Immer noch sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland rechtswidrig. Nun wurden Empfehlungen einer Expert:innenkommission zur Gesetzesnovellierung des Schwangerschaftsabbruchs zusammen mit 26 zivilgesellschaftlichen Verbänden ausgearbeitet. Federführend mit dabei: Rechtswissenschaftlerin Liane Wörner von der Universität Konstanz.
Hier die Pressemitteilung der Uni Konstanz:
Die Möglichkeiten für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs werden seit Monaten in der Politik diskutiert: Im Auftrag der Bundesregierung hat eine Expert:innenkommission Empfehlungen für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches im April 2024 vorgelegt. Mitglieder dieser Kommission arbeiteten im Auftrag einer Gruppe von 26 zivilgesellschaftlichen Verbänden – und in Zusammenarbeit mit ihnen – Empfehlungen zu einem Gesetzesentwurf aus. Dieser wurde am 17. Oktober 2024 im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt.
„Der Gesetzesentwurf setzt konsequent die einstimmigen Empfehlungen der Kommission um. Wir zeigen darin, dass und wie eine straffreie Regelung des Schwangerschaftsabbruchs realisierbar ist“, fasst Mitautorin Liane Wörner, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Konstanz, zusammen. Sie war die wissenschaftliche Koordinatorin der Arbeitsgruppe 1 (Themenbereich Schwangerschaftsabbruch) der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin.
Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Maria Wersig (Hochschule Hannover) und Friederike Wapler (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) arbeitete sie federführend den Entwurf aus. Der Gesetzesentwurf hebt hervor: „Die Fortsetzung einer Schwangerschaft steht in der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren“. Ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 22. Schwangerschaftswoche solle demnach grundlegend rechtmäßig und straffrei werden, sofern er auf Verlangen der Schwangeren und durch eine Ärztin oder einen Arzt erfolgt.
Der Entwurf sieht eine vollständige Abschaffung aller Zugangshürden (z. B. Wartefristen) vor. Die Beratung steht jederzeit offen und wird rechtlich gewährleistet, ist aber nicht länger verpflichtend. „Mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf psychosoziale Beratung für Schwangere statt der bisherigen Pflichtberatung setzt der Entwurf auf Unterstützung statt Zwang. Das ist ein Paradigmenwechsel“, stellt Maria Wersig fest.
Friederike Wapler: „Eine ungewollte Schwangerschaft betrifft Freiheit und Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit und die Intimsphäre der Schwangeren. Alle diese Güter stehen unter dem Schutz der Grundrechte. Gesetze, die den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch beschränken, können nur mit gewichtigen Gründen von Verfassungsrang gerechtfertigt werden.“
Liane Wörner stimmt zu: „Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führt zu rechtlicher Unsicherheit, stigmatisiert Betroffene und behindert den Zugang zu notwendigen medizinischen Leistungen. Die Beibehaltung des Status quo schränkt die reproduktiven Grund- und Persönlichkeitsrechte von Frauen – und nur von Frauen – ein und bedingt damit Diskriminierungen.“
Gesellschaftlicher Perspektivwechsel
In dem Gesetzesentwurf zeichnet sich ein grundlegender gesellschaftlicher und juristischer Perspektivwechsel in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch ab: Anstatt die Schwangeren und behandelnde Ärzt*innen zu kriminalisieren, solle das Strafrecht künftig vielmehr zum Schutz der Schwangeren vor nicht selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen dienen – also vor Abbrüchen, die ohne oder gegen ihren Willen erfolgen.
Ein Perspektivwechsel wäre es auch auf internationaler Ebene: Im Vergleich mit weltweiten Standards gelte das deutsche Recht zum Schwangerschaftsabbruch als rückständig, schildert Liane Wörner. Mit einer Umsetzung des Gesetzesentwurfs wäre Deutschland in der Lage, den Empfehlungen der World Health Organization (WHO) im Zuge der „Abortion Care Guidelines“ nachzukommen.
„In Übereinstimmung mit der Entwicklung im internationalen Recht wird hier ein Gesetzentwurf vorgelegt, der auf Information und Aufklärung, auf Beratung und soziale Unterstützung setzt statt auf Repression“, schließt Friederike Wapler.
Gemeinsame Initiative von 26 zivilgesellschaftlichen Verbänden
Der Gesetzesentwurf wurde von einer Initiative aus 26 zivilgesellschaftlichen Verbänden (siehe unten) gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen der Kommission ausgearbeitet. Die Initiative orientierte sich dabei an dem Ziel, die Empfehlungen der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin umzusetzen, deren Gestaltungsspielraum auszuschöpfen und zugleich internationalen Vorgaben nachzukommen.
Der Gesetzesentwurf wird als Impuls an die Politik zur Modernisierung der deutschen Gesetzeslage im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs verstanden. Er ist mit einer Aufforderung an die Bundesregierung und an den Bundestag verbunden, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten.
Diese 26 zivilgesellschaftlichen Verbände gehören der Initiative an:
pro familia Bundesverband, Deutscher Juristinnenbund e.V., Deutscher Frauenrat, Doctors for Choice Germany, medica mondiale e.V., Zentralrat der Konfessionsfreien, Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung e.V., Fachverband für Psychologische Beratung und Supervision (EKFuL), Amnesty International, DaMigra Dachverband der Migrantinnenorganisationen, Terre des Femmes Menschenrechte für die Frau e.V., UN Women Deutschland e.V., ver.di, Nationales Netzwerk Frauen und Gesundheit, Giordana Bruno Stiftung, AWO Bundesverband e.V., Pro Choice Deutschland e.V., Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V., Institut für Weltanschauungsrecht, Women on Web International, Evangelische Frauen in Deutschland e.V., Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, Centre for Feminist Foreign Policy, Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft – Landesverband Berlin, Sozialdienst muslimischer Frauen, Familienplanungszentrum Berlin e.V. – Balance, Medical Students for Choice
MM/ans; Bild: Gerd Altmann bei Pixabay
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