Zwischen dem Seesteg der Kreuzlinger Badi und den ersten Gebäudewürfeln von Bottighofen passieren Spaziergänger:innen für wenige hundert Meter auf der Seeseite eine noch wilde, sich selbst überlassene Uferlandschaft. Ob das so bleibt, ist jedoch ungewiss. Denn in der Nachbarschaft will in den nächsten Jahren die Schweizer Reisekasse (Reka) ein Feriendorf hinstellen.
Zwischen Weiden und Gestrüpp dieser Uferidylle – Landschaftsökolog:innen sprechen von einer Sukzessionsfläche – schimmern hier und da kleine, auch im Sommer kaum besuchte Badeplätze. Auf der Landseite folgt nach dem Ende des Schwimmbadareals ein verwilderter, erst vor kurzem aufgegebener Acker, unterbrochen nur von einer rechteckigen, durch Hecken geschützten Rasenfläche mit Badehaus. Dieses Freizeitgrundstück reicht bis zum See, ja auf den Katasterplänen gar in diesen hinein. Ein Grundbucheintrag sichert, dass der öffentliche Uferweg die Parzelle durchqueren darf. Rechts und links des Wegs schützen die Eigentümer, ein Rentnerpaar aus dem nordbadischen Wiesloch, ihre Freizeit mit Seezugang durch massive Metalltüren.
Familie Munz – vom Müller zum Immobilienentwicker
Der verwilderte Acker reicht auf der Landseite bis zum Radweg entlang der Bahnlinie. Er gehört der Seeleben AG von Fabian und Lisa Munz. Die Ahnen der Munzens betrieben ab dem 19. Jahrhundert die Untere Mühle am Bottighofer Hafen, kamen damit zu beträchtlichem Wohlstand und Einfluss. Der Müllersohn Hans Munz (1916–2013), lange Präsident der Thurgauer FDP, vertrat seinen Kanton im Ständerat, der zweiten Kammer des Schweizer Parlaments, und leitete in den Jahren des Niedergangs den Verwaltungsrat des Lkw-Herstellers Saurer AG in Arbon.
In und um Bottighofen investierte die Familie auch in Grundbesitz. 1985 verkaufte man den Betrieb der Mühle an den Konkurrenten Zwicky, nicht aber die Gebäude und Grundstücke. Damit blieben die Immobilien im Munz’schen Besitz und sollten sich bald als wahre Goldesel erweisen. So findet man heute auf der Webseite der Underi Müli AG von Peter Munz die Sparten (Ferien-)Wohnungen, Häuser, Büros, Gewerbe und ein Restaurant. Emil Munz leitet ein Nautik-Center, Eugen Munz eine Werft mit Segelmacherei.
Der 38-jährige Fabian Munz, um dessen Seeleben AG es hier geht, wohnt heute in Triboltingen, jenem Ermatinger Ortsteil, dem die SBB mit der Schließung des erst vor einer Generation eingerichteten Haltepunkts droht. Und kandidierte schon einmal erfolglos für den Ermatinger Gemeinderat.
Politisch steht der Jungunternehmer mit HSG-Diplom und Auslandssemester in Kalifornien der neoliberalen Wirtschaftspartei FDP nahe. Er begegnet uns im Netz als Organisator einer Bitcoin-Konferenz und auf dem Ball der Wirtschaft im Konstanzer Inselhotel. Ehrenamtlich leitet Fabian Munz im Thurgauer WWF die Sektion Recht/Gewässer, unterstützte noch 2020 die Thurgauer Volksinitiative zur Biodiversität, blieb im Kampf der landesweiten – und in der Abstimmung unterlegenen – Biodiversitätsinitiative 2024 aber stumm.
Auf dem Acker seiner Seeleben AG zwischen Kreuzlingen und Bottighofen plant Fabian Muntz nun ein Reka-Feriendorf.
Doch wer ist diese Reka?
Die Reka – ein Stück Schweiz
Wer am SBB-Automaten ein Ticket löst, dem wird bei den Zahlungsoptionen, ob bar oder mit Karte, auch die Option „Reka“ angeboten. Bei dieser im Ausland nahezu unbekannten Zahlungsvariante handelt es sich um banknotenähnliche Schecks oder Bezahlkarten der Schweizer Reisekasse.
Viele Schweizer Unternehmen bieten ihren Beschäftigten, Gewerkschaften ihren Mitgliedern, Coop seinen Kunden den Bezug von Reka-Geld an. Sein Wert entspricht eins zu eins dem Schweizer Franken, doch wird es um bis zu zwanzig Prozent vergünstigt abgegeben. Für Unternehmen wie Beschäftigte ist die Reka-Pay-Vergünstigung bis 600 Franken eine steuerfreie Lohnnebenleistung.
Akzeptiert wird Reka-Geld nicht nur von der SBB. Bezahlen kann man damit auch bei Bergbahnen, Schwimmbädern, Tankstellen und manchen Restaurants und Hotels.
