Henri-Georges Chartier (1859–1924), La reprise de Douaumont, le 24 octobre 1916 © Gemeinfrei via Wikimedia

Schrecken ohne Ende?

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Henri-Georges Chartier (1859–1924), La reprise de Douaumont, le 24 octobre 1916 © Gemeinfrei via Wikimedia
Henri-Georges Chartier (1859–1924), La reprise de Douaumont, le 24 octobre 1916

In den letzten Monaten ist der Ruf nach Aufrüstung und Verteidigungs- bzw. Kriegsbereitschaft häufiger zu hören und auch in Deutschland quer durch die politischen Lager wieder salonfähig geworden. Die Lehren aus Weltkrieg und Kaltem Krieg scheinen vergessen.

Die Linke Konstanz kritisiert diese Aufrüstungspolitik in einer aktuellen Medienmitteilung:

„Die eigentliche Tragik besteht darin, dass sich beide Seiten im Recht sehen: Die eine Seite sieht sich von der anderen bedroht und behauptet, die eigenen Waffen dienen einzig der Verteidigung und dem Ausgleich der Gefährdung. Die andere Seite glaubt diesen Worten nicht und ergreift selbst neue Maßnahmen zur Erhöhung des eigenen Bedrohungspotentials.“ Die Logik dieses Teufelskreises der Aufrüstung hätten wir eigentlich im Zuge des Endes des Kalten Krieges für überwunden geglaubt, so Lars Hofmann, Mitglied der Linken Konstanz. „Dass eine Eskalationsspirale gegenseitiger Vernichtungsdrohungen keiner Seite ein Mehr an Sicherheit bieten, hatten doch alle mal kapiert.“ In der Zeitenwende scheint wohl aber dieser zivilisatorische Fortschritt abhanden zu kommen.

Die Stationierung von weitreichenden Marschflugkörpern und Hyperschallwaffen der US-Amerikaner in Deutschland ploppte während des Sommerlochs auf, als der Bundeskanzler diese eigentlich bereits beschlossenen Pläne en passant während eines NATO-Gipfels im Alleingang verkündete. Einerseits irritierte die Idee der Abschreckung als alleiniges Mittel bundesdeutscher Russlandpolitik. Natürlich muss die Politik aus dem Angriffskrieg Konsequenzen ziehen, aber: Im Kalten Krieg haben es offenkundig tief verfeindete Konfliktparteien hinbekommen, langfristige Rüstungskontrollmechanismen in einem gewissen Rahmen umzusetzen und einzuhalten. Und ja, genau an diesem Punkt müssen Deutschland und die Europäische Union mit Russland in Kontakt treten: Auch wenn es komfortabler ist, mit Freunden zu reden, scheint es ratsam, sich in manchen Fragen auch mit Feinden abzustimmen. Und Rüstungskontrolle liegt der Sache nach im Interesse aller Seiten – natürlich bis auf die Militärindustrie.

Rüstungskontrolle passé?

Rüstungskontrolle hat nach dem Zusammenbruch der UdSSR immer weniger Rückhalt, den letzten Todesstoß gab dann Donald Trump, der allerdings auch konsequenterweise gleichzeitig das Militärbündnis NATO torpedierte. Gerade angesichts des nicht unwahrscheinlichen Szenarios, dass Trump eine zweite Amtszeit beschert wird, scheint US-amerikanisches Militärarsenal hier vor Ort eher als Multiplikator der Verunsicherung.

„Die Diplomatie und die Prävention von Krisen im Rahmen gemeinsamer Abkommen sind anscheinend aus der Zeit gefallen. Wir als Linke fordern, dass sich die Bundesrepublik in ihrer Außenpolitik endlich wieder darum bemüht, internationale Strukturen und Rechtsordnungen zu stärken und den Weg für Rüstungskontrollabkommen zu bereiten!“ Laut Sibylle Röth, Kreisrätin der Linken, wird langfristige Sicherheit eben nicht durch Abschreckung geschaffen. Eher werde die Verängstigung noch vergrößert, wird Bewaffnung doch nie vollständige Sicherheit schaffen. „Wenn jemand neben einer geladenen Pistole schläft, ist sein Abschreckungspotential vermutlich hoch, aber gewiss würden wir diese Situation nicht als sicher wahrnehmen, oder?“ Sicherheitsstrukturen wie eine Rechtsordnung und eine Polizei, aber auch ein funktionierendes Sozialsystem, das keinen Menschen hungern oder ohne Obdach lässt, dies wären nach Sibylle Röth verlässlichere Garanten für ein sicheres Leben und einen angenehmen Schlaf.

