Bild1 Nrwz Rottweil, 20 Jahr Feier © Dieter Heise

NRWZ: Ein Bürgerprojekt für Meinungsvielfalt

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In Rottweil feierte der Verein Neue Rottweiler Zeitung e.V. mit einem kleinen Festakt sein zwanzigjähriges Bestehen. Engagierte Bürger:innen gründeten 2004 ihre eigene Lokalzeitung – die NRWZ. Heute gehört sie zu den wenigen unabhängigen, bürgerschaftlich getragenen Lokalzeitungen, die es noch gibt. Spannend ist, wie es dazu kam.

Rottweil 2004: Die Schwäbische Zeitung stellte zu Jahresbeginn den Schwarzwälder Volksfreund (ihre Lokalausgabe für den Kreis Rottweil) und ebenso das im benachbarten Raum Schramberg erscheinende Schwarzwälder Tagblatt ein. Grund für die Schließung war, dass die Berichterstattung dieser Gebiete künftig allein der anderen Zeitung vor Ort, dem Schwarzwälder Boten, überlassen werden sollte. 

Dieser hatte sich im Gegenzug woanders zurückgezogen und sein dortiges Revier der Schwäbischen überlassen – eine seit langem gängige Praxis vieler Zeitungsverlage. „Gebietsbereinigung nach Gutsherrenart“, nennt es Laudator und Kontext-Publizist Josef-Otto Freudenreich. „Nun waren beide Verlag an diesen Orten etwas, was Kapitalisten immer sein wollen: sie waren Monopolisten!“

Widerstand gegen drohendes Meinungsmonopol

Dass ihre Lokalredaktion flugs zugemacht wird und das Gut der Meinungspluralität einfach so beschnitten werden sollte, wollten Rottweiler Bürgerinnen und Bürger nicht hinnehmen. Mit Protestaktionen, einer Demo, Plakaten, Unterschriftensammlungen versuchten sie die Schließung zu verhindern. Ohne Erfolg!

Die Lokalredaktion war weg, doch für die aufgebrachten Bürger:innen stand fest, dass wieder eine zweite Zeitung her muss. Um diese ins Leben zu rufen, gründeten sie einen Verein und publizierten schon bald online, um in der Öffentlichkeit präsent zu werden. Im Herbst 2004 wurde der NRWZ-Verlag in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Am 27. November 2004 schließlich erschien die erste Ausgabe der NRWZ als Wochenzeitung.

Als Gratiszeitung wurde sie – finanziert durch Anzeigen – an alle Haushalte in Rottweil, Schramberg und den umliegenden Gemeinden verteilt. Nur ein Werbeblättchen mit etwas redaktionellem Beiwerk aber war sie nie. Sie war von Anfang an eine informative Lokalzeitung, mit sorgfältig recherchierten und verfassten Beiträgen, betonen ihre Macher:innen stolz.

Zu diesen gehören unter anderem Andreas Linsenmann als Mitbegründer und Vorsitzender des Vereins, und Peter Arnegger – ebenfalls seit 2004 dabei – als verantwortlicher Redakteur und Geschäftsführer des Verlags.

Fast 16 Jahre lang war die NRWZ zum Wochenende eine Erfolgsgeschichte, der Corona im März 2020 ein jähes Ende setzte: Aufgrund des drastisch eingebrochenen Anzeigenaufkommens musste der Druck eingestellt werden. Seitdem gibt es „nur noch“ NRWZ-Online. Sie bietet wie von Beginn an aktuelle Nachrichten, Pressemeldungen und nun auch die umfassenderen, zuvor dem Printmedium vorbehaltenen, redaktionellen Beiträge.

Ein „ziemliches Unikat“ seit zwanzig Jahren

Dies werde wohl auch so bleiben werden, teilte Andreas Linsenmann, bei der 20-Jahr-Feier zum Bestehen des Vereins Neue Rottweiler Zeitung e.V. mit. Es habe auch sein Gutes, dass man den rein digitalen Weg rechtzeitig eingeschlagen habe. Er funktioniere.

