Lokomotive, Dampflok © Bild Von Harald Landsrath Auf Pixabay

Selbstmord im Flugzeug

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Lokomotive, Dampflok © Bild Von Harald Landsrath Auf Pixabay

In diesem Monat beginnt der klassische Musikbetrieb aufs Neue, und damit wird es höchste Zeit, sich um Karten und Abos zu kümmern. Die Bodensee Philharmonie (ehemals Südwestdeutsche Philharmonie) beginnt ihre neue Saison in Konstanz und Singen mit einem bunt gemischten Programm „Fasten Seat Belt“.

Musik ist eine erstaunlich universelle Art der Mitteilung, Schauspielerei und gelegentlich auch Schaumschlägerei, denn sie kann vieles wiedergeben  – wenn sie denn überhaupt etwas anderes transportiert als die Launenhaftigkeit ihrer Schöpfer: Etwa das Chaos der Elemente bei der Entstehung der Welt (Jean-Féry Rebel, Les Éléments von 1737), den Gesang von Vögeln (Messiaen, Rameau, Vivaldi, Kuckuck bei 1:18), das Gegacker auf dem Hühnerhof (ebenfalls Rameau) oder gar „Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen“ (Beethoven). Natürlich lassen sich auch „Tran und Möwen“ ebenso vertonen (Mendelssohn Bartholdy, Die Hebriden) wie der „Vogel als Prophet“ (Schumann).

… schöner als die Nike von Samothrake

Mit dem technischen Fortschritt erschloss sich die Musik dann weiteres Neuland. Berühmt wurden mit allem Recht „Die Eisengießerei“ von Alexander Wassiljewitsch Mossolow und „La fabricca illuminata“ von Luigi Nono, der dafür drei Tage lang in ein Stahlwerk ging (was natürlich nichts ist, wenn man bedenkt, dass andere Menschen dort ihr gesamtes Arbeitsleben verbringen müssen). Den Vogel schoss aber der in seiner Frühzeit überaus geniale Leo Ornstein ab (1892–2002, zäh also wie Elliott Carter). Ornsteins Klavierstück „Suicide in an Airplane“ (ca. 1918, übertroffen von desselben „A Wild Man’s Dance“, der noch heftiger in die Hackfresse der Konvention tritt) ist die futuristische Musik im Geiste Marinettis : „Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.“ Wer jemals zusammen mit einem Dutzend anderer Todesmutiger in einer rostigen Propellermaschine eine Handbreit über den Baumwipfeln zwischen Dschungelbergen hindurchgehoppelt ist, während aus den Bordlautsprechern Brian Enos „Burning Airlines Give You So Much More“ herunterrieselte, weiß sofort, dass Ornsteins „Suicide“ neben vielem anderen nicht zuletzt auch ein Meisterstück der Lautmalerei ist.

Über die Schönheit der Nike von Samothrake sagt das alles natürlich nichts aus.

Aber was läge eigentlich näher, als sich sogar eine Lokomotive kompositorisch anzueignen, ist sie doch eine denkbar perfekte Rhythmusmaschine? Die Bodensee Philharmonie beginnt ihr erstes Konzert der neuen Saison mit Arthur Honeggers (1892–1955) „Pacific 231“ (1923). In fünf Teilen – vom Stillstand übers Anfahren und der Fahrt mit Höchstgeschwindigkeit bis zum Abbremsen und Anhalten – wird die Reise der Dampflok beschrieben, die in der Entstehungszeit der Komposition zu den schnellsten und modernsten Maschinen zählte. Honegger selbst hegte großes Interesse für Lokomotiven: „Für mich sind Lokomotiven lebendige Wesen, die ich verehre, wie andere Frauen oder Pferde lieben.“ Honegger hatte mit seinem Werk aber weniger eisenbahnerische Lautmalerei im Sinn, sondern strebte nach Komplexerem: „Eigentlich war ich in diesem Stück auf der Spur eines sehr abstrakten und ziemlich idealen Konzepts, indem ich den Eindruck einer mathematischen Beschleunigung des Rhythmus vermittelte, während sich die Bewegung selbst verlangsamte. Musikalisch habe ich eine Art großes, vielfältiges Chorwerk komponiert, durchzogen von Kontrapunkten im Stil von Bach.“

Bodensee Philharmonie, Gabriel Venzago © Veranstalter
Bodensee Philharmonie mit Gabriel Venzago © Veranstalter

Club der 30-Jährigen

Als er „Pacific 231“ komponierte, war Honegger 30 Jahre alt – genauso alt wie Beethoven bei seiner 1. Symphonie (1800). Mit ihr legte der Klassiker schlechthin den Grundstein zu einer Reihe von Sinfonien, die einen prägenden Einfluss auf seine musikalische Nachwelt haben sollte. Deutlich ist die Inspiration durch seine Vorbilder Mozart und Haydn hörbar, doch klingen immer wieder seine revolutionären Ideen und sein eigenes musikalisches Genie durch. Bei der Uraufführung in Wien übernahm Beethoven selbst die Leitung und improvisierte am Klavier. Die Premiere wurde ein großer Erfolg, und die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung staunte: „Das war wahrscheinlich die interessanteste Akademie seit langer Zeit.“

Ein Erfolg war auch Richard Strauss‘ „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ (1894/95). Das Werk des damals ebenfalls erst 30-jährigen Komponisten ist auch heute noch eines seiner meistgespielten Orchesterstücke. Auf einen nachkomponierten Prolog folgen vier Episoden, die Till Eulenspiegels Streiche musikalisch illustrieren. Er selbst wird mit leitmotivartigen Themen, die im Laufe des Werks variieren, repräsentiert. Claude Debussy, der eine Aufführung in Paris rezensierte, stellte amüsiert fest: „Dieses Stück gleicht ‚einer Stunde neuer Musik bei den Verrückten‘.“

