Gestern begann der zweitägige Streik der Konstanzer Bus- und Fährebeschäftigten; er dauert bis heute Nacht. Wenn sich die Unternehmenseite nicht bewegt, geht der Arbeitskampf im öffentlichen Nahverkehr weiter. Und das ist auch gut so.
Jetzt stehen sie wieder auf Streikposten – die einen vor dem Busdepot der Stadtwerke (SWK) in der Max-Stromeyer-Straße, die anderen am Fährehafen. Manchmal sind es über zwanzig Busfahrer:innen oder Fähreschaffner, mitunter (wenn es schüttet) nur ein halbes Dutzend. Für jeweils fünf Stunden achten sie in ihren gelben ver.di-Westen darauf, dass nicht plötzlich ein Streikbrecher auftaucht, sich einen Bus schnappt und doch noch Linie fährt. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber wer weiß.
Und wer weiß, wie lange die Tarifauseinandersetzung noch dauert. Seit der Urabstimmung der vergangenen Wochen könnte dieser Teil der Stadtwerke-Belegschaft eigentlich unbefristet streiken; fast 93 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben sich nach der letzten Tarifrunde für eine Fortsetzung und Intensivierung des Kampfs ausgesprochen. Vielleicht kommen ja noch wochenlange Arbeitsniederlegungen.
Verantwortlich dafür sind die Gemeinden beziehungsweise der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) Baden-Württemberg: er lehnt es bisher ab, ein auch nur halbwegs akzeptables Angebot zu unterbreiten. Bei den aktuellen Tarifverhandlungen geht es um den Manteltarifvertrag, also nicht um Lohn, sondern um Arbeitsbedingungen. Die Gewerkschaft ver.di fordert beispielsweise die Anrechnung von Wegezeiten und Verspätungen als Arbeitszeit, zusätzliche Entlastungstage für Schicht- und Nachtarbeit, eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs – und, entscheidend, eine schrittweise Reduzierung der Wochenarbeitszeit von derzeit 39 auf 35 Stunden.
Die Dauerblockierer
Für den KAV, in dessen erweitertem Vorstand (als Stellvertreter) auch SWK-Geschäftsführer Norbert Reuter sitzt, kommt eine Arbeitszeitverkürzung aber offenbar nicht in Frage. In seinem jüngsten Positionspapier beklagt der Verband vor allem die hohen Folgekosten der Gewerkschaftsforderungen; von kürzeren Wochenarbeitszeiten will er nichts wissen.
Dabei ist es gerade der ständige Druck, der den Beschäftigten zu schaffen macht: die vielen Wechselschichten, die Staus in der Innenstadt, die enge Fahrplantaktung, durchgeknallte Fahrgäste. Eine kürzere Wochenarbeitszeit würde da helfen. Zumal ja immer mehr gearbeitet wird, wie diese Woche eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) mitteilte. Ihr zufolge ist die wöchentliche Arbeitszeit seit den neunziger Jahren gesamtgesellschaftlich zwar etwas gesunken, doch die Produktivität (und damit zumeist auch der Stress) hat deutlich zugenommen: in den letzten dreissig Jahren um durchschnittlich 25 Prozent.
Die aktuelle Weigerung des KAV, die Arbeitsbedingungen im Nahverkehr zu verbessern – und damit die Attraktivität in einem zentralen Bereich der klimapolitisch notwendigen Mobilitätswende zu erhöhen – passt zu anderen Entwicklungen im Land. So hat am Wochenende die Ampel-Koalition das bisherige Klimaschutzgesetz auf Drängen der FDP aufgeweicht. Künftig können sich die einzelnen Ministerien mit der Umsetzung ihrer Klimaziele Zeit lassen, Hauptsache, die Regierung erreicht irgendwann bis 2030 oder 2040, was sie an Einsparungen versprochen hat. Damit ist beispielsweise der Verkehrssektor, in dem sich so gut wie gar nichts tut, aus dem Schneider. Damit aber sei, so kritisiert der BUND, der Klimaschutz „auf die lange Bank geschoben“ worden.
„Wir fahren zusammen“
Wie wichtig bessere Arbeitsbedingungen im Nahverkehr nicht nur für die Beschäftigten, sondern die Gesellschaft sind, hat die Aktion des Bündnisses „Wir fahren zusammen“ von ver.di und der Konstanzer Gruppe von Fridays for Future gezeigt. Am 1. März, dem letzten Streiktag, demonstrierten rund 250 Menschen durch die Stadt.
Die bis 2030 nötige Verdoppelung des öffentlichen Verkehrs sei nur durch soziale Investitionen ins Personal zu erreichen, hieß es bei der Abschlusskundgebung auf der Marktstätte. Und auch jetzt stellen sich die Klimaschützer:innen auf die Seite der Streikenden.
„Die Konstanzer Verkehrswende kommt nicht voran“, sagt beispielsweise Thorben Kleeh von Fridays for Future. Statt des dringend erforderlichen Ausbaus, „musste in der Vergangenheit der Busverkehr aufgrund von Fahrer:innenmangel teilweise eingeschränkt werden, gleichzeitig wächst der private Pkw-Bestand in Konstanz beständig, ohne dass die nötige Trendumkehr in Sicht ist“. Gute Arbeitsbedingungen und wirksamer Klimaschutz „gehen Hand in Hand“, fügte er hinzu. „Deshalb unterstützen wir die Forderungen des Fahrer:innenstreiks.“
Schlüsselrolle für den Busverkehr
Im vergangenen Jahr, so kritisieren die Klimaschützer:innen, habe die Zahl der in Konstanz zugelassenen Pkw mit 37.000 einen neuen Höchststand erreicht. Dabei sei es Ziel der lokalen Klimaschutzstrategie, den heutigen Bestand in den nächsten elf Jahren auf rund die Hälfte zu reduzieren. Das aber funktioniere nur mit einem deutlich ausgebauten öffentlichen Nahverkehr.
„Die Konstanzer Verkehrswende fährt momentan mit Karacho gegen die Wand“, sagt dazu Manuel Oestringer. „Wir brauchen jetzt dringend eine Trendumkehr.“ Dem Busverkehr falle dabei eine Schlüsselrolle zu. „Diese Schlüsselrolle kann nur mit deutlich besseren Arbeitsbedingungen und deutlich größeren Investitionen erfüllt werden.“
Der Fridays-for-Future-Aktivist fordert dafür bundesweit Zusatzinvestitionen in Höhe von jährlich 16 Milliarden Euro. Vielleicht sollte der KAV mal in dieser Richtung aktiv werden. Und dies möglichst bald. Denn Klimaschutz ist zwar teuer. Aber er kostet noch viele Milliarden mehr, wenn er auf später verschoben wird. Das sollten die sonst stets aufs Finanzielle fixierten Politiker:innen von Gemeinde- bis Bundesebene mal kapieren.
Text und Fotos (oben Transparente beim Streikposten am 18.4.2024, unten ÖPNV-Demo am 1.3.2024 durch Konstanz): Pit Wuhrer
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