Ein „ziemliches Unikat“ sei die NRWZ. Es gebe zwar „Ähnliches“, aber „so etwas wie die NZWZ deutschlandweit nicht“, hob er in seinem Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre hervor.“ Der Verein, der das Lokalmedium weiterhin trägt, sei sein „ideeller Anker“ und die Verbindung in die Stadt mache deutlich, dass es sich bei der NRWZ „nicht um ein ökonomisch ausgerichtetes Unternehmen handelt“.

Grund genug also für Mitbegründer:innen und Mitglieder des Vereins – mit Freunden, Gästen und Vertreter:innen der Lokal- und Kreispolitik – die Macher:innen der Heimatzeitung, ihren Verein und ihr Bürgerprojekt zu feiern.

Der Journalist und Publizist Josef-Otto Freudenreich von Kontext vermittelte mit seinem Redebeitrag einen eindrücklich und sehr nachdenklich stimmenden Überblick, wie es mittlerweile um den Lokaljournalismus im Allgemeinen und den unabhängigen, gemeinnützigen im Besonderen bestellt ist: Was droht, wenn Redaktionen personell weiter ausgedünnt werden, wenn große Verlagshäuser immer mehr nach rechts außen abdriften, wenn die AfD noch weiter erstarkt und sich mit Anzeigen und Pressemeldungen in Anzeigenblättern breit macht … [Siehe seine Rede unten.]

Einig war man sich bei der Feierstunde, dass es Projekte wie die NRWZ braucht, samt entschlossenen Bürger:innen und Leser:innen, die sich für einen starken und unabhängigen Lokaljournalismus einsetzen. Auch seemoz gratuliert den Rottweiler Kolleg:innen.

Text: Uta Preimesser / Fotos: Dieter Heise

Bild4 Nrwz Rottweil, 20 Jahr Feier © Dieter Heise
Josef-Otto Freudenreich bei seiner Laudatio

Vortrag von Josef-Otto Freudenreich über Lokaljournalismus, Demokratie, Identität. Und warum es eine NRWZ braucht

Liebe Festgäste,

lassen Sie mich mit der Aktualität beginnen. Mit der AfD, der selbsternannten Alternative für Deutschland. Sie hatte am vergangenen Mittwoch ihren historischen Tag. Es war der Tag, an dem eine rechtsradikale Partei hoffähig wurde. Ermöglicht vom Vorsitzenden der CDU, Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der keine Scham hatte, seine sogenannte Asyl-Wende mit Hilfe der AfD durch den Bundestag zu bringen. Die Brandmauer war gefallen.

Der Berliner Tagesspiegel schrieb: „Laut heraus gebrüllte Häme bei der AfD, tiefe Verzweiflung bei SPD, Grüne und Linke“.

Was das im Einzelnen bedeutet, diese „Verschärfung der Migrationspolitik“, zu der man auch „Festung Europa“ sagen kann, soll hier nicht das Thema sein. Erwähnt sei nur, dass es auch der Tag des Holocaust-Gedenkens im Bundestag war, der Befreiung von Auschwitz vor 80 Jahren, durch die Rote Armee, was gerne vergessen wird. Damals waren es deutsche und europäische Juden, die an fremden Grenzen abgewiesen wurden. Was hätte ein Recht auf Asyl für sie bedeutet?

Ein Hang zur Homogenisierung

Dieser Vorspann musste sein, weil er für unser Thema wichtig ist. Für die Demokratie, ihre Verteidigung, ihren Erhalt und ihre Zukunft. Also für alles, was Weidel und Höcke bekämpfen.

Konstitutiv für die Demokratie, so heißt es, sei eine freie Presse, unterlegt durch Artikel 5 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Eine Zensur findet nicht statt.“

Immer wieder taucht auch der Begriff „Vierte Gewalt“ auf, der impliziert, dass die Presse staatliches Handeln nicht nur begleiten, sondern auch kontrollieren soll. Nicht zu vergessen den Auftrag, an der Willens- und Meinungsbildung der Bevölkerung mitzuwirken.