Abschließend erklingt Maurice Ravels in einem riesigen Crescendo anschwellende Orchesterkomposition „Boléro“. Uraufgeführt wurde das Werk unter donnerndem Applaus 1928 in der Pariser Oper. Bis heute hält die faszinierende Wirkung der Musik an: Durch die stetige Wiederholung desselben Motivs, wechselnde Klangfarben und immer weiter fortschreitende Steigerung der Lautstärke entwickelt das Stück einen Sog, der in ein ganz eigenes Zeitempfinden führt. Dies traf den Nerv der Entstehungszeit – und reizt bis heute zur Auseinandersetzung: Alle 15 Minuten wird diese Komposition irgendwo auf der Welt gespielt.

Manche musikliebenden Menschen finden ja, das sei viel zu oft …

Praktische Informationen

Programm

Arthur Honegger (1892-1955): Pacific 231
Ludwig van Beethoven (1770-1827): 1. Sinfonie
Richard Strauss (1865-1949): Till Eulenspiegels lustige Streiche
Maurice Ravel (1875-1937): Boléro

Mitwirkende

Südwestdeutsche Philharmonie, Gabriel Venzago (Chefdirigent)

Konzerte

Freitag, 20. September, um 19.30 Uhr im Konzil in Konstanz
Samstag, 21. September, um 19.30 Uhr in der Stadthalle Singen
Sonntag, 22. September, um 18.00 Uhr im Konzil in Konstanz
Mittwoch, 25. September, um 19.30 Uhr im Konzil in Konstanz
In Konstanz findet eine Stunde vor Konzertbeginn eine Einführung mit Gabriel Venzago im Studio der Philharmonie, Fischmarkt 2, statt.

Karten für Konstanz

– Bodensee Philharmonie, Karten- und Abobüro, Fischmarkt 2, 78462 Konstanz, Telefon: 07531 900-2816. Fax: 07531 900-122816, Mail abo@konstanz.de, Öffnungszeiten Mo. bis Fr. 9–12.30 Uhr, www.bodensee-philharmonie.com
– Theaterkasse im KulturKiosk, Wessenbergstr. 41, 78462 Konstanz, Telefon: 07531 900-2150, Mail Theaterkasse@konstanz.de, Öffnungszeiten Di. bis Fr. 10–18.30 Uhr, Sa. 10–13 Uhr.
– Tourist-Information am Bahnhof Konstanz, Bahnhofplatz 43, 78462 Konstanz, Öffnungszeiten April bis Oktober: Mo bis Fr. 9:00–18:30 Uhr, Sa. 10:00–16:00 Uhr, So. 10:00–13:00 Uhr; November bis März: Mo. bis Fr. 9:30–18:00 Uhr.
– Ortsverwaltungen Dettingen-Wallhausen, Dingelsdorf und Litzelstetten (jeweils nur Schalterverkauf, kein Kartentausch).
– Internet: Über die neue Seite der Philharmonie (ab ca. 5. September 2024).

Karten für Singen

Aboservice & Ticketing Stadthalle, Hohgarten 4, 78224 Singen, Di. und Do. jeweils 11:00–13:00 Uhr sowie nach Vereinbarung, Tel. 07731 85-504, Mail aboservice.stadthalle@singen.de  
Bei allen Reservix-Vorverkaufsstellen und im Internet: www.stadthalle-singen.de sowie im Ticketshop.

Text: Harald Borges unter Verwendung einer Medienmitteilung der Stadthalle Singen, Bilder: Veranstalter (Orchester mit Gabriel Venzago) und Harald Landsrath auf Pixabay – diese Dampflok hat nicht die die für das Orchesterstück namensgebende Achsfolge 231 („Pacific“); bei der abgebildeten Lok handelt es sich vielmehr um die Personenzuglokomotive 38 3199, die 1921 in Breslau bei der Linke-Hofmann-Werke Aktiengesellschaft in Breslau mit der Fabriknummer 2276 gebaut wurde, bis 1998 in Rumänien in Dienst stand und noch heute als relativ gut erhaltene Museumslok gelegentlich im Einsatz ist). Lesen Sie hierzu bitte den Kommentar von Franz-Josef Stiele-Werdermann weiter unten.

2 Kommentare

  1. Borges

    // am:

    Herzlichen Dank für die Richtigstellung. Da habe ich, dessen Erfahrungen als fanatischer Modelleisenbahner bereits einige Jahrzehnte zurückliegen, bei der Achsfolge einfach Mist gebaut. Zerknirschte Grüße, Harald Borges

  2. Franz-Josef Stiele-Werdermann

    // am:

    Besser uffbasse!
    Als Spaßbremse bin ich nicht geeignet, aaaaaber:
    Das Foto der Lokomotive ist gut, aber falsch ausgesucht oder falsch beschrieben. Die Lokomotiv-Baureihe 38 war noch nie eine Pacific und schnell war sie auch nicht, die war für alles da und hatte die Achsfolge 2 C… schaut mal nach der preußischen P8.
    Die sog. Pacific war jedoch eine 2 C 1 und war ein etwas schnellerer Flitzer, zu finden als deutsche Baureihe 01, 03, 18, die bayrische und württembergische S 3/6, die englische Rekordlokomotive Mallard oder eben die französische namensgebende Pacific. Also, Jungs und Mädels, nehmt nicht alles für bare Münze, was man Euch auf den Tisch legt.
    Freundliche Grüße von FJ Stiele-Werdermann

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