König von Deutschland

„Herr Scholz ist nicht der König von Deutschland. Auch wenn er noch so sehr an die Zeitenwende glaubt, eine massive Umgestaltung der bundesdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik bedarf einer parlamentarischen und einer gesellschaftlichen Diskussion und Legitimation“, so Lars Hofmann zum zweiten irritierenden Moment. Es ist eben keineswegs so, dass ein breiter übergreifender Konsens zum Thema der Aufrüstung bestünde, gerade in Ostdeutschland sähen die Bürger:innen diese Initiativen skeptisch.[1] Somit ersetzt eine Debatte im Präsidium der SPD keineswegs demokratische Prozesse der Willensbildung. Die Regierung hat bei dieser so entscheidenden Frage offensichtlich ihren politischen Kompass verloren.

Die Außenministerin findet offensichtlich in der Abschreckung die letzte Garantie für Frieden, viele Bürger:innen sehen dies anscheinend anders: Gerade in Ostdeutschland ist ein Hauptkritikpunkt die Angst, durch die Stationierung steige die Gefahr, Ziel eines Angriffs zu werden. Der Frieden Frau Bärbocks geht demnach mit einer existentiellen Bedrohung einher. In der kurzen medialen Debatte wurde Rolf Mützenich von der SPD nur deswegen zum enfant terrible, weil er auf die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation hinwies.[2] Letztlich ist der entscheidende Punkt, dass Abrüstung und internationale Kontrollverträge keine Instrumente der bundesdeutschen Außenpolitik mehr sind. Aber ohne die Diplomatie bleibt nur die Hoffnung, Waffen könnten dazu beitragen, nicht eingesetzt zu werden.

Die Debatte wurde durch die Fußball-EM und die olympischen Spiele schon in ihrem Aufkommen begraben. Aber auch wenn sich in diesem Deutschland kaum lautstarker Widerstand gegen die Aufrüstung regt, so ist doch die Bevölkerung keineswegs mehrheitlich von dieser Politik der Zukunftskoalition überzeugt.[3] Diesen skeptischen Stimmen gibt die Linke im Bundestag Raum: „Wir haben 20 Jahre lag ohne diese Raketen leben können. Die waren Ergebnis ja auch von Abrüstungsverträgen. Ich habe das immer begrüßt und die sind ja zu Zeiten zustande gekommen, als es noch Blockkonfrontation gab. Jetzt diese Tomahawks zu stationieren, fördert nicht die Sicherheit, sondern wird zu einem Wettrüsten (…) führen“, so Dietmar Bartsch, verteidigungspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag.[4] Eine lebenswerte Zukunft verlangt eine Rückbesinnung auf die Maxime, dass Waffen keinen Frieden schaffen.“

[1] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/mdrfragt-umfrage-ergebnisse-waffen-raketen-stationieren-nato-100.html
[2] https://www.tagesschau.de/inland/baerbock-raketen-stationierung-100.html
[3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article252917192/Umfrage-Stationierung-von-US-Raketen-in-Deutschland-schuert-Furcht-vor-Eskalation-mit-Russland.html
[4] https://www.dielinkebt.de/themen/nachrichten/detail/raketenstationierung-verlaengert-den-krieg/

Text: MM/red., Bild: Henri-Georges Chartier, Reprise du Fort de Douaumont par l’infanterie française, 1916, Paris, Musée de l’Armée, gemeinfrei via Wikimedia Commons.

5 Antworten

  1. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    danke Lothar Hussong. So ausführlich wollte ich nicht schreiben, aber das spricht mir aus dem Herz und geht mit dem Verstand einher. Verhandeln sollte man trotzdem, wohl wissend mit wem man es zu tun hat. Aus einer Position der Schwäche wird das nichts.

  2. Lothar Hussong

    // am:

    In der Tat war die damalige Abschreckungspolitik durch immer mehr Waffen auf beiden Seiten an einem Punkt angelangt, der absurde Züge annahm: welches Mehr an Sicherheit sollte es bringen, noch mehr Atomraketen zu stationieren, wenn schon die vorhandenen in der Lage sind, die Welt gleich mehrmals zu vernichten? Die Bezeichnung „atomarer Overkill“ machte die Runde, die Friedensbewegung erlebte immer mehr Zulauf ob der absurden Ausmaße der gegenseitigen Aufrüstung. Abrüstung, auch einseitige, sollte dazu führen, die Rüstungsspirale zu stoppen und Schritt für Schritt umzukehren, basierend auf dem Vertrauen in den jeweiligen Friedenswillen der „anderen Seite“ und der uneingeschränken Anerkennung des Völkerrechts aller Beteiligten. Gorbatschov war dann die Personifizierung dieses Friedenswillens der Sowietunion, der letztendlich den Durchbruch der beidseitigen Abrüstung brachte. Bei vielen Vergleichen der heutigen Weltlage mit dem Kalten Krieg und den – damals richtigen – Forderungen nach Abrüstung mit den heutigen Gegebenheiten wird meines Erachtens ein wesentlicher Aspekt übersehen: „Damals“ ging es darum, die Gefahr eines noch nicht ausgebrochenen Krieges zu reduzieren und ein Ausbrechen gar vollständig zu verhindern, jedenfalls in Europa. Dieser Zustand schien zu Beginn der 1990er Jahre tatsächlich greifbar nahe. Es bestand eben „nur“ die Gefahr eines möglicherweise real ausbrechenden Krieges zwischen den Blöcken, den eigentlich, so die begründete Annahme, niemand wollte – weder im Westen, noch im Osten. Im Unterschied zu damals haben wir es aber heute mit einem real existierenden, das Völkerrecht missachtenden Eroberungskrieg Russlands in Europa zu tun. Dies erfordert eine völlig andere Politik als die, die damals richtig war. Das Ziel heute ist die Beendigung des Krieges. Das Ziel damals war es, einen Krieg nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Grundlage war gegenseitiges Vertrauen in den Friedenswillen der jeweils anderen Seite.
    Putin wird auf Abrüstung der Ukraine nicht mit eigener Abrüstung antworten, sondern mit der endgültigen Eroberung der Ukraine und der Vernichtung jedweder demokratischer Bestrebungen der Bevölkerung. Es ist eben nicht so, dass irgendjemand das Vertrauen haben könnte, er wolle keinen Krieg. Ohne militärischen Widerstand hat er keinen Grund zu verhandeln. Er wird ihn bei keiner Gegenwehr auf dem Schachtfeld zu Ende bringen, nicht mit Zugeständnissen bei Verhandlungen.
    Weil die Situation so fundamental anders ist als in der Abrüstungsphase nach dem Kalten Krieg, muss auch die Politik eine andere sein. Abrüstung funktioniert leider nicht. Sie führt in Europa nicht zu Frieden, sondern allenfalls zu einer Grabesstille über den verwüsteten Schlachtfeldern. Abschreckung ist nicht das, was man sich im Zusammenleben der Völker wünscht, aber sie scheint mir leider die derzeit einzige Möglichkeit, Putin die Schranken zu zeigen. Woher soll das Vertrauen kommen, dass er sich auf die Ukraine beschränken wird? Vertrauen war ein wesentlicher Schlüssel für Abrüstung nach dem Kalten Krieg. Putin hat es komplett zustört. Ich verstehe Politiker nicht, die das nicht sehen wollen und so tun, als könne man sich mit ihm in irgeneiner Weise arrangieren. Die Nato reagiert mit der Stationierung neuer Waffensysteme folgerichtig und – leider – konsequent richtig. Das ist auch für mich, einen damals „friedensbewegten“ und Nato-kritischen überzeugten Wehrdienstverweigerer, eine bittere Erkenntnis. Was damals richtig war, ist es heute nicht mehr, nicht weil ich andere Ansichten habe, sondern weil die Weltlage eine andere ist.

  3. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    Sozialaufgaben könnte man ohne Rüstungsausgaben besser finanziell stemmen. Das könnte man, nur schaut auf unsere Geschichte, die politische Realität war und ist eine gänzlich andere. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes ist das Gegenteil passiert. Es gab seit dem zweiten Weltkrieg keine Zeitspanne in der der Sozialabbau derart voran getrieben wurde, wie zwischen den Neunziger Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Gesparte Militärausgaben zugunsten der Sozialausgaben oder der Bildung auszugeben, fand nie statt und wird auch nicht in der näheren Zukunft statt finden. Man kann es beklagen, doch die politische Situation ist leider keine andere. Halbherzige Versuche innerhalb der Ampel wurden von der FDP verwässert und zunichte gemacht. Die Schere zwischen Reich und Arm ist immens, wächst immer weiter an. Die CDU wird dies nicht ändern, egal wie sie von AfD oder BSW vor sich her getrieben wird. Die Ampelparteien sind zur Zeit fast am Ende, zumindest sind die Chancen, dass SPD oder die Grünen sich in Teilen noch durchsetzten könnten gleich Null. Erhöhte Rüstungsausgaben sind bestenfalls das Feigenblatt der neoliberalen Kräfte, um die mittlerweile Jahrzehnte dauernde Umverteilung von unten nach oben zu verschleiern. Rüstungsausgaben versus Sozialausgaben sind nicht mehr als eine Stellvertreterargumentation, die den Istzustand eines Systems in dem Reiche immer reicher werden manifestiert.
    Der derzeitigen russischen Regierung ist nicht zu trauen, eher alles zuzutrauen. Ich bin nicht für Krieg, denke aber, dass offensichtlich mangelnde Verteidigungsfähigkeit dazu einladen kann. Warum keine Reichensteuer, keine Anhebung des Spitzensteuersatzes und vernünftige Änderungen in der Erbschaftssteuergesetzgebung zugunsten der Rüstungsausgaben?