Auch darüber wäre nun viel zu sagen, inwieweit die Presse diesem Auftrag tatsächlich gerecht wird, oder ob nicht auch zu bedenken wäre, was beispielsweise Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem Buch über „Die Vierte Gewalt“ geschrieben haben. Sie sehen bei den Leitmedien einen „Hang zur Homogenisierung des journalistischen Informierens, Urteilens und Meinens“, zum Vorsichhertreiben von Politikern, und verweisen auf die uniforme Berichterstattung über Corona und den Ukraine-Krieg. Beim Publikum kommt dieser Journalismus nicht immer gut an.

Streiks seit 19 Tagen

Auch das gilt es im Blick zu halten, wenn über die Rolle von Medien in der Demokratie diskutiert wird. Vorsicht ist vor allem bei Verlegern geboten, wenn sie zu ihren Sonntagsreden über ihre Produkte anheben.

Gestatten Sie mir eine kleine Geschichte aus dem Reich der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), zu der unter anderen die Süddeutsche Zeitung, die Stuttgarter Blätter, die Rheinpfalz und der Schwarzwälder Bote gehören. Ich rede hier vom zweitgrößten Tageszeitungskonzern in Deutschland.

In den vergangenen Wochen haben die Kolleginnen und Kollegen der Stuttgarter Zeitungsnachrichten immer wieder gestreikt. Zurzeit sind sie beim insgesamt 19. Streiktag angelangt. Warum sie das tun, lesen sie in der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten nicht. Zum einen setzen sie sich für Kolleginnen und Kollegen ein, die in tariflosen Gesellschaften arbeiten, zum andern haben sie wieder einmal eine Sparrunde vor Augen, die Dutzende von Arbeitsplätzen kosten wird. Ich nehme an, dass Ihnen diese Geschichten bekannt vorkommen. Beim Schwarzwälder Bote gab es einst den längsten Streik in der deutschen Mediengeschichte. Mehr als 100 Tage.

In zehn Jahren habe er vier Entlassungswellen erlebt, berichtet der Betriebsratsvorsitzende in Stuttgart, und jedes Mal mit der Begründung, das müsse sein, damit das Unternehmen zukunftssicher aufgestellt sei.

Boulevard und Banalität

Selbstverständlich weiterhin mit Qualitätsjournalismus, der allerdings in vielerlei Hinsicht neu definiert, sprich den Bedürfnissen des modernen Menschen angepasst werden müsse. Dass diese Bedürfnisse häufig in der Bauchgegend angesiedelt werden, wird niemandem entgehen, der diese Zeitungen liest. Boulevard und Banalität prägen das Bild.

Das Entlassen von Personal erscheint den Eigentümern dieser Produkte als einzige Möglichkeit ihrer Existenzsicherung, die wiederum auf der Basis veralteter Annahmen beruht. Die Lizenz der Alliierten zum Zeitungsdruck war eine Lizenz zum Gelddrucken, die Profitrate exorbitant, bis zur Jahrtausendwende, bis das Internet so weit gediehen war, dass es zum bevorzugten Platz für die Anzeigen wurde und die sogenannten sozialen Medien zur Gratisbörse für Information und Unterhaltung aufstiegen.

Bei Ihnen hier in Rottweil konnten Sie diesen Prozess realiter beobachten. Ich meine damit nicht den Umfang des anschwellenden Vermögens, sondern die Sicherung desselben. Soll heißen: Die Schließung des Schwarzwälder Volksfreund 2004, der Lokalausgabe der Schwäbischen Zeitung – bei der ich einst volontiert habe, wie der NRWZ-Herausgeber Peter Arnegger. Aber das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Das nur nebenbei.

Heute würde man den Vorgang, der einer Nacht- und Nebelaktion glich, als Gebietsbereinigung nach Gutsherrenart bezeichnen, tat der Schwarzwälder Bote in Trossingen doch dasselbe mit seinem Lokalblatt, also Laden dicht, und zack waren beide Verlage an diesen Orten etwas, was Kapitalisten immer sein wollen: sie waren Monopolisten. Was ihre Kundschaft anbelangt, blieben sie wortkarg, sie durfte über die Gründe rätseln und sich fragen, ob das Credo der Aufklärung, das bürgerliche Zeitungen gerne vor sich hertragen, nur gilt, wenn es um andere geht. 

