Erst die Bähnler:innen, dann das Flughafenpersonal, nun die Busfahrer:innen. Geht’s noch? Die haben gefühlt doch erst gestern (tatsächlich vor elf Monaten) bereits für mehr Lohn gestreikt. Warum müssen wir diesen Freitag nun wieder zu Fuß gehen, radfahren, uns mit dem Auto in die Stadt quälen oder zu Hause bleiben? seemoz geht der Frage nach, warum das Fahrpersonal jetzt schon wieder streikt.
Gerne hätte ich, selbst Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, meine Kolleg:innen vom Nahverkehr befragt, warum sie die Arbeit niederlegen. Ist aber nicht so einfach. Der mir empfohlene Kollege Busfahrer lässt zwei vereinbarte Gesprächstermine platzen. Zuletzt, weil er nun die Streikkundgebung vorbereiten müsse.
Die findet indes, wie schon beim letzten Streik Anfang März 2023, weitab vom Publikum, nämlich vor den Toren der Stadtwerke statt. Sicher ein passender Ort, um sich gleich beim Streiklokal gegenseitig des eigenen Anliegens zu versichern; jedoch gänzlich ungeeignet, um die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen. Hey Kolleg:innen, warum geht ihr nicht auf die Marktstätte oder den Münsterplatz und erklärt uns, wofür ihr streikt?
Im Dschungel der Tarifverträge
Begeben wir uns also aufs mühsame Feld der Pressemitteilungen und Internetrecherchen. Für die Arbeitsverhältnisse in den kommunalen ÖPNV-Unternehmen gelten die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Tarifverträge Nahverkehr (TV-N), abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem jeweiligen Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV). Die Tarifverträge regeln Arbeitsbedingungen (Mantel) und Entlohnung. In Baden-Württemberg ist die Entlohnung an den Tarifvertrag TVÖD gekoppelt, der für die Beschäftigten der Gemeindeverwaltungen und Landkreise gilt. Dafür wurde im Frühjahr 2023 gestreikt.
Dieses Jahr geht es um die Manteltarifverträge, in denen die Arbeitsbedingungen geregelt sind. Deren Laufzeiten wurden synchronisiert, was ermöglicht, dass die Mäntel TV-N aller Bundesländer (ausgenommen Bayern) gleichzeitig kündbar und verhandelbar sind. Die konkreten Tarifforderungen legen jedoch die jeweiligen Tarifkommissionen für jeden Landestarifvertrag eigenständig und unterschiedlich fest.
Worum wird gestreikt?
Will man die Forderungen auf einen Nenner bringen, geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. In einigen Bundesländern, beispielhaft Hessen, sind die Forderungen der Gewerkschaft recht konkret: Streichung der untersten Entgeltgruppen, bessere Eingruppierung besonders langjährig Beschäftiger, Kürzung der Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, Begrenzung geteilter Schichten.
In Baden-Württemberg indes bleibt ver.di eher vage. Hier will man eine Nahverkehrszulage, dazu Wechselschichtzulagen, mehr Urlaubsgeld, kürzere Schichtzeiten und Reduzierung der Wochenarbeitszeit, ohne dies jedoch zu konkretisieren. Auch sollen durch Verspätung verlängerte Arbeitszeiten künftig ab der 1. und nicht erst der 15. Minute bezahlt werden.
Warum gerade jetzt?
Man habe diese Forderungen den Unternehmen bereits am 18. Dezember übergeben. Da jetzt in allen Bundesländern Tarifverhandlungen stattgefunden hätten und ohne Ergebnis geblieben sind, sei der Zeitpunkt gekommen, um mehr Druck auf die kommunalen Arbeitgeber zu machen, begründet die ver.di-Vizevorsitzende Christine Behle den ersten Streik der Tarifrunde. Damit ist für ver.di die erste Verhandlungsrunde gescheitert.
Worauf die Gegenseite vom KAV in Baden-Württemberg antwortet: Nein, nein, Forderungen habe man erst am 29. Januar bekommen und müsse deren wirtschaftliche Auswirkungen nun analysieren und bewerten. Weitere Verhandlungsrunden sind für den 5./6. Februar und 5./6. März vereinbart.
Bündnis „Wir fahren zusammen“
60 lokale Gruppen der Klimaschutzgruppe Fridays for Future unterstützen den Streik. Es bedürfe besserer Arbeitsbedingungen, um das Personal im Nahverkehr zu halten und das Nahverkehrsangebot sicherzustellen, so die Fridays. Nur mit einem gut ausgebauten und finanzierten ÖPNV könne man die Klimaziele im Verkehrssektor erreichen, schreibt der Konstanzer Ableger des Bündnisses „Wir fahren zusammen“ in einer Pressemitteilung. Die kommunalen Unternehmen hingegen argumentieren, mit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit ließe sich kein neues Personal gewinnen; stattdessen würde die Personalnot nur verschärft.
Wagen wir eine Prognose: Es wird im Umfeld der kommenden Verhandlungsrunden noch zu weiteren Streiks kommen. Meine Gewerkschaft ver.di wird zumindest in Konstanz weiterhin unfähig sein, ihr Anliegen den Bürger:innen zu vermitteln. Wir werden dann mit dem Auto in die Stadt fahren, dort keinen Parkplatz finden, uns über die aus der Schweiz kommenden Automobilist:innen ärgern und wünschen, die städtischen Knöllchenverteiler vom kommunalen Ordnungsdienst sollten doch auch mal streiken.
Text: Ralph-Raymond Braun / Fotos vom letzten Busstreik in Konstanz (am 3. März 2023): Pit Wuhrer
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