
Es war nicht der ganz große Ausstand wie an anderen Orten, wo gleich mehrere Tage hintereinander der öffentliche Dienst stillstand. Aber worum es ihnen ging – nämlich um mehr als die geforderten acht Prozent mehr Lohn –, das demonstrierten die Streikenden aus Singen, Radolfzell und Konstanz mit einem Zug durch die Stadt.
Es gab schon lange keine so umfassend abgesicherte Demonstration wie der gestrige Protest gegen die Nullrundenofferte der Arbeitgeberverbände von Bund und Kommunen. Die Gewerkschaften:innen hatten den Anschlag Mitte Februar nicht vergessen, bei dem ein Attentäter in München in eine ver.di-Aktion gerast war und zwei Menschen getötet hatte: eine demonstrierende Mutter und ihre Tochter. Diesen beiden gedachten die Streikenden des Landkreises mit einer Schweigeminute, bis sie sich auf den Weg machen, großräumig beschützt von Polizist:innen, die den Verkehr fernab des Zugs in Schach hielten. Schließlich war Vorsicht geboten.
Aber das war nicht die einzige Besonderheit am gestrigen Streiktag, der möglicherweise nicht der letzte in der laufenden Tarifrunde war. Besonders war, dass dieses Mal Mitglieder verschiedener Berufszweige die Lage in den unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Diensts schilderten – und zum Teil Besorgnis erregende Entwicklungen skizzierten, die weit über die Klage von zu wenig Lohn hinaus gehen.
Den Anfang machte Andreas Gallus vom Hauptzollamt Singen, der auf dem Benediktinerplatz daran erinnerte, dass Zollbeamt:innen, „wenn sie beim Bund beschäftigt sind, immer noch eine 41-Stunden-Woche haben“ und dass diese lange Arbeitszeit „dafür sorgt, dass wir sehr große Probleme haben, genügend Nachwuchs zu finden“. Eine Regelarbeitszeit von 41 Stunden – und das fast vier Jahrzehnte, nachdem anderswo die 35-Stunden-Woche durchgesetzt wurde?
Mal ein Gehaltsverzicht ganz oben?
Der fehlende Nachwuchs bewirke zudem, so Gallus, dass selbst Beschäftigte, die kurz vor der Pensionierung stehen, „immer mehr arbeiten müssen“. Ein angemessenes Entgelt sei da doch selbstverständlich, die gewerkschaftliche Forderung in Höhe von acht Prozent, mindestens 350 Euro (200 Euro mehr für Azubis) und drei zusätzliche freie Tage mithin nicht überraschend. „Die Kolleginnen und Kollegen in den Rathäusern, Krankenhäusern, Kitas, Bauhöfen und auch die beim Zoll und der Polizei arbeiten zum Teil rund um die Uhr mit kleinen, alten und kranken Menschen, auch um unser Leben erträglicher zu gestalten.“

Einigermaßen überraschend sei eigentlich nur die Reaktion in den Bundesverwaltungen und den Rathäusern, wo Bürgermeister:innen und Verwaltungsleitungen so tun, als seien die Forderungen nicht absehbar gewesen und das übliche Klagelied anstimmen: „unmöglich, viel zu teuer, vollkommen überzogen“.
Wie wär’s, so Gallus, wenn die gut bezahlten „Bürgermeister, Verwaltungschefs und Dienststellenleiter, die jetzt mahnend ihre Beschäftigten auf die Notwendigkeit des Maßhaltens hinweisen und stets gerne für sich selber die Tariferhöhungen der letzten Jahre eingesteckt haben, ihre Lohnerhöhung dieses Mal den öffentlichen Haushalten oder gemeinnützigen Einrichtungen spenden“ würden? „Das wäre wenigstens ein Zeichen.“
Speerspitze Didamskopf
Nach dieser Eingangsrede zogen die rund 180 Streikenden und ihre Unterstützer:innen, darunter eine kleine Delegation der Linkspartei, über die leere Spanierstraße auf die verkehrsbefreite Rheinbrücke und durch die Innenstadt zum traditionellen Konstanzer Kundgebungsplatz.

