Anti Afd Demo2 Konstanz 24 01 24 © Pit Wuhrer

Unsere Demokratie (2): Woher die Ungleichheit?

Anti Afd Demo2 Konstanz 24 01 24 © Pit Wuhrer

Im ersten Teil seines Beitrags hat unser Autor auf Basis von soziologischen und politikwissenschaftlichen Studien auf ein gravierendes Defizit unserer parlamentarischen Demokratie aufmerksam gemacht, das eine auch von Rechtsextremen verbreitete Sicht stärkt: Die da oben machen eh, was sie wollen. Aber gibt nur Geld den Ausschlag?

Auch für die USA zeigte eine Untersuchung klar, dass politische Entscheidungen insbesondere von der Meinung der wirtschaftlichen Eliten abhängen – und die Meinung der Bürger:innen nahezu bedeutungslos ist. Im Unterschied zum deutschen ist das US-amerikanische System jedoch deutlich anfälliger für den Einfluss reicher Interessengruppen.

Josef Stieglitz, ehemals Chefökonom der Weltbank, sagt über das US-amerikanische Wahlsystem, dass es zunehmend dem Motto „ein Dollar – eine Stimme“ entspreche statt „eine Person – eine Stimme“. Und der Politikwissenschaftler Thomas Ferguson zeigte, dass man die Ergebnisse von Kongress-, Senats- und Präsidentenwahl mit erstaunlicher Genauigkeit vorhersagen kann – indem man die Wahlkampffinanzierung betrachtet.

In Deutschland sind die Parteien deutlich weniger von Wahlkampfspenden abhängig als Kandidat:innen in den USA. Zum einen, weil im Wahlkampf weniger Geld verpulvert wird als dort. So gaben im Bundestagswahlkampf 2013 die sechs größten Parteien gemeinsam umgerechnet 200 Millionen US-Dollar aus, während im US-amerikanischen Präsidentenwahlkampf 2016 Hilary Clinton und Donald Trump zusammen 1,9 Milliarden US-Dollar investierten. 

Zum anderen läuft die Wahlkampffinanzierung in Deutschland großteils über staatliche Zuwendungen und reguläre Mitgliedsbeiträge der Parteien. So machten im Bundestagswahlkampf 2013 die privaten Wahlkampfspenden für die CDU (sie bekam am meisten Geld) rund 20 Prozent des Budgets aus. Es sind also nicht allein die Spenden, die ungleiche Entscheidungen bewirken.

Aber was dann?

Der Einfluss der Reichen

Ganz eindeutig ist nicht zu erklären, warum politische Entscheidungen fast immer zugunsten der wohlhabenderen Schichten ausfallen. Aber es gibt eine Reihe von Anhaltspunkten:

Drehtüren zwischen Politik und Wirtschaft: Für die Niederlande wurde festgestellt, dass die meisten Mitglieder des Parlaments nach ihrem Ausscheiden aus der Politik finanziell lukrative Posten in der Wirtschaft übernahmen. Für eine Übersicht über deutsche Fälle, in denen Politiker:innen nach ihrem politischen Amt in eine hochrangige wirtschaftliche Position wechselten siehe Wikipedia.

Lobbyismus: 2016 gaben Großkonzerne 1,14 Milliarden Euro für Lobbyarbeit in der EU aus.

Ungleiche Partizipation: Menschen mit weniger Ressourcen beteiligen sich deutlich weniger an politischen Aktivitäten als Menschen mit mehr Ressourcen. Das betrifft sowohl die Wahlbeteiligung als auch anderes wie die Besetzung politischer Ämter, das Engagement in Parteien oder die Teilnahme an Demos. Hinzu kommt die Schwäche von Organisationen wie den Gewerkschaften, die traditionell Menschen mit weniger Ressourcen mobilisierten.

Soziale Distanz zwischen Gesetzgeber:innen und Wähler:innen: Der Bundestag ist stark von Mitgliedern der oberen sozialen und Bildungsschichten dominiert. 2013 hatten 85 Prozent der Abgeordneten einen Universitätsabschluss, während dies nur auf 15 Prozent der Bevölkerung zutraf. Beruflich setzt sich der Bundestag zu großen Teilen aus Unternehmer:innen und Beamt:innen zusammen.

