Der CDU-Antrag im Kreistag, Seenotretter*innen nur noch dann zu unterstützen, wenn sie die Geretteten in deren Abfahrtshäfen zurückbrächten, hat bundesweit für Wirbel gesorgt. Der Konstanzer Oberbürgermeister Ulrich Burchardt hat inzwischen in einer Erklärung seine Kreistags-CDU unterstützt. Aber durfte er das überhaupt? Nein, meint Andreas Hennemann (SPD), ja sagt das städtische Justiziariat.
Zur Erinnerung: Der CDU-Antrag zur Seenotrettung, der bundesweit Entsetzen auslöste, wurde in der Kreistagssitzung am 9. Dezember zurückgezogen. Der Kreistag stimmte mehrheitlich den jährlich 10.000 Euro für die Retter*innen zu.
Ulrich Burchardt, der diesen zurückgezogenen Antrag in seiner Funktion als CDU-Kreistagsabgeordneter mitunterzeichnet hatte, setzte zwei Tage später in seiner Funktion als Konstanzer Oberbürgermeister mit einer Erklärung nach: „Nichts ist gut in der Seenotrettung und wenig in der Migration“ heißt es dort. Im Kern beklagt er darin (nicht zu Unrecht) die Überlastung der Kreise, Städte und Gemeinden, denen die Aufgabe der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zugewiesen wurde, ohne ihnen entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.
Der OB fordert auch etwas: „Ich erwarte, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten endlich ihrer Aufgabe gerecht werden und Migration, Grenzen und Seenotrettung regeln.“
OB erklärt sich zur Seenotrettung
Man beachte: Der Konstanzer OB Ulrich Burchardt fordert in dieser Erklärung nicht eine bessere finanzielle Ausstattung der Kreise und Kommunen durch Bund oder EU, damit sie den Geflohenen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen können. Er fordert stattdessen eine „Regelung“ von Migration, Grenzen und Seenotrettung. Wie diese aussehen könnte, lässt sich erahnen, denn die Lösung des CDU-Kreistagsabgeordneten Ulrich Burchardt lautete ja, die Flüchtlinge zwar aus dem Wasser zu fischen, aber dann in die Häfen Nordafrikas oder Türkei zurückzubringen. Wenn Bund und EU die Kommunen finanziell im Stich lassen, sollen die Flüchtlinge halt zurück in jenen Vorhof der Hölle, dem sie gerade (oft unter Lebensgefahr) entkommen sind?
Außerdem präsentiert der OB in seiner Erklärung, die übrigens auch manch Bedenkenswertes enthält, erneut das Argument der Schlepperkriminalität, das seiner CDU so lieb und teuer ist: „Daher habe auch ich mich [im zurückgezogenen Antrag für den Kreistag, seemoz] gegen die Fortführung der Finanzierung privater Seenotrettung aus öffentlichen Mitteln des Landkreises ausgesprochen. Ich betrachte diese Form der privaten Seenotrettung, so gut sie auch gemeint ist, als mitverantwortlich für das Entstehen von kriminellen Schlepper-Strukturen.“
Unterschrieben ist das Ganze mit
„Uli Burchardt
Oberbürgermeister der Stadt Konstanz“.
Man bedenke, er ist der OB einer Stadt, die sich zum „Sicheren Hafen“ erklärt hat …
Der doppelte Ulrich Burchardt
Aber darf der OB eine solche Erklärung überhaupt abgeben? Dem Laien erscheint es fragwürdig, wenn der Oberbürgermeister der Stadt Konstanz höchst offiziell „seine“ CDU-Kreistagsfraktion unterstützt. Knapp vor der nächsten Bundestagswahl bekommt das natürlich noch ein besonderes Geschmäckle.
Juristisch jedenfalls wurde der OB Ulrich Burchardt in der letzten Gemeinderatssitzung quasi „freigesprochen“, und zwar von der Leiterin des Justiziariats der Stadt, Silvia Mollekopf-Löhr. Sie sieht in der Erklärung eine Mischung aus Äußerungen des OBs Ulrich Burchardt und strikt davon zu unterscheidenden Äußerungen des Kreistagsabgeordneten Burchardt (für die etwa die Ich-Form verwendet wurde).
Sie führte aus, dass staatliche Organe [wie der OB] aus Neutralitätsgründen nicht zugunsten oder zulasten irgendwelcher Parteien oder Wettbewerber tätig werden dürften. Diese Pflicht gelte immer, aber besonders sei sie in Vorwahlzeiten zu beachten.
Andererseits seien aber kommunale Organe in der Vorwahlzeit nicht gehalten, „durchgängig zu allem zu schweigen“. Es gebe ein zulässiges staatliches Informationshandeln, das aber nicht in Wahlwerbung übergehen dürfe.
Sie könne in den dem OB zuzurechnenden Teilen der Erklärung keine unzulässige Wahlwerbung zugunsten oder zulasten bestimmter Parteien oder Kandidaten erkennen. Für jene Passagen der Erklärung hingegen, die der gewählte Kreisrat Ulrich Burchardt formuliert hat, gelte hingegen – anders als für den OB – keine Neutralitätspflicht.
Alles in Butter also?