Dort machte Hannes Hänßler vom Klinikum Konstanz auf eine weitere Tarifforderung aufmerksam: die Zuschläge. „Wir sind 365 Tage im Jahr, 24 Stunden im Einsatz und keiner möchte zu so ungünstigen Zeiten arbeiten.“ Deshalb sei es ihm wichtig, „dass die Nachtdienstzuschläge, die Wechselschichtzuschläge, die Überstundenzuschläge besser bezahlt werden. Sonst kriegen wir keine Leute mehr ins Krankenhaus, die da arbeiten wollen.“
Und dann begrüßte er die gewerkschaftliche Speerspitze des Klinikums, die Pflegekräfte der Station Didamskopf, „die seit Jahren ihre Station schließen, um uns zu unterstützen. So auch heute wieder.“ Die Belegschaft habe in den letzten Tagen viel Arbeit reingesteckt, um die Station mit ihren 25 Betten patient:innengerecht zumachen zu können.
Nah am Mindestlohn
Und das war das durchgängige Thema aller Redner:innen: die bereits vorhandenen und die längst absehbaren Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung. Man wisse, dass „die kommunalen Haushalte klamm sind“, aber das dürfe nicht bedeuten, „dass die Finanzmisere auf dem Rücken von uns ausgetragen wird und wir dabei leer ausgehen“, sagte beispielsweise Manuela Hettich vom Radolfzeller Sozial- und Erziehungsdienst. Man wisse, „warum der Geldbeutel leer ist: Versicherungen haben aufgeschlagen, Heizkosten sind exorbitant gestiegen, Lebensmittel kosten mehr Geld – und da reden wir noch nicht von Gesundheitsangeboten, die uns unterstützen würden nach dem langen Arbeitstag, wie Sauna, Schwimmbadbesuch oder vielleicht mal ein Konzertabend.“

Dann wurde sie konkret: „Die Babyboomer stehen vor dem Renteneintritt und die nachkommende Generation schaut auch auf Work-Life-Balance. Dabei haben wir in vielen Städten nicht ausreichend Erzieher und Erzieherinnen, die einen Kita-Betrieb von 7 bis 17 Uhr ermöglichen. In Baden-Württemberg fehlen 60.000 Kita-Plätze – Grund dafür ist der Personalmangel.“
Klaus Hauser von den Technischen Betrieben Konstanz (TBK) hatte ähnliches zu berichten: „Wir sind immer an der Front vorne dabei. Wir sorgen im Winter dafür, dass die Stadt Tag und Nacht läuft“, sagte er. „Wir sorgen dafür, dass die Kläranlagen laufen. Wir sorgen dafür, dass die Müllabfuhr läuft. Wir sorgen dafür, dass die Stadtgärten sauber sind.“ Dabei, so führte er aus, seien die Beschäftigten der TBK und der Entsorgungsbetriebe EBK in den untersten Lohngruppen angesiedelt und müssten „nah am Mindestlohn arbeiten“.
Ein unerschwinglicher Wohnort
Konkret bedeute das: „Der Arbeitgeber fordert von uns, dass wir möglichst am Wohnort sind, vor Ort. Dass er jederzeit auf uns zurückgreifen kann, Tag und Nacht.“ Aber das könnten sich viele nicht leisten, jedenfalls nicht in Konstanz mit dem enormen Wohlraummangel. „Die meisten Kollegen müssen von weit her kommen, weil sie sich die Mieten kaum leisten können.“ Aber der Arbeitgeber sehe das gar nicht: „Dem ist das egal. Er möchte, dass wir im Winterdienst innerhalb von einer halben Stunde vor Ort sind. Das schaffen wir mittlerweile fast gar nicht mehr.“
Wie groß die Empörung mittlerweile ist, zeigte der riesige Applaus auf der Marktstätte, mit dem auch die Rede des ver.di-Bezirksgeschäftsführers Rainer Geis bedacht wurde. Er erinnerte daran, dass es bei der Bezahlung auch um „Geschlechterfairness“ gehe, dass 60 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst Frauen sind, dass auch für Gerechtigkeit gekämpft werden muss – und dass den Gemeinden immer mehr zugeschustert wird: „Der Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze, die Unterbringung von Flüchtlingen, die Übertragung von Investitionsaufgaben, all diese notwendigen Aufgaben werden den Kommunen überantwortet“. Aber Geld dafür gebe es von oben nicht.

Die Stimmung unter den Teilnehmenden war gut, viele versprachen per Handzeichen, dass sie auch bei künftigen Streiks mitmachen werden. Ob es dazu kommt, ist offen. Am Freitag beginnt die dritte Verhandlungsrunde, bei der die Gegenseite wahrscheinlich ein überaus moderates Angebot unterbreiten wird: Vielleicht ein paar Prozent mehr, dann aber mit dreijähriger Laufzeit des Tarifvertrags. Das würde unter dem Strich und angesichts der Inflation (vor allem auf dem regionalen Wohnungsmarkt) auf eine Kürzung der Löhne hinauslaufen. Lässt ver.di sich darauf ein?
Wenn es nach den gewerkschaftlich aktiven Beschäftigten der Region geht, kommt das nicht in Frage. Bemerkenswert an der Aktion gestern war noch die Absenz der lokalen Verantwortlichen: Von der Rathausspitze war niemand da, auch aus dem Gemeinderat ließ sich – mit Ausnahme des neuen linken Stadtrats Wolfgang Mossmann – niemand blicken. Dabei geht es beim aktuellen Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst nicht allein um die Belange der Beschäftigten, sondern um das Wohl aller.
Text und Fotos: Pit Wuhrer / Das Bild der Redner:innen zeigt (im Uhrzeigersinn) Andreas Gallus, Hannes Hänßler, den Moderator Thomas Weisz von ver.di, Manuela Hettich, Klaus Hauser, Rainer Geis.
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