Widerborstige Rottweiler

In Rottweil war das nicht so geräuschlos zu erledigen. Es gab Unterschriftenlisten und eine Demonstration, und ich habe einem NRWZ– Interview mit dem langjährigen Stadtarchivar Winfried Hecht entnommen, dass dafür ein „hoher Intellektualisierungsgrad“ der Stadt verantwortlich war. Die Bürgerinnen und Bürger empfänden Meinungsvielfalt als wertvoll, sagte er, sie wollten nicht nur zur Dachluke raus schauen, sondern durch mehrere Fenster.

Das war sehr schön formuliert, und lässt erahnen, worauf ihr Protest gründet. Auf ein ordentliches Selbstbewusstsein. Auf Bürgerstolz in der ältesten Stadt Baden-Württembergs.

Ganz nebenbei, das ist mir bei der Vorbereitung auf diese Rede auch noch aufgefallen: Ein Foto Ihres Oberbürgermeisters Christian Ruf, der in seinem Amtszimmer sitzt, neben ihm ein Hund namens Achilles. Die Überschrift lautet: „Rottweil protestiert gegen Rottweiler-Verbot“. Adressat ist der Kanton Zürich, der eine Anschaffung dieser Rasse untersagt, weil sie ein „erhöhtes Gefährdungspotenzial“ darstelle. Ruf kontert und sagt, der Rottweiler sei „wachsam, stark und unerschrocken“. Womöglich hat er das symbolisch gemeint. Auch für seine Stadtgesellschaft. Gestern hat sogar noch die dpa darüber berichtet.

Tatsache ist, dass dieser Menschenschlag widerborstig ist, dass er einen Verein gegründet hat und der wiederum eine Zeitung, die Neue Rottweiler Zeitung hieß, und die es heute noch gibt. Zur Überraschung aller. Seit mehr als 20 Jahren. Unter den Gratulanten sind viele ehrbare Menschen. Der Rüstungskonzern Heckler & Koch und [die in Schramberg aufgewachsene] Kryptoqueen Ruja Ignatova sind nicht dabei. Chapeau!

Einen dicken Glückwunsch meinerseits! Auch an den Kollegen Martin Himmelheber, der für die Nicht-Gratulanten verantwortlich ist.

Gerettet von den Leser:innen

Glauben Sie mir, ich weiß, was es heißt, ein solches Projekt auf die Welt zu bringen. Und es in ihr zu halten. Wir haben 1982 die Karlsruher Rundschau gegründet, als Gegenstück zu den Badischen Neuesten Nachrichten, und waren nach zwei Jahren pleite. 2011 kam Kontext, als Gegenstück zu den Stuttgarter Blättern, und wir waren nach einem Jahr – fast – pleite.

Gerettet haben uns die Leserinnen und Leser, die die Notwendigkeit einer zweiten Stimme erkannt haben. Es war die Hochzeit der Proteste gegen Stuttgart 21. Zehntausende sind damals auf die Straße gegangen und mussten zuhause lesen, dass sie irregeleitet, dass sie Zukunftsverweigerer waren, weil sie nicht kapiert haben, wie man dagegen sein konnte, in einem Zug von Paris nach Bratislava zu fahren.

Bahnchef Hartmut Mehdorn hat mir damals erzählt, ich müsste den Kopf schon in einen Gully stecken, um etwas von den Bauarbeiten mitzukriegen. Und alle haben es geglaubt: Die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten, die ganze baden-württembergische Presse und der Südwestrundfunk.

Ich erzähle Ihnen das auch, weil Sie mit einer Spätfolge von Stuttgart 21 zu kämpfen haben: mit der Gäubahn. Sie passt so wunderbar ins Bild dieses Immobilienprojekts, das bisher alles bestätigt hat, was seine Kritiker kritisiert haben. Ich kann Ihnen nur raten, wachsam zu bleiben. 

Hauptmitarbeiterin dpa

Ich berichte Ihnen es aber auch, weil es ein Beleg dafür ist, dass die Quantität allein noch nichts über die Qualität besagt. Wenn Uniformität zur Blattlinie aller wird, hilft es wenig, wenn Verleger und Politik gemeinsam das hohe Lied der Vielfalt singen. In Baden-Württemberg wird es besonders gerne angestimmt, vorneweg von Winfried Kretschmann, weil es hier noch 17 sogenannte publizistische Einheiten gibt. Und dann schauen Sie mal rein in diese Zeitungen. Die präsenteste Mitarbeiterin ist die Deutsche Presse Agentur (dpa), dahinter rangieren die Berichte der eingekauften Netzwerke aus Berlin und der Bürogemeinschaften in Stuttgart.

