Abriss Fischmarkt 1984 © Nebelhorn 1984

Vorschnelle Räumung

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Abriss Fischmarkt 1984 © Nebelhorn 1984

Mitte August 1984, vor vierzig Jahren,  ließ die Stadt Konstanz mit einem Großaufgebot an Polizei das Areal am Fischmarkt räumen; es war vier Jahre zuvor von einer bunten Bewegung besetzt worden. Hier – zur Erinnerung – ein Bericht samt Kommentar, veröffentlicht im Stadtmagazin Nebelhorn im September 1984.

Das ehemalige Zentrum am Fischmarkt – in dem der Fischkult e.V. zu Musik- und Theaterveranstaltungen lud, das Kommunale Kino Filme zeigte, die Arbeitsloseninitiative Beratungen anbot, die Ausländer-AG beratschlagte – ist weg. Abgerissen von einem Stoßtrupp Saubermänner, die das gesamte Viertel für einkommensstärkere Schichten sanieren wollen (…), wird das Gelände vorerst bleiben, was es seit ein paar Wochen ist: Eine Schutthalde.

Die sozial und kulturell tätigen Initiativen hängen derweil in der Luft: Der Fischkult e.V. hat bislang keine Bleibe gefunden und die Arbeitsloseninitiative e.V. sucht immer noch nach Räumen in der Innenstadt. Vorerst will sie ihre Beratungen im Rathaushof fortsetzen.

Die Gemeinderatsmehrheit hat es so gewollt: Als am 28. Juni 1984 zum letzten Mal abgestimmt wurde, erhoben nur die zwei Vertreter der Freien Grünen Liste ihre Hand gegen die Zerstörung der Gebäude und die Rodung der (großen und einstmals geschützten) Bäume.

Der Investor rechnet noch

Die übrigen Fraktionen setzten weiterhin auf ein Geschäfts- und Wohnhaus samt Tiefgarage. Ob daraus was wird, ist derzeit so sicher wie ein Sechsergewinn im Lotto. Die Tiefgarage, in der die Parkplätze der Marktstätte untergebracht werden sollten, ist jedenfalls schon gestorben.

Die Stuttgarter Consulting AG, für die die Konstanzer Verwaltung das Haus in aller Eile (und unter Missachtung einiger rechtsstaatlicher Grundsätze) räumen und abreißen ließ, muß erst im November erklären, ob sie überhaupt bauen will. Wenn nicht, stehen die Planer wieder da, wo sie vor vier Jahren waren: am Punkt Null. 

Da man auch in Stuttgart die Wirtschaftsentwicklung der Konzilstadt verfolgt, werden die jüngsten städtebaulichen Pleiten wie Hussenpassage, Studienresidenz, Hotel Halm oder Parkhaus Laube den Consulting-Managern nicht entgangen sein. Und: Der „große Textiler“, von dem die Consulting, Oberbürgermeister Horst Eickmeyer, SPD-Baudezernent Ralph-Joachim Fischer und die meisten Stadträte seit langem träumen und den sie eigentlich am Fischmarkt haben wollten, baut mit Sicherheit nicht dort, sondern (eventuell) an der Bodanstraße.

Kommentar

(im Original typografisch abgesetzt)

Für überzogene, großmannssüchtige Erwartungen und kleinkarierte politische Hygienevorstellungen („Sauberer isch’s Konstanzerischer“) mußte billiger Wohnraum und die Arbeit zahlreicher Initiativen über die Klinge springen. Auf ein lebendiges Zentrum folgt nun über Jahre hinweg ein Parkplatz: CDU, SPD, BGK [die rechtsextreme Bürgergemeinschaft Konstanz des damaligen faschistischen Stadtrats Walter Eyermann, d.Red.], FDP und FWG haben’s so beschlossen.

