Gestern zogen rund 300 Streikende und ihre Unterstützer:innen durch Konstanz: Beschäftigte der beiden Hochschulen und des ZfP hatten die Arbeit niedergelegt, Kolleg:innen des Einzelhandels demonstrierten mit, auch Lehrer:innen waren dabei. Ein Ende ihrer Kämpfe für einen halbwegs anständigen Lohn ist nicht abzusehen.
Schon lange nicht mehr haben Beschäftigte so oft protestiert und gestreikt wie in den letzten Tagen: Vor zwei Wochen gingen Angestellte und Student:innen der Universität in eine „aktive Mittagspause“. Zwei Tage später traten Pfleger:innen des Zentrums für Psychiatrie Reichenau (ZfP) in den Warnstreik. Wiederum zwei Tage danach demonstrierten streikende Handelsbeschäftigte durchs Industriegebiet . Am Montag sangen Verkäufer:innen vor dem Münster (leider unangekündigt) Weihnachtslieder mit leicht geändertem Text („O Arbeitgeber, o Arbeitgeber / wie leer sind deine Kassen? / Wir streiken in der Sommerzeit / Nein, auch auch im Winter, wenn es schneit …“) Und tags darauf nun die bemerkenswerte Aktion von ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Noch nie, sagte zum Beispiel Johanna Vogt von der gewerkschaftlichen Betriebsgruppe der Uni, seien so viele Voll- und Teilzeitarbeitskräfte auf dem Gießberg in den Ausstand getreten – ihre Streikliste umfasse zweihundert Namen. Auch Gabriel Henkes vom ZfP zeigte sich begeistert über die große Zahl an Belegschaftsmitgliedern, die sich am Dienstagmorgen auf dem Georg-Elser-Platz eingefunden hatten.
Die Lohnabhängigen haben mittlerweile die Nase voll. Noch immer weigern sich die Finanzminister:innen der Länder, den Beschäftigten des öffentlichen Diensts überhaupt ein Angebot zu machen. Dabei fordern ver.di und Beamtenbund lediglich 10,5 Prozent mehr Lohn – mindestens jedoch 500 Euro mehr im Monat. Noch langwieriger verlaufen die Tarifverhandlungen im Einzelhandel (ver.di-Forderung: 15 Prozent): Sie ziehen sich seit einem halben Jahr hin. Und so waren vor dem Treffpunkt Petershausen auch Delegierte der örtlichen Filialen von Zara, Esprit und Kaufland präsent, um ihre Solidarität mit den streikenden Kolleg:innen zu zeigen.
Große Solidarität
Die Geschlossenheit war beeindruckend. Bei der ersten Zwischenkundgebung vor dem Landratsamt ermunterte Andreas Gallus vom Zoll die Anwesenden („auch bei unseren Tarifverhandlungen im Frühjahr kam von den Arbeitgebern lange kein Angebot“) und sicherte Unterstützung zu. Hinter ihm standen auch einige Polizisten, die jedoch – wie auch viele Lehrer:innen – als Beamte nicht streiken dürfen. Eine Abordnung der Linken war ebenfalls zugegen und marschierte (als einzige sichtbare Vertretung einer Partei) mit durch die Stadt.
Beeindruckend war auch die Lautstärke der Demonstrant:innen; sie skandierten „500 Euro mehr!“, „ohne uns kein Geschäft!“, „wir sind es wert!“, und riefen (geschätzt, nicht gezählt) 327 mal „heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag!“. Sowie die Vielzahl an Redner:innen bei den Kundgebungen auf dem Benediktinerplatz, vor der HTWG und, zum Abschluss, vor der Gebhardschule.
Dort hatte die GEW (sie fordert wie ver.di für die Länderbeschäftigten 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro) das Lehrpersonal zu einer „aktiven Mittagspause“ aufgerufen. Dem Ruf folgten nicht nur ein Teil der Belegschaft, sondern auch viele Schüler:innen der Gesamtschule – bekamen sie doch hier ein Stück gelebter Demokratie geboten und eine Lektion für ihre Zukunft vermittelt. Was auf sie zukommen könnte, schilderte Moritz Gallus von TVStud (Zum Beitrag im Archiv), der Initiative studentischer Arbeitskräfte, die seit langem dafür kämpft, dass mit ihnen ein Tarifvertrag abgeschlossen wird. Man werde sich nicht länger mit Almosen abspeisen lassen, sagte er in Richtung Bildungsministerium: „Macht eure Arbeit richtig. Wir tun das ja auch.“
Noch ist ungewiss, ob der Streiktag wiederholt wird. Das hängt zum einen von den Landesregierungen ab (beziehungsweise den Handelsunternehmen), und zum anderen von den gewerkschaftlichen Tarifkommissionen. Knicken sie – wie so oft – ein, beispielsweise bei der Vertragslaufzeit? Gefordert werden von den Beschäftigten zwölf Monate Tarifdauer; die Chefetagen hingegen wollen aber stets zwei, mitunter sogar noch mehr Vertragsjahre, während denen dann alles bleibt, egal, wie sich die Inflation entwickelt.
Oder bleiben die beiden Gewerkschaften diesmal auf Kurs? In Sachen Lohn lässt ver.di jedenfalls nicht locker: Gestern überreichte sie ihre Forderung 2024 für die Beschäftigten des kommunalen öffentlichen Nahverkehrs und verlangt – je nach Bundesland – bis zu 20 Prozent mehr. Klimaaktivist:innen von Fridays for Future haben bereits ihre Unterstützung zugesichert.
Text und Fotos: Pit Wuhrer
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