Heute stimmt der Kreistag unter anderem über die weitere Unterstützung der Seenotrettung im Mittelmeer ab. Dafür sollen 10.000 Euro pro Jahr ausgegeben werden – eigentlich ein Trinkgeld. Doch das ist der CDU ein Dorn im Auge, sie stellt unannehmbare Forderungen an die Rettungskräfte. Nach ihrem Willen soll vor allem die Mauer um Europa höher werden.
Der Öffentlichkeit wurden die Zustände im Mittelmeer vor allem durch den Umgang mit dem Schiff „Lifeline“ bewusst. Mit 234 Geretteten an Bord war ihm im Juni 2018 von Italien und Malta tagelang das Anlaufen eines Hafens verwehrt worden.
Daraufhin schlossen sich lokale Gruppen in ganz Deutschland zur Bewegung „Seebrücke“ zusammen. Sie forderten sichere Häfen für Boat People und andere Geflüchtete und machten politischen Druck. Im Oktober 2018 erklärte sich dann die Stadt Konstanz zum „sicheren Hafen“. „Damit positioniert sich die Stadt Konstanz öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung und erklärt sich gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die unbedingte Bereitschaft Bootsflüchtlinge aufzunehmen“, heißt es dazu.
Gut gemeint
Angesichts des Massensterbens Geflüchteter im Mittelmeer befasste sich am 9.12.2019, also vor genau fünf Jahren, dann auch der hiesige Kreistag auf einen gemeinsamen Antrag von Grünen, SPD und Linken mit dem Thema „Sicherer Hafen Landkreis Konstanz“. Zu diesem Zeitpunkt hatten mittlerweile rund 120 Kommunen Deutschlands diesen Schritt bereits getan. Mit 36 Ja-Stimmen gegen 14 Nein-Stimmen bei 9 Enthaltungen beschloss der Kreistag, die Ziele der „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ zu unterstützen – ein wenig zumindest:
„1. Öffentliche Solidaritätserklärung – Der Landkreis Konstanz erklärt sich mit Menschen auf der Flucht und den Zielen der Seebrücke solidarisch.
2. Aktive Unterstützung der Seenotrettung – Der Landkreis Konstanz positioniert sich öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer und unterstützt diese aktiv. Er übernimmt die Patenschaft und finanzielle Unterstützung für ein ziviles Seenotrettungsschiff bzw. beteiligt sich daran.
3. Der Landkreis Konstanz setzt sich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene aktiv für die Umsetzung der Beschlusspunkte 1 und 2 ein.
4. Der Landkreis Konstanz beteiligt sich an der Gründung eines Bündnisses aller „Sicheren Häfen“ in Europa zur aktiven Gestaltung einer menschenrechtskonformen europäischen Migrationspolitik. […]“
Auffällig ist, was in diesem Beschluss fehlt: Anders als von den Antragsteller*innen gefordert, wollte die Mehrheit des Kreistages aus den verschiedensten Gründen keine Geflüchteten über die festgelegte Quote hinaus aufnehmen. Das aber war in dieser Situation ein grundlegendes Problem: Die Geflüchteten, die die Fahrt über das Mittelmeer überlebt hatten, brauchten ja nicht nur irgendeinen Ankunftshafen, sondern auch ein dauerhaftes sicheres Unterkommen, Europa aber wollte sie eigentlich schon damals nicht aufnehmen.
Der Antrag
Der Sozialausschuss tagte am 18.11.2024 und empfahl dem heute Nachmittag öffentlich tagenden Kreistag mit 8 Ja-Stimmen, 4 Gegenstimmen und 11 Enthaltungen, die Seenotrettung auf dem Mittelmeer mit einem Betrag von 10.000 Euro jährlich zu unterstützen, unter deutlichem Grummeln der CDU, die rechtzeitig zur heutigen Sitzung mit einem Antrag vom 21.11. dazwischengrätscht.
