Fair erzeugte Bio-Produkte mit einer Portion politischer Aufklärung – das gibt es in Konstanz seit 43 Jahren nur im Weltladen. Hier wird präsent, was sonst gerne vergessen wird: Hinter jeder Ware stehen Menschen und eine Geschichte, meist eine von Kapitalismus und Ausbeutung. Aber wie geht es mit dem Weltladen weiter?
Kommende Woche informiert das Weltladen-Team an einem Infoabend über die Zukunft des Projekts, das auch früher enorm wichtig war – wie der folgende Beitrag aus der ehemaligen Stadtzeitung Neues Nebelhorn zeigt. Der Artikel erschien im Dezember 1991, vor 33 Jahren also. Geschrieben hatte ihn Delf Bucher:
Konstanzer Weltladen: „Jute statt Plastic“, Alpacapullover und die dampfende Tasse mit Nica-Kaffee, das war die Dreieinigkeit früherer Protestkultur. Die früheren Szenerenner sind heute die Ladenhüter der Dritt-Welt-Läden geworden und das Thema Dritte Welt ist längst aus dem Problembewußtsein auch der kritischen bundesdeutschen Öffentlichkeit entschwunden. Unangefochten vom Abflauen der Tri-Kont-Solidarität: Der Konstanzer Dritte-Welt-Laden macht weiter Aufklarungsarbeit über die Ausbeutung der Dritten Welt – und das schon seit zehn Jahren.
Samstag 16. November: Der Dritte-Welt-Laden in der Inselgassse 20 ist gesteckt voll. Die Aktion zu Quinoa nebst kulinarischem Test lockt viele in den Laden. Quinoa, eine Scheingetreideart aus dem bolivianischen Hochland, ist immer mehr auf dem Rückzug der Felder der Indios. Staatlich subventionierter US-Exportweizen verdrängt immer mehr das alte Grundnahrungsmittel, das bereits vor 5000 Jahren in den Anden bekannt war.
Die „Waffe Weizen“ aus den USA richtet sich erbarmungslos gegen die Hochlandbauern und umhängt sich dabei noch nebenbei mit dem Mäntelchen der Barmherzigkeit. Nun sollen westliche Vertriebsmöglichkeiten den Produzent:innen des traditionellen Nahrungsmittels ein wirtschaftliches Standbein schaffen. Politische Informationen und Verkauf gehen Hand in Hand oder, wie es Johannes Augenstein formuliert: „Der Schwerpunkt der Weltladenarbeit ist immer der bewußtseinsbildende Aspekt.“
Besetzer:innen ohne Kanäle
Nur die Konstanzer:innen finden nicht immer so den Weg in den Niederburg-Laden wie am Quinoa-Aktionswochenende. Eine Woche darauf beispielsweise ist der Weltladen leer. Hier mal einer, der sich eine Karte mit Indio-Idylle kauft; dort eine, die sich einen Nica-Kaffee über die Ladentheke reichen läßt. Als Thomas Rapp dann um 13.30 Uhr den Laden schließt, ist wenig Geld in die Kasse gekommen.
Die Inselgasse liegt weitab vom Schuß, der Umsatz ist seit dem Umzug von der Zollerngasse in die Niederburg deutlich gesunken. „Das hat aber nicht nur mit dem Standort zu tun“, wendet Johannes Augenstein ein. Denn der Umsatz stützt sich vor allem auf zwei Säulen ab: Tee und Kaffee. Und den umsatzträchtigen Biotee aus Sri Lanka hat der Dritte-Welt-Laden aus den Regalen verbannt. Zu undurchsichtig sei der Handel mit Tee aus dem Bürgerkriegsland Sri Lanka, und die geflochtenen Körbchen für den Biotee setzt wohl über 1300 Frauen ins Brot, aber Körbchenflechten für die Wegwerfgesellschaft erscheint den Konstanzer:innen nur als fragwürdiges „Verpackungsprojekt“.
Ein anderer Tee findet sich nun im Regal unter dem Namen „ekta“. Der Tee stammt aus dem ostindischen Bundesstaat Tripura, wo vor Jahren arbeitslose Teepflücker:innen brachliegende Plantagen besetzten. Die Vermarktungskanäle, von Großgrundbesitzern beherrscht, waren für die Besetzer:innen nicht zugänglich. Jetzt werden sie unter dem Namen ekta in den Dritte-Welt-Läden vermarktet.
Handel wider die kapitalistische Krämerlogik
Eine Entscheidung, welcher Tee im Warenregal feilgeboten wird, zeigt schon die politische Ausrichtung der Konstanzer Welt-LädlerInnen: Nicht die Logik des Krämers (welcher Tee bringt den größten Umsatz?) entscheidet, sondern die politische Ausrichtung des Projekts. Die indischen Besetzer:innen haben den Vorzug gegenüber einem nicht-durchschaubaren Körbchenflechtprojekt. Nicht der Umsatz entscheidet, sondern die politische Aufklärung.
Das war nicht immer so. Unter dem Motto „Gerechtigkeit statt Almosen“ und „Hilfe durch Wandel“ trat die Dritte-Welt-Laden-Bewegung in den siebziger Jahren auf. Mit dem Dritte-Welt-Handel sollten Perspektiven einer selbstbestimmten Entwicklung sowie einer Alternative zu den herkömmlichen Handelsstrukturen aufgezeigt werden.
