In einem Brief an den Vorstandsvorsitzenden der DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH fordern sieben Oberbürgermeister an der Gäubahn gelegener Kommunen, angesichts der derzeitigen Krise und Zeitverzögerungen des Bauvorhabens Stuttgart 21 eine Denkpause einzulegen. Aufgrund der aktuellen Planungsunsicherheit mache es keinen Sinn, die Gäubahn jetzt abzuhängen.
Hier der Brief:
Kein Tag vergeht derzeit, ohne dass es neue schlechte Nachrichten mit Blick auf die Fertigstellung von Stuttgart 21 gibt: So verdichten sich die Anzeichen, dass der Tiefbahnhof Stuttgart 21 im Dezember 2025 wohl nur teilweise in Betrieb genommen werden kann und die endgültige Inbetriebnahme unklar ist.
Gleichzeitig wird von Tag zu Tag deutlicher, dass der als „Allheilmittel“ für die Gäubahn angedachte Pfaffensteigtunnel bis auf Weiteres kaum Chancen auf Realisierung hat. Vor allem letzteres überrascht uns ehrlich gesagt nicht wirklich: In Deutschland in weniger als zehn Jahren einen über zehn Kilometer langen Tunnel zu planen, genehmigen, finanzieren und auch noch zu bauen, klang doch sehr märchenhaft.
Für uns als Gäubahn-Anlieger bedeutet dies nun, dass den Städten und Gemeinden entlang der Strecke die befürchtete, noch längere Abhängung von der Landeshauptstadt und vom weiteren Fernverkehr schon fast Realität ist: Bereits die bisher stets angedachten mindestens 7, real eher 10 Jahre wären für die Akzeptanz des Schienenverkehrs in unserer Region verheerend gewesen. Nun sieht es so aus, als ob wir damit auf Dauer leben müssten.
Dies ist nicht nur unfair, nicht nachzuvollziehen und lästig, es gefährdet langfristig auch die Gäubahn als Fernverkehrsstrecke: Die zu erwartenden sinkenden Fahrgastzahlen dürften dazu führen, dass die dringend nötigen Ausbauten und Optimierungen erst recht auf die lange Bank geschoben würden. Dies wiederum würde die Attraktivität noch weiter senken – eine nicht endende Abwärtsspirale droht. Für das südliche Baden-Württemberg mit rund zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und einer leistungsstarken Industrie droht ein spürbarer und dauerhafter Standortnachteil. Es ist erschreckend, wie unverantwortlich mit einer internationalen Bahnverbindung und deren Anliegern und Fahrgästen umgegangen wird.
Wir haben derzeit und wollen auch in Zukunft eine Direktverbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof.
Wir akzeptieren deswegen keine Kappung ohne Alternative.
Das Allermindeste ist es, mit einer Kappung zu warten, bis klar ist, dass es überhaupt einen verlässlichen Ersatz gibt!
Das heißt: Keine Kappung solange der Pfaffensteigtunnel nicht planfestgestellt, nicht vertraglich abgesichert und im Bundeshaushalt enthalten und beschlossen ist!
Denn gleichzeitig weigern wir uns aber auch, den Mut völlig zu verlieren, denn in den immer deutlicher werdenden Problemen liegt auch eine große Chance: Da neben dem Pfaffensteigtunnel ja auch der Tiefbahnhof Stuttgart 21 aus dem Zeitraster zu rutschen scheint, stellt sich für uns nun mehr denn je die Frage, ob es wirklich sinnvoll und realistisch ist, den oberirdischen Kopfbahnhof bereits 2025 außer Betrieb zu nehmen. Dies setzt ja einen voll funktionsfähigen Tiefbahnhof voraus – was immer unwahrscheinlicher wird.
De facto sorgt die Deutsche Bahn (DB) dafür, dass ein anfahrbarer Kopfbahnhof immer noch länger Realität wird als angekündigt wurde – noch zum Zeitpunkt der Volksabstimmung im Jahr 2011 war für 2018 die Inbetriebnahme versprochen.
Vor diesem Hintergrund wäre auch eine Abhängung der Gäubahn ab 2025 noch fragwürdiger: Die immer als Begründung angeführte bauliche Entwicklung des Rosensteinquartiers könnte ohnehin nicht wie geplant in Angriff genommen werden. Und mehr noch: Man sollte und muss die dadurch gewonnene Zeit dafür nutzen, nochmals kritisch zu hinterfragen und klären, ob der dauerhafte Verzicht auf einen oberirdischen Bahnhof vor dem Hintergrund langfristig hoffentlich deutlich steigender Fahrgastzahlen wirklich sinnvoll ist.
Im Übrigen sind wir uns mit unseren Forderungen nicht allein, sondern bewegen uns Seite an Seite mit den Ausführungen des Interessenverbandes Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn (IV GNBB).
Lassen Sie uns also die sich abzeichnende Krise als gemeinsame Denkpause nutzen – im Interesse eines zukunftsfähigen Bahnverkehrs für ganz Baden-Württemberg.
Gern sehen wir Ihrer transparenten und nachvollziehbaren Stellungnahme zu unserem Schreiben entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
Die Oberbürgermeister
Michael Beck, Tuttlingen
Dr. Stefan Belz, Böblingen
Bernd Häusler, Singen
Nico Reith, Herrenberg
Peter Rosenberger, Horb am Neckar
Jürgen Roth, Villingen-Schwenningen
Dr. Christian Ruf, Rottweil
Text: MM/red.
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