Wenn man der Lokalpresse glauben will, hatten die Bürger:innen während der Abbrucharbeiten jedoch ganz andere Sorgen: «Besorgte Konstanzer können aufatmen», hieß es am 23. August im Südkurier. Nein, nicht die Bewohner:innen, die Initiativen, die Nutzer und Besucherinnen der Fischmarkthäuser waren bedroht – die Sorge galt dem «Fischweib»: einem Relief am ehemaligen Fernmeldegebäude. Professor Hans Sauerbruch kleidete seine Ängste in sachkundige Worte: „Es wäre ein sehr großer Verlust für Konstanz, wenn diese Plastik zerstört würde.“

Das ist Konstanz: Fassadendenken, und nichts dahinter. Hauptsache der glitzernde Schein wird aufrechterhalten. Um nichts anderes ging es dem Konstanzer Gemeinderat, als er den Abriß des Zentrums beschloß. Und aus dem gleichen Grunde klemmten sich die ansonsten eher gesichtlosen Bürgermeister Eickmeyer (FWG), Fischer (SPD), Wilhelm Hansen (CDU) hinter ein totgeborenes Projekt.

Was danach geschah


Die Gebäude Salmannsweilergasse 1 und Münzgasse 2 (das ehemalige Fernmeldeamt) waren im August 1980 besetzt worden. Da weder Stadtverwaltung noch Gemeinderat wussten, was sie mit den leerstehenden Häusern samt Innenhof anfangen sollten – ursprünglich war an dieser Stelle ein Parkhaus geplant – akzeptierten sie vorübergehend einen Mietvertrag, den die ESG e.V. ausverhandelt hatte. Rund fünfzig Personen fanden einen billigen Wohnraum, zugleich trafen sich dort viele Initiativen (darunter auch die damalige Freie Grüne Liste).

Im Dezember 1983 beschloss der Gemeinderat, das „Agitationszentrum“ (so der damalige CDU-Fraktionschef Wolfgang Müller-Fehrenbach) abzureißen und ein Geschäftshaus samt Tiefgarage hinzustellen. Dafür forderte ein Investor vier Millionen Mark Zuschuss aus der Stadtkasse, was auch bewilligt wurde. Aufgrund der lange Zeit unklaren Nutzung und des schlicksandigen Untergrunds (einst reichte der See bis an den Fischmarkt) klaffte hier bis in die 1990er Jahre hinein eine Lücke.

Heute befinden sich an der Stelle mehrere Häuser mit fünfstockigem Hauptgebäude, ein Augen- und Botoxzentrum (hauptsächlich für Schweizer Kundschaft), ein Bio-Supermarkt, Arztpraxen, hochpreisige Wohnungen, eine Patisserie, 29 Briefkästen, eine Heilpraktikerschule sowie ein Hinweisschild mit der Aufschrift: „Auf unserem Anwesen ist Betteln verboten!“ Außerdem gehören dazu noch die Zu- und Ausfahrt einer zweistöckigen Tiefgarage, die den Autoverkehr – allen Verkehrsberuhigungshoffnungen zum Trotz – noch lange in die Innenstadt locken wird.  

 

Originaltext und Ergänzungen: Pit Wuhrer / Bilder: Nebelhorn Nr. 40, Sept. 1984

Eine Antwort

  1. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    Ja und der Investor hatte hochgerechnet. Das ist alles zu der Zeit passiert, als ich gerade mit meiner Familie nach Konstanz gezogen war. Viele vom Fischmarkt hatten in der Folgezeit Unterschlupf in der Cherisykaserne gefunden und sind heute noch meine Nachbarn. Manche leben nicht mehr, außer im Herz derer, die sich an sie erinnern. Konstanz hat sich sehr verändert seit dieser Zeit, manches zum Guten, manches zum Schlechten. Aus Nebelhorn wurde seemoz, die Parteienlandschaft ist nicht mehr die Selbe, doch gut zumindest, dass hier in unserer Stadt die Rechtspopulisten bisher noch keine große Macht gewonnen haben. Hoffen wir, dass es so bleibt und tun wir was dafür. Bei den Investoren ist es leider anders, da wird zu viel zugelassen, was nicht im Sinn der Bürger ist, leider auch und gerade heute.

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