Zudem wird die Politik zunehmend von Karrieristen gemacht, also Politiker:innen, die ihre gesamte Berufslaufbahn in politischen Ämtern verbringen. Studien konnten zeigen, dass die Verdrängung von Politiker:innen aus traditionellen Arbeiterberufen durch Karrierepolitiker:innen mit einer Rechtsverschiebung der Politik einhergeht.

Zusammengefasst: Es gibt vermutlich nicht den einen Grund, warum politische Maßnahmen primär zugunsten der Bessergestellten gefällt werden. Anarchist:innen und Sozialist:innen würden vermutlich noch anmerken, dass es einen inhärenten Widerspruch zwischen Kapitalismus und Demokratie gibt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die wichtigsten sind vermutlich, dass die Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger die politische Gleichheit untergräbt, dass die Profitorientierung oft im Konflikt mit breiteren gesellschaftlichen Interessen steht und dass es einen Widerspruch zwischen demokratischen Prinzipien und hierarchischen Strukturen in kapitalistischen Unternehmen gibt.

Demokratie der Wenigen

Leider zeigen uns die Studien nicht, ob die Situation jemals besser war. Der untersuchte Zeitraum beginnt in den 1980er Jahren. Hingegen waren in den 1960er und 70er Jahren die Unterschiede in der Einkommensverteilung geringer und Gewerkschaften stärker, zwei Faktoren, die die Demokratie stärken können. Doch zumindest für die USA sagte bereits 1895 der berühmte Wahlkampfmanager Mark Hanna, als er gefragt wurde, was man für einen erfolgreichen Wahlkampf brauche: „Es gibt zwei Dinge, die man benötigt. Erstens Geld, und .. das Zweite habe ich vergessen.“ (Quelle)

Auch geben uns die untersuchten Studien keine Auskunft darüber, wessen Stimme genau zählt. Die der Bessergestellten? Des reichsten Prozents? Des oberen Zehntels des reichsten Prozents? In jedem Fall zeigen sie uns aber, dass politische Entscheidungen sehr stark zugunsten der reicheren, besser gebildeten Schichten ausfallen. Das Versprechen, die Stimme jeder Person werde gehört und fließe in die politischen Entscheidungen ein, wird nicht eingelöst. 

Martin Gilens und Benjamin Page gehen in ihrer oben erwähnten Analyse für die USA noch einen Schritt weiter und schreiben: „Die Amerikaner erfreuen sich vieler zentraler Merkmale demokratischer Regierungsführung, wie etwa regelmäßiger Wahlen, Rede- und Versammlungsfreiheit und eines weit verbreiteten (wenn auch immer noch umstrittenen) Wahlrechts. Wir sind jedoch der Meinung, dass der Anspruch Amerikas, eine demokratische Gesellschaft zu sein, ernsthaft bedroht ist, wenn die politische Entscheidungsfindung von mächtigen Wirtschaftsorganisationen und einer kleinen Anzahl wohlhabender Amerikaner dominiert wird.“

Was tun?

Die Demokratie war einst eine mächtige und radikale Idee. Um einen ihrer Gegenspieler, den österreichischen Fürsten Klemens von Metternich, zu zitieren: „Die schädlichen Doktrine des Republikanismus und der Selbstregierung der Bevölkerung, die von den Aposteln des Aufruhrs verbreitet werden, könnten auch anderswo ähnliche bösartige Ideen ermutigen.“ (Quelle: Chomsky, Waterstone, „Konsequenzen des Kapitalismus“, Kapitel 3)

Das haben sie recht erfolgreich rund um die Welt getan, auch die Ausweitung des Wahlrechts auf alle Staatsbürger:innen war ein weiterer großer Schritt. Doch den wirtschaftlichen Eliten ist es bis jetzt sehr gut gelungen, das demokratische Spiel zu dominieren. Bis zur tatsächlichen Herrschaft „des Volkes durch das Volk für das Volk“ (Abraham Lincoln), sind noch viele Kämpfe zu gewinnen. Ein erster Schritt wäre der Abschied von der Illusion, aktuell in einer egalitären Demokratie zu leben. Ein zweiter, zu überlegen, wie wir zu einer solchen Demokratie kommen.

Text und Grafik: Manuel Oestringer
Foto von der Anti-Rechts-Demo in Konstanz im Januar 2024: Pit Wuhrer

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