Stefan Mann, Tina Speckhofer, 9.5.2024 © Harald Borges

Steckborn, unterm Haag

Stefan Mann, Tina Speckhofer, 9.5.2024 © Harald Borges
Stefan Mann und Tina Speckhofer

Kultur soll vor allem erst einmal eines: Dem Publikum Spaß machen, auch wenn sie für die Künstler*innen selbst (oftmals harte) Arbeit ist. Im schweizerischen Steckborn bietet seit diesem Jahr „Kultur unterm Haag“ durchaus unterhaltsame Veranstaltungen mit ausgefallenen Programmen an. An diesem Sonntag gibt es Literarisches, Chansons und Lieder unter dem Titel „Blühen“.

Steckborn mit seinen rund 4.000 Einwohner*innen hat ein überraschend reges Kulturleben, konstatieren Tina Speckhofer und Stefan Mann, die dort seit Kurzem wohnen und gerade ihre eigene Reihe „Kultur unterm Haag“ ins Leben gerufen haben. „Es gibt das ‚Haus zur Glocke‘ mit Ausstellungen und Konzerten, es gibt sogar ein eigenes Tanztheater, was für einen Ort dieser Größenordnung absolut unglaublich ist. Wir fühlen uns mit unseren Veranstaltungen hier also so richtig eingebettet und nicht als Fremdkörper.“

Einfach mal loslegen

Da Tina Speckhofer professionelle Musikerin ist – vor allem am Cembalo konnte man sie in der Region immer wieder erleben – liegt es nahe, dass sich die ersten Abende neben der Literatur vor allem der Musik widmen. Auf Dauer soll „Kultur unterm Haag“ aber keine reine Musikreihe werden, sondern auch andere Formen präsentieren. „Wir wollten einfach möglichst schnell loslegen, und unsere Beziehungen in die Literatur- und Musikszene sind nun mal am engsten, daher beginnen wir damit.“ Stefan Mann ist Agronom und beschäftigt sich als Wissenschaftler und Berater der Regierung mit der schweizerischen Agrarpolitik und der Lage der Bauern. Darüber hinaus pflegt er seine literarischen Interessen und Bekanntschaften und ist ein engagierter Laienmusiker.

Wirklich unterm Haag

Die beiden denken derzeit an vier Veranstaltungen plus eine Ausstellung pro Jahr, denn mehr können sie zeitlich nicht stemmen. Ihr Veranstaltungsraum liegt mitten in der idyllischen Altstadt von Steckborn an der Seestrasse in einem Gebäude, das sie auch bewohnen. Da sich der Raum unterhalb eines Gartenzaunes befindet, lag der Name „Kultur unterm Haag“ nahe.

Die beiden haben die ehemalige Gewerbefläche mit einigem Aufwand renoviert, so dass es dort heute gut klingt. Normalerweise dient der Raum Tina Speckhofer als Übungsraum und bietet zudem eine stimmungsvolle Umgebung für ihre Cembali.

Als Veranstaltungssaal ist er gerade so groß, dass er eine vertraute Atmosphäre mit großer Nähe zu den Künstler*innen schafft. „Wir wollten bei uns etwas zusammenbringen. Darum ist uns neben der Nähe auch der Apéro so wichtig, bei dem man mit den Künstler*innen sprechen und sich austauschen kann“.

Kultur mit Unterhaltungswert

Das alles hat einen strikt professionellen Anspruch. „Es geht uns nicht darum, dass jeder bei uns mal irgendetwas machen kann, nachdem er ein paar Stunden Querflöte geübt hat. Uns geht es um eine professionelle Bereicherung der Thurgauer Kultur.“

Das gilt auch für die Literatur: „In schweizerischen Buchhandlungen gibt es ja zumeist einen eigenes Regal für schweizerische Literatur, oder gar für Thurgauer Autor*innen. Da haben wir uns jetzt einmal eingedeckt, um zu schauen, wen wir zu uns einladen wollen. Momentan sieht es so aus, als hätten wir im November dieses Jahres unsere erste Lesung mit Regionalbezug.“ Mehr soll noch nicht verraten werden.

Dieses Konzept soll sich etablieren und ein eigenes Profil finden: „Wir wollen“, betont Stefan Mann, „die Menschen vor allem einen Abend lang gut unterhalten. Wir wollen also keine verkopfte Kunst machen, sondern ein paar Zentimeter unter dem intellektuellen Olymp bleiben. Wir brauchen für unsere Veranstaltungen keinen großen Überbau.“

Das Erblühen

Das gilt auch für diesen Sonntag, erzählt Tina Speckhofer: „Da geht es einfach nur um das Erblühen, natürlich vor allem um das Erblühen der Frauen, mit Droste-Hülshoff im Mittelpunkt. Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich sich die verschiedensten Gedichte und Lieder treffen, bis hin zum Chanson ‚La vie en rose‘ von Piaf. Als wir das Programm zusammenstellten, war uns schnell klar, dass wir neben den Texten von Droste-Hülshoff zum Beispiel auch Texte von Brecht brauchen, weil die ja wirklich frech sind.“

Wer sich um Fürstengunst und Rang
Mit saurem Schweiss bemüht,
Und eingespannt sein Leben lang
Am Pflug des Staates zieht,
Weh‘ dem! der ist ein armer Wicht,
Er kennt die gold’ne Freiheit nicht.

Das ist zwar frech, aber statt von Brecht vom Aufklärer Aloys Blumauer (1755-1798), und wurde 1785 – man höre und staune – von Mozart (KV 506) vertont. Einen derart revolutionären, nahezu anarchistischen Eifer hätte man dem von den Göttern geküssten Musensohn eigentlich gar nicht zugetraut.

Auch darum wird dieses „Lied der Freiheit“ am Sonntag in Steckborn zu hören sein.

Weitere Informationen

Was: Blühen – Chansons, Lieder und Drostreiches. Liedhaftes und Literarisches am grünen Spinett im behaglichen Ambiente. Ein Programm von Annette von Droste-Hülshoff über Wolfgang Amadeus Mozart bis hin zu Edith Piaf und Bertolt Brecht.
Wer: Adriane Kienzler (Sopran), Tina Speckhofer (Spinett), Monfred Menzel (Moderation und Lesung.
Wann: Sonntag, 2. Juni 2024, 18.00 Uhr, Einlass ab 17.30 Uhr.
Wo: Kultur unterm Haag, Seestrasse 71, CH-8266 Steckborn, E-Mail kuh-steckborn@gmx.net, Tel. +41 79 711 60 26
Wofür: Eintritt frei (Kollekte).

Text & Bild: Harald Borges

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert