Rudi Goguel 1946 © Rosgartenmuseum/Familie Goguel

Rudi Goguel: Sozialist und Widerstandskämpfer

Ein Kommentar

Rudi Goguel 1946 © Rosgartenmuseum/Familie Goguel
Rudi Goguel 1946, Quelle: Rosgartenmuseum/Familie Goguel

In „Konstanz literarisch“ ist Manfred Bosch der kulturellen Tradition der Stadt über fünf Jahrhunderte hinweg nachgegangen. Seemoz porträtiert in lockerer Folge einige der dort vorgestellten Personen. Im Vordergrund stehen freiheitliche, demokratische und antifaschistische Traditionslinien im 19. und 20. Jahrhundert. Der letzte Beitrag dieser Serie widmet sich dem Sozialisten Rudi Goguel, der einst den Südkurier vergesellschaften wollte.

Der aus Straßburg stammende Sozialist und Widerstandskämpfer Rudi Goguel (1908–1976) lebte zwischen 1946 und 1952 in Konstanz; sein letzter und am längsten beibehaltener Wohnsitz war die Allmannsdorfer Straße 95. Er hatte sich Ende der zwanziger Jahre der KPD angenähert, leistete aktiven Widerstand und wurde mehrmals wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu insgesamt zehn Jahren Konzentrationslager bzw. Zuchthaus verurteilt. Über seine erste Haft im Emslandlager Börgermoor, wo er die Melodie des international bekannten Moorsoldatenliedes komponierte, berichtet sein 1947 erschienenes Buch Es war ein langer Weg, das er in seinem Vorwort einen „Rechenschaftsbericht“ nennt. Das Buch erschien im Folgejahr auch im Singener „Volksverlag“.

Redakteur gemäß Parteienproporz

Nach der Befreiung zog Goguel, der als einer der wenigen die Bombardierung einer Häftlingsflotte durch die Briten auf der „Cap Arcona“ überlebt hatte, nach Konstanz, wo ihn seine Verlobte Lydia Bleicher erwartete. Sie war 1935 von Düsseldorf an den Bodensee gezogen, um bei ihrer Freundin, der Fotografin Anne Winterer, eine Ausbildung zur Fotografenmeisterin zu absolvieren. Seit Sommer 1945 war Goguel als „Referent für politische Wirtschaftsprüfung“ an der IHK Konstanz mit der Entnazifizierung der oberbadischen Wirtschaft beauftragt. Im Zuge eines französischen Politikwechsels, der sozialistische Positionen begünstigte, setzte er sich für die Vergesellschaftung des Südkurier ein, dessen Herausgeberschaft und Redaktionsstruktur Anfang 1946 nach Parteienproporz neu geregelt wurde: Neben den sozialdemokratischen und liberalen Redakteuren Herbert Goldscheider und Friedrich Munding vertrat Rudi Goguel die Linie der KP. Ende 1948 wurde der Südkurier an seine ersten Gesellschafter zurückgegeben und Goguels Zeit endete dort.

Goguels Politik in einer kleinen Stadt

Über dieses Zwischenspiel, das zwei Jahre und zehn Monate dauerte, hinterließ Goguel den bis heute unveröffentlichten Schlüsselroman Politik in einer kleinen Stadt. Wahre Begebenheiten aus den Jahren 1945–1948.

Über die Auseinandersetzungen um den Westlichen Boten (gemeint ist der Südkurier) heißt es u.a.: „Der ‚Westliche Bote‘ war – so sagte er selbst – ,unabhängig‘, das will sagen: er diente keinen irgendwie gearteten Interessengruppen. Seine Mitarbeiter nahmen ihre Verantwortung ihren fast zweimalhunderttausend Lesern gegenüber bitter ernst. Sie hatten sich aus verschiedenen Lagern zusammengefunden. Neben unentwegten Demokraten, die sich ,den Parteiknopfֹ‘ vom Rock gehalten hatten, saßen Männer, die noch vor einem Jahr vom ,Sieg der guten Sache‘ überzeugt waren, ohne daß man sie deshalb hätte ,Nazi‘ nennen können. Sie alle einte die Hingabe des geborenen Zeitungsschreibers an das gemeinsame Werk und die Anhänglichkeit an ihren patriarchalischen Chef, den alten Kapitän [gemeint: Hugo Eckener, Mitherausgeber des Südkurier]. Würden sie aber Märtyrer ihrer unerschütterlichen politischen Überzeugung werden, wenn sich der Plan der Widerstandskämpfer verwirklichte? Dieser Plan war im Grunde genommen fantastisch, um nicht zu sagen abenteuerlich. Die Leute vom Block wollten sich nämlich keineswegs damit begnügen, das rentable Unternehmen zu erobern und den girondistischen ,Boten‘ einfach als jakobinischen ,Boten‘ weiterführen: Nein, sie wollten ihn von Grund auf umgestalten: Die Gewinne sollten fürderhin nicht mehr in die Tasche privater Unternehmer fließen, sondern gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden. Der Chefredakteur sollte durch ein parlamentarisches Redaktions-Oberhaus ersetzt werden, dem je ein Vertreter aller demokratischen Parteien angehören sollte und das auf dem Wege der Mehrheitsabstimmung über Aufnahme oder Ablehnung von Artikeln zu entscheiden hatte […]. Die Männer des ,Westlichen Boten‘ schüttelten lächelnd die Köpfe, als die ersten Nachrichten von den abenteuerlichen Plänen der Widerstandsmänner in den Redaktionsstuben durchsickerten. Nein, diese Leute waren nicht zu fürchten.“(1)