Andreas Hennemann gibt contra
SPD-Gemeinderat Andreas Hennemann (SPD), von Beruf Anwalt, vertrat einen anderen Standpunkt. Er sieht in Burchardts Erklärung einen klaren Verstoß gegen die Neutralitätspflicht:
„Ich muss an dieser Stelle feststellen, dass wir beide offensichtlich einen Dissens haben in Bezug auf Ihre rechtlichen Ausführungen.
Durch das Kommentieren eines Antrags Ihrer CDU-Kreistagsfraktion, deren grenzwertigen und völkerrechtswidrigen Inhalt ich jetzt überhaupt nicht besprechen möchte, haben Sie Ihren gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich verlassen.
Als Amtsträger, als Oberbürgermeister der Stadt Konstanz, ist es nicht Ihre Aufgabe, Anträge Ihrer Kreistagsfraktion zu wiederholen, zu bewerten oder zu verteidigen.
Durch das Kommentieren und die Veröffentlichung Ihres Statements als Amtsträger, als Oberbürgermeister der Stadt Konstanz, haben Sie sich in Widerspruch zur Beschlusslage des Gemeinderats gebracht, indem Sie erklärten, ‚Nichts ist gut in der Seenotrettung und wenig in der Migration‘. Der Gemeinderat sieht dies anders.
Zudem muss Ihnen bewusst gewesen sein, dass die Karenzzeit [bis zur anstehenden Bundestagswahl, seemoz], in der sich öffentliche Stellen und Amtsträger nicht mehr öffentlich politisch äußern dürfen, bereits begonnen hat.
Nach dem Bruch der Regierungskoalition in Berlin und dem Plan zur Durchführung von Neuwahlen, der Vorbereitung der Wahlen durch die Verwaltung, über die hier im Gemeinderat bereits berichtet wurde, und unserer Verständigung hier im Rat darüber, dass im Amtsblatt keine Beiträge der Fraktionen mehr erscheinen sollen, muss Ihnen klar gewesen sein, dass sich der Bewertungsmaßstab für Ihre Äußerungen verändert hat und Sie sich zurückzuhalten haben.
Dennoch haben Sie sich zur Migrationspolitik parteipolitisch geäußert – was kein Problem darstellen würde, hätten Sie das Pressestatement einfach anders unterschrieben – so schwierig ist das eigentlich gar nicht.
Sie unterliegen als Amtsträger anderen Regeln als als Privatperson oder als Mitglied einer politischen Partei oder Fraktion. Als letzteres ist es Ihnen unbenommen, sich politisch zu äußern, in Ihrer amtlichen Funktion dürfen Sie es – insbesondere in der Karenzzeit vor Wahlen – nicht.
Uli Burchardt kann seine politische Meinung äußern. Der Oberbürgermeister der Stadt Konstanz hat sich in diesen Zeiten politisch neutral zu verhalten.
Gegen diese Pflicht haben Sie, nach meiner persönlichen wie juristischen Einschätzung, nun zweimal verstoßen: das erste Mal durch das Pressestatement und das zweite Mal letzte Woche hier im Gemeinderat, als Sie Ihre Äußerungen wiederholt und verteidigt haben. Sie haben letzten Donnerstag selbst gesagt, Sie hätten auf eine Medienanfrage geantwortet, ‚ohne über das Thema Neutralitätspflicht überhaupt nachzudenken‘.
Hierin liegt meiner Meinung nach der Kern des Problems.“
Ein Geschmäckle bleibt
Dass die feinsinnigen Erläuterungen der Justiziarin mit ihrer strikten Trennung in zwei Ulrich Burchardts – auf der einen Seite die Äußerungen des neutralitätspflichtigen OBs, auf der anderen die des meinungsfreudigen Kreisrates – von manchen Konstanzer*innen als Gefälligkeitsgutachten einer Untergebenen für ihren Chef gedeutet werden, war wohl nicht anders zu erwarten.
Spannender als diese Haarspaltereien aber ist wohl die Frage, wie lange die Stadt Konstanz noch als Unterstützerin der Seenotrettung aktiv bleibt. Auf der städtischen Homepage heißt es:
„Die wichtigste Verpflichtung der Stadt als Sicherer Hafen war die Entscheidung im März 2020, als 1. Stadt in Deutschland die Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff zu übernehmen.
Die Entscheidung des Gemeinderats fiel damals für die Seenotrettungsorganisation Sea Eye. Mit gemeinsamem Antrag aller Fraktionen wurde im Oktober 2021 die zweijährige Patenschaft um weitere fünf Jahre verlängert.“
Werden der OB, seine CDU und einige andere, wenn es eines Tages um die erneute Verlängerung der städtischen Unterstützung für Sea Eye geht, ihre harte Linie aus dem Kreistag durchziehen – sei es aus Überzeugung, sei es aus Angst vor einem weiteren Machtzuwachs der AfD?
Es bleibt ihnen wohl kaum etwas anderes übrig, denn bei diesem Thema geht es schließlich, wie der OB so richtig schrieb, nicht ums Geld, sondern um Symbolpolitik – und da heißt es bekanntlich, auf keinen Fall mit der Wimper zu zucken.
Quellen: Erklärung von OB Ulrich Burchardt vom 11.12.2024; Podcast der Gemeinderatssitzung am 17.12.2024, letztes Video ab Minute 16:24.
Text: O. Pugliese, Bild: Guillaume Duez, Sea Eye
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