Und das Lokale? Die Grundlage journalistischen Schaffens? Die womöglich letzte Existenzsicherung der Tageszeitungen, weil die Informationen über den Nahbereich der Nachbarschaft nicht frei flottierend zur Verfügung stehen? Das unverzichtbare Medium der Demokratie?

Auch darum ist es nicht gut bestellt. Ich zitiere einen entscheidenden Satz aus einer aktuellen Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die den Titel „Öffentlichkeit ohne Journalismus“ trägt: „Weil die Verlage wirtschaftlich immer weiter unter Druck geraten, dünnen sie ihre Redaktionen aus, mit der Folge, dass die Berichterstattung leidet. Dadurch werden sie für viele Abonnent:innen uninteressanter, Werbeanzeigen und Abonnements gehen zurück, die Zeitung steht wirtschaftlich noch schlechter da, sie dünnt die Redaktion noch weiter aus – bis sie schließlich aufgeben muss.“

Es ist ein Teufelskreis des Sparens.

Arroganz und Ratlosigkeit

Eine Folge sind leere Pressebänke in den Rathäusern, Vereinen, Theatern, Firmen, eine Flut von PR-Meldungen, und damit verbunden der Verlust der Gatekeeper-Funktion, die ureigenes journalistisches Geschäft ist, sprich das Wachen über Anstand, Normen und Werte, Standards und Regeln.

Wie sehr das auf den Nägeln brennt, hat uns ein Brandbrief von fünf Landräten aus der Metropolregion Stuttgart gezeigt, die den Pressekonzern SWMH aufgefordert haben, ihrem Auftrag der seriösen Unterrichtung der Bürgerinnen und Bürger nachzukommen. Man könne ja mal darüber sprechen, lautete die Rückmeldung, aber – sie wissen schon, der Kostendruck. Ausgesandte des Verlags boten dann eine Lösung an, einen Newsletter zu fertigen, der von den Gemeinden finanziert wird. Nicht eines der vielen SWMH-Blättern hat darüber berichtet.

Und damit erzeugen sie Verdruss, wo sie Vertrauen schaffen sollten. Wo sie Identität stärken sollten, mittels einer Heimatzeitung, die sie vorgeben zu sein und nicht mehr sind. Stattdessen leisten sie der Entwicklung Vorschub, dass ihr Publikum auf eigene Kanäle ausweicht, die öffentliche Kommunikation in die eigenen Hände nimmt, und damit die Gesellschaft weiter fragmentiert. Kein Wunder, dass die Auflagen der Zeitungen mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit in den Keller rauschen.

Vieles weist darauf hin, dass dieses Geschäftsmodell keine Zukunft mehr hat – es sei denn, dank KI kann noch mehr Personal eingespart werden. Was eifrig geprobt wird und die Betroffenen in Angst und Schrecken versetzt. Wenn sie, zum Beispiel in Stuttgart, fragen, was aus ihnen wird, bekommen junge Mediengestalterinnen von der Geschäftsführung eine Frage zur Antwort: „Bin ich Jesus?“ Das wiederum verweist auf eine große Ratlosigkeit in den Verlagen, die durch den verstärkten Verkauf von rabattierten Abonnements, Weinflaschen und Reisen nicht kompensiert werden kann.

„Lückenspringer“ jetzt auch in Lindau

Eine Perspektive bieten die Lückenspringer. All die alternativen Projekte, die in den zurückliegenden Jahren entstanden und angetreten sind, die Leerstellen zu füllen. Correctiv ist das bekannteste unter ihnen, hervorgetreten durch das Veröffentlichen der „Remigrations“-Pläne der AfD. Dazu gehören Reporter ohne Grenzen, das Netzwerk Recherche, die Krautreporter, die Riffreporter, aus Meck-Pomm Katapult, aus Baden-Württemberg seemoz und Kontext – und natürlich die Neue Rottweiler Zeitung. Mit ihren 20 Jahren darf sie sich zu den Pionieren zählen. 

