Warum nimmt die soziale Ungleichheit seit Jahren zu? Welche Rolle spielen dabei Wirtschaftsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Verteilungsmechanismen? Mit welchen Narrativen werden die beträchtlichen Einkommens- und Vermögensunterschiede gerechtfertigt? Christoph Butterwegges neues Buch gibt Antworten. Unser Autor hat es gelesen.
Über Reichtum und Vermögen wird ein Schleier des Schweigens und Vertuschens gelegt. Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge lüftet diesen Schleier. Er ist bekannt als ein unermüdlicher Mahner gegen den Skandal der Armut in einem reichen Land. Nach zahlreichen Publikationen u.a. zur Armut in einer reichen Gesellschaft, zum Sozialstaat, den Folgen von Sozialreformen, besonders von Hartz IV, legt er nun sein wohl politischstes Buch vor.
Es ist ein Buch über das andere Ende der Verteilungsskala, den Reichtum. Der Titel klingt gewohnt und eher althergebracht: „Umverteilung des Reichtums“. Doch Butterwegge entfaltet ein Programm, das mehr meint als sattsam bekannte Forderung nach Umverteilung. Es geht ihm um eine „Rückverteilung des Reichtums von Oben nach Unten“. Die Forderung impliziert, dass zuvor von unten nach oben umverteilt worden ist und diese Verteilungsrichtung umgedreht werden muss, und zwar zu denjenigen, die den Reichtum geschaffen und nicht geerbt haben.
Extreme Ungleichverteilung
Die Faktenlage ist unbestritten und seit Jahrzehnten bekannt: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer zahlreicher. Bereits 1997 hatten die Kirchen als eine der frühesten öffentlichen Stimmen in ihrem Sozialwort gefordert: „Nicht nur Armut, auch Reichtum muss ein Thema der politischen Debatte sein. Umverteilung ist gegenwärtig häufig Umverteilung des Mangels, weil der Überfluss auf der anderen Seite geschont wird.“ Seitdem hat sich die Ungleichverteilung radikal verschärft. Butterwegge nennt die sozioökonomische Ungleichheit das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der ganzen Menschheit.
Außer bei diesem Hinweis spielt die Armut im globalen Süden jedoch leider keine weitere Rolle. Dabei hat die Ungleichheit global und national schier unvorstellbare Dimensionen erreicht. So verfügen in Deutschland lediglich fünf Familien über so viel wie die untere Hälfte der deutschen Bevölkerung, soviel also wie 40 Millionen Menschen, während die Armutsquote einen Höchstwert erreicht. Dieses Missverhältnis ist kein Naturereignis, sondern wird ökonomisch und politisch gemacht. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Demontage des Sozialstaates und die Deformation des Steuersystems nennt Butterwegge als die Hauptursachen, welche die soziale Ungleichheit schaffen und verstärken.
Unter den herrschenden ökonomischen Verhältnissen vergrößert sich die Kluft zwischen Armut und Reichtum. Die Politik könnte diese Kluft verkleinern, sie tut es aber nicht. Denn das geltende Schenkungs- und Erbschaftssteuerrecht – ganz zu schweigen von der fehlenden Vermögenssteuer – lassen das Gefälle immer größer werden. Die Reichtumspflege der Politik wird ideologisch untermauert: Olaf Scholz, Generalsekretär der SPD in den Zeiten von Gerhard Schröder, forderte einen „modernisierten Begriff von Gerechtigkeit: Verteilungsgerechtigkeit. Diese Perspektive wird den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gerecht.“ Für den „Kirchenvater“ der Neoliberalen Hayek ist „Ungleichheit nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich. Sie ist einfach nötig.“ Es findet eine schleichende Refeudalisierung statt, denn der große Reichtum wird vererbt, und zwar innerhalb einer kleinen Klasse. Allein zwischen 2009 und 2020 erbte die kleine Schar von 3630 Personen (unter ihnen Minderjährige) zusammen mehr als 260 Milliarden, und das steuerfrei. – Doch nach unten wird Druck gegen Totalverweigerer und ein zu üppig ausgestattetes Bürgergeld aufgebaut.
Obszöner Überreichtum
Das Ergebnis ist zu besichtigen: Armut ist kein Randphänomen, sondern dringt seit geraumer Zeit immer stärker in die Mitte unserer Gesellschaft vor, während sich der Reichtum immer mehr bei wenigen Familien konzentriert. Folglich avanciert die Rückverteilung des Vermögensreichtums an die große Bevölkerungsmehrheit zur Gretchenfrage eines gerechten Steuersystems.
Es geht um mehr als nur Umverteilung des obszönen Überreichtums. Reichtum ist auch unter ökologischen Gesichtspunkten zerstörerisch. Die Überreichen führen einen exzessiven Lebensstil und tätigen unternehmerische Entscheidungen, die in hohem Maße klimaschädlich sind. Es gibt also einen „Strukturzusammenhang zwischen sozioökonomischer und ökologischer Ungleichheit“. Zugespitzt: Die Überreichen forcieren die Klimakrise.
Butterwegge verzichtet in seinem analytisch argumentierenden Buch auf Tabellen und ausuferndes Zahlenmaterial. Er will angesichts des Skandals von wachsender Armut und zunehmender Bereicherung der Wenigen aufrütteln. Denn: Wer über Reichtum redet, der darf über Armut nicht schweigen.
Bei aller Plausibilität des Befundes, der Analysen und Forderungen bleibt am Ende die Kernfrage: Wer wagt es angesichts des Machtgefälles, das mit der sozialen Ungleichheit einhergeht, diesen Skandal politisch anzugehen? Und wer stärkt die politischen Kräfte, die gegen diese Ungleichheit angehen wollen?
Christoph Butterwegge: Umverteilung des Reichtums, PapyRossa Verlag, 223 Seiten, 16,90 Euro. ISBN 978-3-89438-831-7
Text: Franz Segbers, Symbolbild: Pixabay
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