
Das Konstanzer Theater zeigt in deutscher Erstaufführung „Tauben fliegen auf“ von Melinda Nadj Abonji als Ein-Personenstück. Für ihren Roman, der 2010 erschienen ist, erhielt die Autorin den Schweizer und den Deutschen Buchpreis.
Die in der Provinz Vojvodina geborene Melinda Nadj Abonji kam mit fünf Jahren aus dem damaligen Jugoslawien in die Schweiz. In ihrem Roman kann die Familie Kocsis in Zürich ein Café in bester Lage übernehmen und die Schwestern Ildikó und Nomi packen mit an, wo es nur geht. Doch die steten Erwartungen und der Anpassungsdruck seitens der Gäste und Eltern setzen besonders Ildikó zu. Im ehemaligen Zuhause, dem Balkan, bricht Krieg aus und die Verwandten geraten in Gefahr. Ildikó kämpft um ein selbstbestimmtes Leben und eine Identität, unabhängig von Herkunft, Religion und Pass.
In der Regie von Glen Hawkins brilliert Alicia Bischoff, die seit dieser Spielzeit am Theater Konstanz agiert, als Ildikó auf der Setzkastenbühne, die Geheimnisse auf- und verdeckt (Bühne, Kostüm und Licht von Kanade Hamawaki). Über 300 Romanseiten wurden auf etwa 30 Seiten gebracht (Stückdauer 60 Minuten) und der Text hat nichts von seiner Wucht verloren, auch wenn einige Romanfiguren und Konflikte auf der Strecke geblieben sind.
Ildikó hat in der Schweiz keine neue Heimat gefunden und ihre alte Heimat in der Vojvodina mit ihrer geliebten Großmutter Mamika und all ihren vielen Verwandten verloren. In ihren Erinnerungen möchte sie den Ort ihrer Kindheit erhalten, nichts darf sich verändern. Da bleibt immer die Angst, nichts mehr mit der alten Heimat zu tun zu haben. Ist das Café Mondial der Familie Kocsis eine gerechte Fortsetzung, wie der Vater meint, weil ihr Leumund ja tipp topp ist? Sind sie endlich angekommen, nachdem sie mit einem Koffer und dem Wort „Arbeit“ in die Schweiz gekommen sind? Lässt man sie ankommen, die Papierschweizer? Und immer wieder der Satz der Mutter: „Wir haben hier noch kein menschliches Schicksal, das müssen wir uns erst noch erarbeiten.“
Es ist eben nur ein halbes Leben, dieses neue Leben. Nicht nur Ildikó kostet es eine fast unmenschliche Energie, um die Normalität, den Alltag aufrechtzuerhalten. Es ist eben nicht alles tipp topp, wenn Herr Pfister über die Balkanesen schwadroniert. Und nein, nein, die Serviertochter ist ja nicht gemeint! Die sich dann trotz allem geschmeichelt fühlt und sich über sich selbst ärgert. Ist es überlebensnotwendig, verschiedene Gesichter zu haben? Mehrere Welten in der einen. Und dann noch zwei Welten, die einander gegenüberstehen und sich nicht vereinbaren lassen. Wie soll man daran nicht zerbrechen? Verschwinden wollen aus diesem halbierten Leben?
Glen Hawkins ist fasziniert davon, wie „Tauben fliegen auf“ Erinnerungen in einen sprachlichen Raum verwandelt und welche Möglichkeiten sich für eine szenische Übersetzung daraus ergeben. Regie und Dramaturgie (Lea Seiz) haben den Roman verdichtet, ohne dass seine Tiefe und Mehrschichtigkeit verloren ging. Hautnah erlebt das Publikum auf der kleinen Werkstattbühne Ildikós Identitätskonflikte, ihre Suche nach Zugehörigkeit und ihren Aufbruch in ihr eigenes Leben.
Vorstellungen auf der Werkstattbühne: 1. April um 20 Uhr, 13. April um 18 Uhr, 15./16./19. April jeweils 20 Uhr, 20. April um 18 Uhr, 16. Mai um 20 Uhr. Weitere Informationen dazu hier.
Text: daniB; Foto: Ilja Mess
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