Übersiedlung nach Ostberlin

Goguel war seit 1946 Mitglied im Landesvorstand der KP Südbaden und hatte wegen seiner Kritik an der Deutschlandpolitik der Sowjetunion massive Konflikte mit seiner Partei zu bestehen, worauf er seine parteipolitischen Engagements einschränkte. Über Düsseldorf, wo er für einen Parteiverlag arbeitete, übersiedelte Goguel mit seiner Familie 1952 nach Ostberlin, wo er beim „Deutschen Institut für Zeitgeschichte“ unterkam.

Anmerkung

  1. Unveröffentlichtes Manuskript, S. 162 f. Archiv des Südverlags im Stadtarchiv Konstanz.

Text: Manfred Bosch

Weitere Porträts dieser Serie

Die Serie ist hiermit abgeschlossen. Hier die anderen Porträts:
Karl Hüetlin
Joseph Fickler
Ignaz Vanotti
Karl Zogelmann
Hans und Hermann Venedey
Friedrich Munding
Alice Berend
Erich Bloch
Fritz Picard
Heiner Wollheim
Felix Guggenheim
Curt Weller
Theodor Plievier
Ilse Bartels

Weitere Informationen

Zum Autor

Manfred Bosch lebt als Schriftsteller, Literaturhistoriker und Herausgeber in Konstanz. Neben zahlreichen Darstellungen zur südwestdeutschen Zeit- und Literaturgeschichte widmet er sich in Darstellungen (u.a. Bohème am Bodensee. Leben am See von 1900 bis 1950, Lengwil 1997), Herausgaben und Anthologien der neueren Literaturgeschichte des Bodenseeraums.

Zum Buch

Manfred Bosch, Konstanz literarisch. Versuch einer Topografie, UVK Verlag 2019, 351 Seiten, €22,00.

Manfred Boschs literarischer Streifzug durch Konstanz vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ist nicht wie bei Darstellungen dieser Art üblich chronologisch oder nach sachbestimmten Aspekten angeordnet. Sein Stadtrundgang beginnt alphabetisch in der „Alfred Wachtel-Straße“ und endet „Zur Friedrichshöhe“. Er nimmt Straßen, Plätze und Gebäude in den Blick, erzählt welche LiteratInnen, PublizistInnen, VerlegerInnen, Kulturschaffende hier gelebt haben oder als Reisende – sei es als Gast oder auf dem Weg ins Exil – die Stadt passiert haben. Er beschreibt geschichtsträchtige Orte wie das ehemalige Dominikanerkloster (Inselhotel), den Kreuzlinger Zoll, die in den 1960er-Jahren gegründete Universität und bietet einen Überblick über Verlage, Bibliotheken, Lesegesellschaften, Theater und Pressewesen der Stadt. Über 600 Namen umfasst allein das Personenregister.

Erschienen ist das Buch in der von Jürgen Klöckler herausgegebenen „Kleinen Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz“.

Ein Kommentar

  1. Thomas Willauer

    // am:

    Der Kommunist Rudi Goguel zählt zu den wenigen Überlebenden der Bombardierung der Häftlingsflotte durch britische Flugzeuge am 3. Mai 1945. Insgesamt waren auf dem Häftlingsschiff Cap Arcona und weiteren Schiffen viele tausend KZ-Häftlinge zusammengepfercht, von denen 7.000 evakuierte KZ-Häftlinge beim Bombardement starben.
    Dazu schrieb Goguel das Buch „Der Untergang der Cap Arcona“ 1972 im Röderberg Verlag erschienen. Dass sein Wirken in der offiziellen Südkuriergeschichtsschreibung nicht oder kaum erwähnt wird ist kein Wunder.
    Rudi Goguel komponierte das Lied die Moorsoldaten. Hannes Wader hat es in den 70er Jahren in der BRD populär gemacht.
    https://www.youtube.com/watch?v=-boCKJsDe5U

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