkte hat Gewalt mit drin. Als ich mich an diesen Tagen dazu entschieden habe, mich auf die Straße zu setzen, hatte ich alles andere im Sinn als Gewalt.
Gewalt im Sinne der Anklage ist es, wenn der Autoverkehr für wenige Minuten nur eingeschränkt vorwärtskommt, weil Menschen friedlich auf der Straße sitzen, um für Klimagerechtigkeit zu demonstrieren. Wenn ich an Gewalt denke, denke ich an Mütter und Väter, die hilflos zusehen müssen, wie ihre Kinder verhungern. In Ostafrika gibt es wegen der jahrelangen Dürre kaum Wasser und keine Ernte. 21 Millionen Menschen kämpfen dort ums Überleben. 250.000 Kinder erreichen nicht das fünfte Lebensjahr.
Diese Dürre ist ohne die von uns, das heißt auch Deutschland, ausgestoßenen Treibhausgase nicht erklärbar; da ist die Wissenschaft sich einig.
In der Verantwortung
Bevor ich mich vor zwei Jahren dem Aufstand der Letzten Generation anschloss, hatte ich keine Perspektive, wie ich am besten weiter protestieren sollte. An Fridays-for-Future-Demonstrationen hatte ich zuvor immer teilgenommen, doch ich merkte, dieser Protest würde wenig erreichen, ginge es so weiter. Ich weiß bis heute, die Menschheit hat nicht mehr lange Zeit, das Ruder rumzureißen. Ich sehe Deutschland klar in der Verantwortung: Es setzt mit den anderen Staaten des globalen Nordens meine Zukunft sowie die Zukunft aller jetzigen Generationen (und der noch kommenden) aufs Spiel, um noch bis zuletzt Profit aus fossilen Energieträgern zu schlagen.
Ich hatte nie die Absicht, jemanden mit meinem Protest zu verletzen. Meine Absicht war und ist es, den Protest friedlich mit anderen Aktivist*innen auf die Straße zu bringen – auch wenn wir nicht mehr die Straße blockieren werden angesichts der Entwicklung unserer Strategie [https://www.seemoz.de/wir-werden-weiter-konfrontieren/]. Deswegen hatte ich mich dazu entschlossen, am 14. Februar mit fünf weiteren Aktivist*innen die Bodanstraße und am 11. Juli mit elf weiteren Aktivist*innen die Europabrücke und Gartenstraße zu blockieren, um gegen die Ungerechtigkeit, die von der Klimakatastrophe ausgeht und die wir vielleicht nicht jetzt, aber in absehbarer Zeit zu spüren bekommen werden, zu demonstrieren.
Die ersten Folgen des Klimawandels haben wir bereits bemerkt. Der Sommer 2023 war der bisher heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen.
Künftig ohne Klebstoff
Was mich an allem jedoch noch mehr empört, ist die Bereitwilligkeit des Rechtsstaats, friedlich demonstrierende Zivilpersonen aufgrund ihres Protests zu kriminalisieren, sogar den Begriff „kriminelle Vereinigung“ im Kontext der Letzten Generation zu verwenden, anstatt die wahren Verbrecher*innen zur Rechenschaft ziehen – nämlich die fossilen Unternehmen und die Politik, die diese immer noch mit Subventionen unterstützt, obwohl nachgewiesen ist, dass dies dem Klima mehr als alles andere schadet.
Um auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, blockierten wir bis Anfang dieses Jahres die Straßen im ganzen Bundesgebiet. Danach hat sich die Letzte Generation entschieden, auf Blockaden zu verzichten, bei denen auch mit Klebestoff gehandelt wird, und den Fokus mehr auf die Konfrontation von Politiker*innen und auf ungehorsame Versammlungen zu richten. Blockaden in der bisherigen Form werden also nicht mehr passieren, ich werde mich auch nie wieder an die Straße kleben. Was aber nicht heißen wird, dass man den Protest, den ich mit allen anderen Aktivist*innen der Letzten Generation vollziehen werde, ignorieren kann.
Denn wir alle sind die letzte Generation vor den Kipppunkten, wir alle werden früher oder später auf das hören und uns damit befassen müssen, was wir als Letzte Generation seit Jahren verlangen, um die Problematik des Klimawandels sozial und gerecht zu bekämpfen. Dazu gehören ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2030, ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets. Dies sind simple und machbare Lösungsansätze.
Es gibt ein Grundgesetz
Da die Bundesregierung sich bisher nicht in der Verantwortung gesehen hat, diese oder ähnliche Ziele zu verfolgen, sehen wir uns als Letzte Generation, die noch etwas vor den Kipppunkten tun kann, gezwungen, unsere Regierung zum Handeln zu bewegen, eben auch mit der Blockade von Straßen.
Als ich mich letztes Jahr zweimal auf die Straße gesetzt habe, war ich gerade siebzehn Jahre alt. Jetzt bin ich achtzehn. Bald bin ich fertig mit dem Abitur. Danach werde ich vermutlich studieren, doch für welche Zukunft? Der Staat, in dem ich lebe, ignoriert das eigene Grundgesetz, Artikel 20a, in dem es heißt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.”
Dieses Gesetz wird nicht beachtet. Ginge es dem Staat und der Regierung darum, die zukünftigen Generationen zu schützen, und würde er dies durchsetzen, hätte ich mich niemals auf die Straße gesetzt.“
Das Urteil
Im Verlauf der Verhandlung wurde das Verfahren im ersten Fall – der Blockade im Februar – ohne Auflagen eingestellt. Lag es daran, dass die Auswirkungen überschaubar waren? Anders das Urteil über die zweite, länger andauernde und mit mehr Vorwürfen behaftete Blockade der B33 vor der Rheinbrücke im Juli 2023: Hier forderte die Staatsanwaltschaft die Ableistung von 60 Arbeitsstunden als Strafe, weil sie in Espositos Stellungnahme keine Anzeichen von Reue oder Einsicht erkennen konnte.
Heraus kam, gewissermaßen als Kompromiss, die halbe Anzahl an Sozialstunden; der Deliquent wird also 30 Arbeitsstunden absolvieren müssen. Und damit verbunden die Einstellung des Verfahrens.
Ob dieses Urteil Auswirkungen auf die Prozesse gegen die anderen Beschuldigten der letztjährigen Aktionen der Letzten Generation hat, bleibt abzuwarten. Hier stehen die Verhandlungstermine noch nicht fest.
Text Stellungnahme: Tino Esposito, übriger Text: Pit Wuhrer / Foto oben: Astrid Lindmar; Foto vom Protest Februar 2023: Pit Wuhrer; Foto von der B-33-Blockade: Letzte Generation.
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