Nach zehn Jahren ist die Illusion, mit alternativem Handel den Produzent:innen in den Dritten-Welt ein ökonomisches Standbein zu schaffen, der Ernüchterung gewichen. „Volkswirtschaftlich betrachtet ist der alternative Handel nur von recht begrenztem Nutzen“, stellt Johannes Augenstein fest. Als Vertriebsorganisator von Nicaragua-Bananen im süddeutschen Raum weiß er genau, wovon er spricht. Die jährlich alternativ vermarkteten hundert Kisten Nica-Bananen nehmen sich im Vergleich zum BRD-Umsatz mit einem Prozent recht bescheiden aus. Und das, obwohl sich das alternative Handelsnetz im vergangenen Jahrzehnt erheblich ausgeweitet hat. Immerhin: Fünfhundert Dritte-Welt-Läden sind bei der „Aktion Dritte Welt Handel“ registriert und die Umsatzzahlen sind auf den ersten Blick vielversprechend. Doch Johannes kontert: „Es hat die Ausweitung des Umsatzes gegeben, nicht die Ausweitung der Entwicklungsperspektive.“
Alternative Quelle-Versand
Die Solidaritätsbewegung spricht von einem „verlorenen Jahrzehnt“ für den Tri-Kont. Im Zeichen von Schuldenkrise, verfallenen Rohstoffpreisen und IWF-Diktat sind die Länder an der Peripherie um jede Entwicklungschance beraubt worden. Rezepturen wie früher, wo im Zeichen des Ost-West-Konflikts sich noch Spielräume für die Dritte-Welt-Länder abzeichneten, sind heute zugeschüttet; eine sozialistische Konzeption für die Dritte-Welt-Länder ist mit dem Fall der Mauer und der UdSSR vorerst ad acta gelegt.
Diese beklemmende Situation für den Tri-Kont schlägt sich auch in der Diskussion der Dritte-Welt-Laden-Bewegung nieder. Und wie überall, wo selbstverwaltete Genossenschaften in die Krise kommen, heißt auch im Dritte-Welt-Handel das Losungswort: Kommerzialisierung und Professionalisierung. Triebkraft ist dabei die Gepa (Gesellschaft für Partnerschaft in der Dritten Welt mbH), die über einer Handelsausweitung auch die „ganz normalen Menschen und ihre Einkaufsorte“, sprich: die Supermärkte, beliefern will.
Auch ein Versandkatalog soll den Absatz der alternativen Dritte-Welt-Ware steigern. Die Weltläden selber würden dabei zur Auslieferungsstelle eines „Alternativ-Quelle-Versands“ verkommen. Eine Perspektive, die in Konstanz, aber auch für andere Läden, für die der Handel unzertrennlich mit Aufklärungsarbeit verbunden ist, nicht tolerierbar ist.
Für den Eigenbedarf produzieren
Für Johannes ist denn auch klar, „dass es Schwachsinn wäre, Produkte ohne Information zu verkaufen“. Daß sich Supermärkte mit dem Etikett des fairen Handels aufpolieren dürfen, und nur ein Regal weiter Obst aus [dem damaligen Apartheid-Staat] Südafrika und Kaffee aus El Salvador steht, ist für sie unakzeptabel.
Auf der anderen Seite argumentiert er, dass eine Ausweitung des Handels das langfristige Ziel, statt Kolonialprodukte wie Kaffee, Tee und Zucker, Nahrungsmittel für den Eigenbedarf anzubauen, gründlich verfehlt. Von Exportabhängigkeit bleiben die Genossenschaften im Tri-Kont auch beim alternativen Handel nicht verschont. Mit dem Abschied von der Alpaca-Mode in der westdeutschen Alternativszene ist für viele peruanische und bolivianische Kooperativen ein wichtiges Standbein abgesägt worden.
Das Guatemala-Projekt
Die Kritik der Konstanzer Aktivist:innen richtet sich nicht prinzipiell gegen Handelsausweitung. Beispielsweise hat Christian Hagmann über Jahre Verbindungen zu guatemaltekischen Gruppen aufgebaut. Die bunten Textilien und Stoffe der Frauenselbsthilfevereinigungen Conavigua nehmen so auch heute den größten Raum im kleinen Laden ein. Und Christian vertreibt auch die Waren für andere Läden.
Nur: trotz des ausgedehnten Handels verliert er die ursprünglichen Projektkriterien nicht aus den Augen. Man kennt die Projekte und unterstützt mit erzieltem Überschuss politische Gruppen wie die Vereinigung der Angehörigen der Verschwundenen (Gan) oder die Kleinbauernorganisation (CUC) und die deutsche Guatemala-Infostelle.
Und was ebenso wichtig ist: Im Dritte-Welt-Laden beschäftigt sich die Guatemalagruppe mit der politischen Situation in dem mittelamerikanischen Land. Politische Unterstützungsarbeit, Aufklärung und Handel gehen so zusammen. Ein Projekt, das auch im Zeichen der Kommerzialisierung seinen Grundsätzen treu geblieben ist.
Originaltext (NNH Nr. 31, 12/91, Seiten 20-21): Delf Bucher
Fotos: Pit Wuhrer
Veranstaltungshinweis:
Wer mehr über den Weltladen und die Arbeit der Kollektivs wissen möchte: Am Donnerstag, 21. November, beginnt um 19 Uhr die Veranstaltung „Der Weltladen im Umbruch“. Wie geht es weiter mit dem Weltladen, der seit über vierzig Jahren ein unverzichtbarer Teil der Konstanzer Zivilgesellschaft ist?
Darüber wird an diesem Abend im Café Mondial informiert und diskutiert. Wer an einer nachhaltigen, ökologischen und ausbeutungsfreien Welt interessiert ist, möge kommen! Moderation: Martin Lang, Regionalpromotor für die Weltläden im Bodenseeraum.
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