Dort heißt es zwar, dass die Antragsteller sich klar für die Rettung von Schiffsbrüchigen und in Seenot Geratenen aussprechen. Es heißt aber auch: „Die weitere Unterstützung der Organisatoren von Sea Eye/Seenotrettung wird unter den Vorbehalt gestellt, dass die Organisatoren dem Landkreis bestätigen, dass sie die aus Seenot aufgegriffenen Menschen zurück zu ihrem Ursprung/Abfahrtsort, die afrikanische Küste bzw. gegebenenfalls die türkische Küste bringen. Sollte von Seiten der Organisatoren keine derartige Bestätigung erfolgen, wird die Zahlung durch den Landkreis eingestellt, da mit öffentlichen Mitteln keine Seenotrettung unterstützt werden darf, die den Schleppern als Begründung für ihr menschenverachtendes Geschäftsmodell auf dem Mittelmeer dient und die illegale Migration nach Europa im Allgemeinen und insbesondere nach Deutschland forciert.“
Die Mauer um Europa soll also höher werden, weil irgendwelche Schlepper keine Geschäfte mehr machen sollen. Im Beschluss von 2019 hieß es noch, der Landkreis Konstanz wolle sich an der „aktiven Gestaltung einer menschenrechtskonformen europäischen Migrationspolitik beteiligen“. Von Menschenrechten ist bei der CDU heute keine Rede mehr, dafür aber von Abschreckung: „Die irreguläre Migration über die Todesroute Mittelmeer muss verhindert werden. Den Menschen, die eine solche Überreise planen, muss deutlich gezeigt werden: Setzt euch nicht in die Boote, bezahlt nicht das Geld an Schlepper, begebt euch nicht in Lebensgefahr auf dem Mittelmeer, denn ihr werdet aufgegriffen und wieder zurückgebracht. Es gibt auf diesem Weg keine Überfahrt nach Europa.“ Aus Seenot zurück in Landnot.
Da ist auch wieder das alte Motiv von der Migration („irregulär“) als juristischer Frage statt als humanitärer Angelegenheit, bei der es für Tausende Menschen um Leben und Tod geht. Dies ist ein in der CDU und bei Rechtspopulisten schon länger beliebtes Argumentationsmuster, das so ähnlich immer wieder auch andernorts eingesetzt wird (die Wochenzeitung Kontext schrieb in diesem Zusammenhang von einer „Verrohung der Mitte“).
Seenotrettung als Abschiebeunternehmen?
Nun hat die CDU in ihren Antrag allerdings auch noch einen vergifteten Köder für die Seenotretter*innen eingebaut, wohl wissend, dass sie diesen niemals schlucken werden: „Sollten die Organisatoren von Sea Eye bestätigen, dass die in Seenot aufgegriffenen Menschen […] zurückgebracht werden, stehen wir einer Erhöhung der Mittel für die Organisation aufgeschlossen gegenüber.“
Dieses Bestechungsangebot der Konstanzer Landkreis-CDU, das mensch durchaus auch für einen Gipfel der Geschmacklosigkeit halten kann, hat der Sea-Eye-Vorsitzende Gorden Isler in der Süddeutschen Zeitung am letzten Freitag als „krass völkerrechtwidrig“ zurückgewiesen: „Sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention als auch die Genfer Flüchtlingskonvention verbieten grundsätzlich die Rückführung von Menschen in Staaten mit prekärer Menschenrechtslage.“ Selbst im Italien der rechtsextremen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat laut SZ das oberste „Berufungsgericht die Übergabe von Menschen an die libysche Küstenwache als Straftat eingestuft, da Libyen aufgrund schwerer Menschenrechtsverletzungen […] kein sicherer Ort sei“.
Die lebensgefährlichen Verhältnisse in Libyen können der CDU, die auf Abschreckung durch Ertrinken oder die katastrophale Rückführung nach Libyen setzt, aber nur recht sein, denn je schlimmer die Gefahr, desto größer ist ja angeblich auch die abschreckende Wirkung.
Hier haben in einer Debatte, in der es um schlappe 10.000 Euro für Humanität und Menschenleben gehen sollte, so manche Beteiligten offenbar ihren moralischen Kompass völlig verloren. Aus dem Sicheren Hafen soll nach ihrem Willen der beinahe ebenso sichere Tod werden.
Quellen: Sitzungsunterlagen 2019/279, 2024/318, 2024/365
Text: O. Pugliese, Symbolbilder: Guillaume Duez, Fabian Heinz, zur Verfügung gestellt von Sea-Eye
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