    In der historischen Einschätzung stimme ich Herrn Daub und Frau Gutenthaler weitestgehend zu, das brauche ich nicht zu wiederholen.

  4. Petra Gutenthaler

    // am:

    Ich gebe Herrn Daub recht. Wieder einmal wird die Geschichte für die eigenen Zwecke geframt.
    Das viele der Linken inzwischen in einer eigenen gefühlten Realität leben ist ja auch nichts neues mehr.

    „Im Kalten Krieg haben es offenkundig tief verfeindete Konfliktparteien hinbekommen, langfristige Rüstungskontrollmechanismen in einem gewissen Rahmen umzusetzen und einzuhalten“

    Die START Verträge (Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen), die im Artikel zwar nicht explizit genannt werden, auf die aber angespielt wird, wurden erst 1991 fünf Monate vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion unterzeichnet. Das war also längst nach der heißen Phase des Kalten Krieges.

    weiter heißt es im Artikel:

    „Rüstungskontrolle hat nach dem Zusammenbruch der UdSSR immer weniger Rückhalt, den letzten Todesstoß gab dann Donald Trump, der allerdings auch konsequenterweise gleichzeitig das Militärbündnis NATO torpedierte“

    Das Framing des bösen Amis darf ja in keiner guten Linken Geschichte fehlen.
    Trump sprach sich lediglich gegen eine Verlängerung der New START Verträge aus.
    2021, unter Biden, wurde der New START Vertrag zwischen den USA und Russland allerdings um fünf Jahre verlängert.
    Im August 2022 setzte Russland die Kontrollen im Rahmen des Vertrages aus. Ein Jahr später setzte Putin die Teilnahme am Vertrag dann ganz aus.
    Dies bleibt leider in dem Artikel gänzlich unerwähnt. Passt wohl nicht ins eigene Framing.
    Ich kenne Frau Röht nicht und weiß daher nicht, ob sie den Kalten Krieg miterlebt hat.
    Ihre Schlüsse sind aber falsch. Die Verhandlungen mit der Sowjetunion/Russland erfolgten, wie Herr Daub ja schon erwähnte, aus einer Position der Stärke heraus.
    Diese hat Deutschland im Moment nicht.

    Weiter wird sie mit folgender Aussage im Artikel erwähnt.

    „Sicherheitsstrukturen wie eine Rechtsordnung und eine Polizei, aber auch ein funktionierendes Sozialsystem, das keinen Menschen hungern oder ohne Obdach lässt, dies wären nach Sibylle Röth verlässlichere Garanten für ein sicheres Leben und einen angenehmen Schlaf.“

    Hier werden zwei Sachen vermischt. Was sie nennt sind die Aufgaben eines Rechts- und Sozialstaates.
    Diese sind zwar Garanten für ein sicheres Leben in diesem Staat, sie nützen aber nichts, wenn der Nachbar einem, wie in der Ukraine, überfällt.
    Dies kann man eben nur mit einem gewissen Abschreckungspotenzial verhindern.

  5. Wolfgang Daub

    // am:

    Schön, wie immer wieder die Wirklichkeit verdreht wird!

    Die Entspannungs- & neue Ostpolitik von Willy Brandt basierte auf einer Position der Stärke!

    Damals wurden 3,5 Prozent des bundesdeutschen BIP für Verteidigung ausgegeben!

    Und die massive Abrüstung kam erst nach massiver Aufrüstung durch Präsident Reagan in den USA sowie die Kanzler Schmidt und Kohl in der BRD zustande!

    Nur zur Erinnerung: nur mittels Sonderschulden und Rechentricks kommt die Ampel auf Verteidigungsausgaben von gerade einmal 2 Prozent des BIP!

    Polen gibt derzeit das Doppelte, also 4 Prozent aus! Warum wohl!

    Und: Putin und Russland haben so gut wie nichts mit der Sowjetunion zu tun!

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