Bei der letzten Gemeinderatssitzung vor der Sommerpause wurde einstimmig beschlossen, eine Partnerschaft mit der ukrainischen Stadt Berdytschiw einzugehen. Angesichts der russischen Kriegsverbrechen eine nachvollziehbare Entscheidung, die auch die Linke Liste befürwortete, aber nun kritisiert, dass die Verwaltung im Vorfeld der Entscheidung wichtige Informationen in ihrer Vorlage nicht berücksichtigt hat.
Bei dem Tagesordnungspunkt Berdytschiw fragte die Fraktion der LLK nach, ob ein Platz oder eine Straße in der ukrainischen Stadt nach Stepan Bandera benannt sei. Nein, davon habe man keinerlei Kenntnis, hieß es damals von Seiten der Verwaltung.
Wer war Stepan Bandera?
Wer sich aber ein wenig bemüht, und das muss man auch von der Konstanzer Verwaltung erwarten können, um Informationen über Bandera (1909 – 1959) zu erhalten, wird schnell fündig. Bandera war ein Faschist, Kriegsverbrecher, Antisemit und Nazikollaborateur, dessen Anhänger während des Zweiten Weltkriegs auch an Massakern an der jüdischen Bevölkerung beteiligt waren. „Man kann ihn sowohl als radikalen Nationalisten als auch als Faschisten bezeichnen“, so der in Berlin lebende Historiker Grzegorz Rossolinski-Liebe, der eine Bandera-Biografie verfasst hat. Bandera, so Rossolinski-Liebe weiter, „wurde von den faschistischen europäischen Diskursen geprägt. Offiziell haben ukrainische Nationalisten die Bezeichnung Faschismus nicht benutzt. Aber die inneren Diskurse und auch die Kontakte zu Mussolini, zu Hitlerdeutschland, die machen klar, dass die OUN den transnationalen Faschismus rezipiert hat, erst aus Italien, dann aus Deutschland und dann ihren eigenen ukrainischen Faschismus erfunden hat“.
Wegen seines Kampfes gegen die Sowjetunion wird Bandera, Leitfigur der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), immer noch in weiten Kreisen der Ukraine als Nationalheld verehrt. OUN-Kämpfer waren verantwortlich für Massaker an den polnischen Bewohnern in der Westukraine und auch an der Ermordung von bis zu 800 000 Juden durch die Deutschen. Davon wollen aber seine Anhänger bis heute nichts wissen, auch in Berdytschiw ist eine Straße nach Bandera benannt,und der städtische Chor der Stadt trällert bei diversen Veranstaltungen gerne ein Lied, das mit dem Refrain endet: „Bandera ist unser Vater..“.
Historische Ignoranz und Doppelmoral
Wir erinnern uns: Es ist noch nicht lange her, da entschied das Konstanzer Stadtparlament, Straßen umzubenennen, deren Namensträger (u.a. Gröber, Knapp, Hindenburg, Wankel, Raggenbass und Sombart) mit dem Nationalsozialismus eng mit dem NS-System verbunden waren. Soll nun diese historische Erinnerung nicht mehr gelten, wenn es aktuell um eine „Solidaritätspartnerschaft“ mit Berdytschiw geht? Interessiert das den Konstanzer Rat nicht? Sieht so aus, denn bei einem „Sondierungsgespräch“ einer Konstanzer Delegation mit Vertreter*innen der Verwaltung von Berdytschiw im vergangenen Juni zeigten sich die Konstanzer „tief beeindruckt“. Man sei überzeugt, so das Fazit der Ausflügler, eine Stadt gefunden zu haben, „die eine für beide Seiten erfolgreiche und freundschaftliche Partnerschaft auf unterschiedlichen Ebenen“ ermögliche. Die Personalie Bandera war nachweislich kein Thema.
Was hinter dem Begriff Solidaritätspartnerschaft konkret steht, ist unklar. Die ukrainische Stadt, so ist einer Vorlage für die Konstanzer Ratsmitglieder zu entnehmen, wünsche sich „wirtschaftliche Zusammenarbeit, kulturellen Austausch und Wissenstransfer“.
Text: H. Reile
Symbolbild: Pixabay
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