Iran Demo Frauen Frieden Freiheit.

Unvergessen: Jina Masha Amini

Ein Kommentar

Iran Demo Frauen Frieden Freiheit.

Vor rund einem Jahr wurde Jina Masha Amini von der iranischen Sittenpolizei verhaftet, weil sie ihr Kopftuch nicht korrekt getragen haben soll. Kurz darauf verstarb sie in „Polizeigewahrsam“. Weltweit wurde dieser Tage an ihren Tod erinnert und auch in Konstanz organisierte Amnesty International eine Mahnwache. Hier die Rede, die dabei gehalten wurde im Wortlaut.

Vor einem Jahr habe ich über das Leid von Jina Amini geschrieben, in den Fängen des Bösen der Islamischen Republik. Der Kugelschreiber roch noch nach Blut und er tut es noch heute. Heute, am Jahrestag der Ermordung von Jina, treffen wir uns als Wächter:innen des vergossenen Bluts und unterstreichen damit: wir geben nicht auf. Verflucht sei dieses unmenschliche System, in dem Gewalt und Unterdrückung profitabel werden. Jina war erst 21 und ist nach Teheran gereist, um ihre Ferien dort mit ihrer Familie zu verbringen. Jina, eine 21-jährige, kurdische Frau wurde in den Gruften der Islamischen Republik getötet, weil sie ihren Hejab „unangemessen“ getragen hat.

Wenn heute jemand anzweifelt, wie wichtig Frauenrechte sind, zeigt ihm eine Bild von Jina. Wenn wir jetzt gleich Kerzen anzünden, mit Bildern von Jina in unseren Händen, um an ihren Tod zu erinnern, sollten wir auch daran denken, dass Jina normalerweise am Leben sein sollte. Sie sollte auf der Marktstätte tanzen können, ihr Haar frei im Wind, mit einem ewigwährenden Lächeln auf den Lippen. Wenn ihr Jinas Tanzvideos gesehen habt, wisst ihr, worüber ich spreche. Diese Leidenschaft zu leben, die in ihren glänzenden schwarzen Augen lodert. Wie können die, die diese Augen für immer geschlossen haben, nachts ruhig schlafen?

Ach, wären wir Menschen doch nicht diese vergesslichen Kreaturen, so wäre diese Welt ein besserer Ort. Wir vergessen, weil wir nicht stark genug sind, dem Schmerz zu begegnen, den wir anderen zufügen. Wie hätten Menschen sonst Momente und Tiefen des unergründlichen Leidens überlebt, in den Vernichtungslagern der Nazis, nach der atomaren Katastrophe von Hiroshima und Nagasaki, bei der Entdeckung des leblosen Körpers eines syrischen Kindes an der griechischen Küste. Wir überleben, ohne zu zerbrechen, wenn wir nicht in der Lage wären zu vergessen?

Ach, würden wir nicht vergessen, wären Jina und tausende andere, mutige und unschuldige Menschen, deren Blut die Seiten der Geschichtsbücher rot färbten, noch am Leben. Vielleicht wären Tausende von Migrant:innen, die im Meer ertrunken sind, noch am Leben, nur weil sie vor Krieg, Unterdrückung und Diskriminierung flohen. Wären wir nicht so vergesslich, wären vielleicht auch noch tausende, unschuldige ukrainische und russische Soldat:innen am Leben, die diesem korrupten System zum Opfer fielen.

Ja, der Kampf gegen das Vergessen ist gewaltig und entmutigend, aber er verstärkt unsere Verantwortung als Menschen, füreinander da zu sein, über alle Unterschiede hinweg. Und so versammeln wir uns heute Abend auf der Marktstätte, tausende Kilometer entfernt von dem Land, in dem Jinas Tod und das Martyrium derer, die den Weg in die Freiheit beschritten, stattfindet. Wir sind entschlossen, das vergossene Blut nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir haben Tränen unserer Traurigkeit und unserer Wut in tosende Wellen der Hoffnung verwandelt. Wir sind unerschütterlich entschlossen, Ungerechtigkeit und Ungleichheit vom Angesicht der Erde zu tilgen. Ja! Ein freier Iran ist elementarer Teil einer freien Welt ohne Diskriminierung.

Wir sind nicht die verstreuten und getrennten Bewohner:innen dieses kleinen Planeten, die sich in fiktiven und absurden geografischen Grenzen mit eigenen Problemen herumschlagen. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass wir uns vom Aufruhr und den Ängsten der „Anderen“ isolieren können. Mit so einer Denke wandern wir durch tiefe Dunkelheit. Vielmehr sind Leid und Unterdrückung so durchlässig wie Luft. Die höchsten Mauern, die wehrhaftesten Grenzen mit Raketen und Waffen ausgestattet, können den Strom des Leids nicht aufhalten. Er wird früher oder später auch uns treffen, so wie das Lächeln der anderen auch unser Herz erwärmen wird.

Ich glaube, dass wahres Glück ein kollektives Gefühl ist. Wie ein Tag, an dem die Herzen nicht mehr schmerzen, an dem Migrant:innen ihre Heimat nicht mehr verlassen müssen, um eine Chance auf ein normales Leben zu haben. An dem Mütter und Väter nicht mehr um die leblosen Körper von Kindern weinen müssen, die der Unterdrückung zum Opfer gefallen sind. An dem Kinder ihre Träume nicht mehr über Bord werfen. An dem Pfeile nicht mehr die Herzen von Soldat:innen durchbohren. Und an dem Frauen, wie Jina nicht mehr allein aufgrund ihres Geschlechts Gewalt ausgesetzt sind. An diesem Tag werde ich mit jeder Zelle meines Körpers Freude erleben. Vielleicht meint ihr jetzt, ich sei eine Träumerin, aber ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die so denkt.

Die iranischen Protestierenden machen sich keine Illusionen. Allein schon ob der vielen leeren Gesten westlicher Politiker:innen. Das korrupte politische und wirtschaftliche System, das die Welt regiert, versteht alles menschliche als Verhandlungsmasse. Die Erwartungen werden enttäuscht, aber Iraner:innen wissen, dass sich der Phönix aus der Asche erheben wird. Aus dem Herzen der Verzweiflung entspringt Hoffnung.

Ja, wir sind vielleicht allein. Aber gestehen wir uns diese bittere Wahrheit ein, beginnt erst der mühsame Weg, nach Retter:innen zu suchen. Wir finden sie, indem wir in den Spiegel schauen. Es haben sich neue Fenster geöffnet, durch die wir hören und sehen können, auch wenn es weiterhin dunkel und böse um uns ist. Auch wenn Tausende von unschuldigen Seelen hinter Gittern sitzen und sich nach Freiheit sehnen, und wenn Tausende Familien um ihre Angehörigen trauern. Trotz alledem gehen wir den Weg, auf dem es kein Zurück mehr gibt, einen Weg, der erleuchtet und befreit.

Im Angesicht der Verzweiflung weigern wir uns, passiv zu bleiben. Stattdessen reichen wir uns die Hände und bauen auf bessere Tage. Selbst wenn wir nur einen Millimeter dieses beschwerlichen Weges zurückgelegt haben, werden wir, in unserem unerbittlichen Kampf gegen Unterdrückung, Diktatur und Ungleichheit, siegen. Wenn es uns in unserer kurzen Lebenszeit gelingt, auch nur einen einzigen Schritt auf dem verschlungenen Pfad zu tun, der uns zu echtem Glück führt, dann wird jeder unserer Atemzüge einen tiefen Sinn haben.

Frauen – Leben – Freiheit hat den Herzen der ausgegrenzten Menschen neues, unsterbliches Leben eingehaucht – eine Kraft, die von keiner Kugel getroffen werden kann. Diese Bewegung besitzt nun eine eigenständige Identität, wächst stetig, schreitet voran und verändert alles, langsam, Schritt für Schritt.

Ach, ihr Sarinas, Nikas, Khudanoors, Kians, das Feuer, das ihr entfacht habt, brennt hell in den Herzen unzähliger Menschen, und die Geschichte zeugt davon.

Im Namen von Jina Amini, für Frauen, Leben, Freiheit.

Text: Eingesandt. Da Spitzel des iranischen Geheimdienstes auch am Bodensee unterwegs sind, um Kritiker:innen des iranischen Terrorregimes ausfindig zu machen, verzichten wir aus Sicherheitsgründen auf die Namensgebung der Rednerin.
Bild: Privat

Ein Kommentar

  1. Petra Mueller

    // am:

    am virtuellen Grab von Jina Amini (stellvertretend für alle anderen) will ich als Frau, Mutter, Großmutter, Schwester, als ein Mensch dieser Erde allen, die ihre Führungsmacht missbrauchen (alle Talibans, Putins, Netanjahus, Hamas , Trumps, und ….) die Erlaubnis entziehen weiterhin für mich zu entscheiden. ich bin keine Ware und keine Schachfigur. wir müssen aus der Vergangenheit lernen, einander vergeben und neu anfangen. wollen wir wirklich nochmals von vorne anfangen? vielleicht war dies der letzte Versuch für uns. Die Welt ist bunt, und ich fange langsam an, nur noch grau zu sehen.
    Ich bin so WÜTEND,
    das ich es gar nicht mehr beschreiben kann.

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