Gemeinsam ist ihnen, dass sie von ihren Leserinnen und Lesern getragen werden und nicht von renditegetriebenen Privatpersonen, die ihr Geld in Cent und Euro verzinst sehen wollen. Die Alternative ist unabhängiger Journalismus.

Und wer weiß, vielleicht ist es auch bald in Oberschwaben soweit? Dort fährt die Schwäbische Zeitung, das Monopolblatt für „Christliche Kultur und Politik“, einen AfD-nahen Kurs, der selbst leidensfähige Leser:innen über Gebühr strapaziert, und dem Gedanken nahe bringt, eine Alternative aus der Taufe zu heben.

Einen ersten Schritt ist die frühere Leiterin der SchwäZ in Lindau gegangen. Sie hat das gemeinnützige Online-Nachrichtenmagazin Kolumna gestartet, 657 zahlende Abonnent:innen hat sie schon. 

Nun sind die tapferen Gründerinnen und Gründer nicht so verwegen, zu glauben, sie könnten die Altmedien ersetzen. Einfach so. Getragen von der Freude am Job, von der Freiheit bei der Arbeit, vom Engagement für einen Journalismus, der den Anspruch verwirklicht, konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft zu sein. Das reicht nicht. Die Kolleginnen und Kollegen von der NRWZ werden mir das bestätigen können.

Ich könnte jetzt sagen, es braucht Geld, es braucht einen vorzüglichen Rechtsanwalt, es braucht Bewegung in der Politik, die endlich begreifen muss, dass dieser Journalismus förderungswürdig ist. Alles richtig, aber ohne überzeugte Leserinnen und Leser ist alles nichts.

Bläddle gegen Rechtspopulismus

Womit ich bald am Ende bin und den Anfang wieder aufgreife. Den salonfähig gewordenen Rechtsextremismus. Wir haben seit geraumer Zeit einen Mitarbeiter, der auch zu Ihren Gratulanten gehört.  Maxim Flößer. Er hat eine Masterarbeit geschrieben, die sich mit der Frage beschäftigt, ob es einen Einfluss auf die Stimmenanteile der AfD hat, wenn es vor Ort keine Lokalzeitung gibt. Ja, gibt es, 1,6 Prozent im Durchschnitt mehr. So hat er es 2021 bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg ermittelt.

Warum das so ist, erklärt der junge Sozialwissenschaftler so: Ein „präsenter Lokaljournalismus“ fördert das politische Wissen, verbindet die Menschen, fördert den Zusammenhalt, und befähigt sie, politische und ökonomische Prozesse auf ihre Korrektheit hin zu beurteilen. Sie verstehen, wie Demokratie funktioniert. AfD-Wähler eher weniger. Vor diesem Hintergrund sei es umso schlimmer, folgert Flößer, wenn die Verlage ihre Redaktionen weiter ausdünnten oder gleich zuschlössen. (In Paranthese: Seit 2005 sind in den USA 2000 Zeitungen eingestellt worden. Donald Trump ist zum zweiten Mal Präsident).

Inzwischen ist die AfD dazu übergegangen, sich medial auf eigenen Kanälen zu bewegen. Besonders erfolgreich ist sie bei Tiktok, wo sie an der digitalen Spitze steht, auf ihren analogen Wegen kapert sie seit neuem Anzeigenblätter, die sie ungeniert als PR-Plattform nutzt. 

Wir, also Kontext, sind seit Jahresbeginn auch Verleger von zwei Anzeigenblättern. Vom Blättle-West und vom Blättle-Süd [Anm. seemoz: siehe dazu Kontext, Ausgabe 713 vom 27.11.2024]. Auflage 42.000. Wir haben sie gekauft, ganz im Sinne von Maxim Flößer, der seine Studie „Bläddle gegen Rechtspopulismus“ genannt hat. Eine Anzeige der AfD werden Sie darin nicht finden, aber mehr als drei Seiten zur Bundestagswahl, an deren Ende steht, am wichtigsten sei, dass vor allem eine siege: die Demokratie.

Text: Josef-Otto Freudenreich

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