Die Schweizer Reisekasse (Reka) versteht sich als Organisation für Sozialtourismus und ist der zweitgrößte Schweizer Anbieter von Ferienwohnungen und Feriendörfern für Familien, in der Ostschweiz etwa in Urnäsch (AR) oder in Wildhaus (SG).
Gegründet wurde die Genossenschaft 1939 von Gewerkschaften und dem Fremdenverkehrsverband mit dem Ziel, Familien und Alleinerziehenden mit geringem Einkommen günstige Ferien zu ermöglichen. Anfangs mit einem Ansparsystem ähnlich dem „KdF-Reisesparen“, wie es in Deutschland die NS-Massenorganisation Kraft durch Freude (KdF) anbot – und in Konkurrenz mit der nur wenige Jahre älteren Genossenschaft Hotelplan des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler. Mit dem Gewinn aus den kommerziellen Aktivitäten, 2023 rund 8 Millionen Franken, fördert Reka noch immer verschiedene Ferienhilfsprogramme für Familien in prekären Verhältnissen oder mit Handicap.
Was plant die Reka in Kreuzlingen?
Die Planung eines Reka-Feriendorfs auf dem Acker der Seeleben AG reicht bis 2014 zurück. Der maßgebliche Gestaltungsplan (so das Schweizer Pendant zum Bebauungsplan) Seezelg II hat einen Workshop mit zwei eingeladenen Architekturbüros durchlaufen und einer Klage vor dem Thurgauer Verwaltungsgericht standgehalten. Drei bis zu 14 Meter hohe, nach Westsüdwest langgestreckte Gebäude mit drei oder vier Geschossen sollen 70 Meter abseits vom See und nahe der Bahnlinie entstehen, „verdichtet gebaut, aber sehr hochwertig“, so Damian Pfister von der Genossenschaft Reka.
Rund siebzig Ferienwohnungen sind vorgesehen, ebenso ein Thermalbad. Die Zufahrt für Anlieferer und zur Tiefgarage ist über den bestehenden Radweg entlang der Bahn angedacht, der auf fünf Meter verbreitert werden soll.
Zwischen Gebäuden und See bleibt eine „naturnah gestaltete Fläche zur Förderung der Biodiversität bis zum Seeufer, frei und öffentlich zugänglich“, so Kreuzlingens Baustadtrat Erwin Zülle. Auch die Bauvorschriften sagen klar: „Der Umgebungsbereich ist für die Bevölkerung frei zugänglich zu gestalten. Umzäunungen sind nicht zulässig.“ Der Skandal um den Konstanzer Büdingenpark, aus dem das Volk ausgesperrt bleibt, wird sich hier also nicht wiederholen.
Reka strebt für das neue Feriendorf jährlich 300 Öffnungstage an, de facto also ein Ganzjahresbetrieb. Mit der herkömmlichen Familienklientel wird dies außerhalb der Ferienzeit nicht zu stemmen sein, es braucht also besonders für Nebensaison weitere Zielgruppen. Ein Magnet könnte hier der angedachte Wellnessbereich sein. Das dazu nötige warme Wasser soll über Tiefbohrungen aus der Erde kommen.
Zusätzlich zur Geothermie soll auch die Seewärme zum Heizen der Gebäude genutzt werden. Hier will man indes nicht mit dem örtlichen Versorger Energie Kreuzlingen zusammenarbeiten, sondern mit dem Elektrizitätswerk des Kantons Zürich (EKZ), das schon viel Erfahrung mit Seewärme wie auch in der Partnerschaft mit privaten Akteuren hat.
„Visionen, die zu prüfen sind“
Doch was wird aus dem Uferbereich? „Auch uns gefällt die natürliche Uferzone am Seezelg und der wildromantische Fußweg. Das Seeufer bleibt frei, der Fußweg und die Uferzone werden erhalten“, so Ernst Zülle gegenüber der Presse. Gemäß den Bauvorschriften sind von der Uferlinie bis zu 30 Meter landeinwärts keine Bauten und auch keine Anlagen, also Aufschüttungen und dergleichen erlaubt.
Nicht verboten wäre jedoch, das Uferwäldchen einmal tüchtig zu durchforsten und zu „verschönern“. Hoffen wir, dass es dazu nicht kommt.
Fabian Munz denkt schon weiter. „Visionen, die zu prüfen sind“, stellt er den Medien vor: Am Hafen Bottighofen müsse ein Biberbau entfernt werden, dafür verlange der Kanton Ersatz. Wie wär’s mit einem künstlichen Biberbau in einem der Entwässerungsgräben beim Feriendorf? So entstünde ein Becken in Form einer Bucht mit Verbindung zum See. Könnte es in dieser Reka-Biber-Bucht dann nicht auch eine Anlegestelle für ein kleines Reka-Boot geben? Und schwups, da wäre er, der neue kleine Reka-Hafen. Alles für den Biber!
Text und Fotos: Ralph-Raymond Braun / Reka-Geld und Skizze Feriendorf: Schweizer Reisekasse / Karte: Screenshot Landeskarte Schweizerische Eidgenossenschaft https://map.geo.admin.ch/
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