So langsam klären sich die Fronten im Kampf um die Zukunft von Orchester und Theater in Konstanz. Nachdem am Theater im Sommer bereits zwei Verträge nicht verlängert wurden, wird jetzt zum Kampf gegen die im Vergleich zum Theater besseren Arbeitsverhältnisse der Musiker*innen geblasen. Lohndumping und Kündigungen als Quell ungeahnter Kreativität?
Die Pläne der Stadt, bei Theater und Philharmonie bis zu 20% der Zuschüsse einzusparen, haben nicht nur zu einem leisen Aufschrei der Betroffenen geführt. Es gibt auch bedeutende Köpfe in der Stadt, die mit Sachverstand den Ursachen für die Misere nachspüren und kluge Lösungen vorschlagen.
Sozialneid?
So war im Südkurier in der letzten Woche zu lesen, dass Theater in Spardebatten besser aufgestellt seien als Orchester.[1] Die Theatermenschen hätten einfach frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und sich stärker den Publikumsbedürfnissen geöffnet, während Orchestermusiker*innen ihren Kunsttempel Konzertsaal nur höchst ungern verließen.
Angesichts der Aktivitäten der Orchestermitglieder an Schulen und bei Kinderkonzerten, als Instrumentallehrer*innen und gelegentlich auch bei hundsgewöhnlichen Mucken muss mensch dieser Diagnose nicht zwingend zustimmen. Statistiken für die Jahre 2003 bis 2017 jedenfalls sprechen eine andere Sprache: Die Zahl der musikpädagogischen Veranstaltungen der deutschen Orchester, vor allem jener in Schulen, hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdreifacht, und es gab bereits 2017 mehr davon als „klassische“ Konzerte.[2] Da scheint also bereits vor zwei Jahrzehnten vielerorts eine radikale Trendwende begonnen zu haben.
Der Mythos
Interessanter aber als diese Diagnose ist die Auseinandersetzung mit den Ursachen für diese vermeintliche Rückständigkeit des Orchesterbetriebs: Den angeblich unverschämt komfortablen Anstellungsbedingungen von Musiker*innen.
Als Beleg dafür wird unter anderem ein Interview mit dem Theatermann Herbert Fritsch aus dem Jahr 2011 angeführt, der sich zu einer Brandrede gegen Musiker*innen an Dreispartenhäusern (mit Oper, Theater und Ballett) hinreißen ließ: „Dabei verdienen die [Musiker*innen, seemoz] ohnehin schon mehr als das Doppelte [wie Schauspieler, seemoz]. Das muss man sich mal vorstellen: diese Schnarchnasen, diese Langweiler, von denen niemand spricht, die im Orchestergraben sitzen und Kaffee trinken und Zeitung lesen. Das ist himmelschreiend, eine Ungerechtigkeit, die basiert auf einer Kulturreform unter Reichspropagandaminister Goebbels. Dabei wurden die Orchestermusiker quasi den Lehrern gleichgestellt, weil sie für Bildung sorgen, offenbar im Gegensatz zu den Schauspielern. Deshalb sind die Musiker praktisch unkündbar. Unglaublich!“[3] Musiker*innen als abgefeimte Profiteure des Faschismus, darunter tut es ein gestandenes Theater-Ego scheint’s nicht.
Der stets scharfsinnige und bekanntlich auch mit detektivischem Spürsinn begnadete Leiter des Südkurier-Kulturressorts, der allseits geschätzte Johannes Bruggaier, führt in diesem Sinne den geltenden Tarifvertrag TVK (Tarifvertrag für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern) ins Feld: „Während zu den Bedingungen des ‚Normalvertrags Bühne‘ angestellte Schauspieler nahezu rund um die Uhr verfügbar sein sollen, Ruhezeiten allenfalls andeutungsweise geregelt sind und zum Lohn dennoch jederzeit ihren Job verlieren können, genießen Orchestermusiker dank des TVK weitreichende Privilegien und soziale Absicherungen.“
Bad im Geldspeicher fällt aus
Von Privilegien könnte man vielleicht ernsthaft sprechen, wenn die Konstanzer Philharmoniker*innen und ihre Kolleg*innen in den anderen B-Orchestern der Republik das Geld nur so scheffeln würden. Tatsächlich aber startet der Tarifvertrag für Musiker*innen in B-Orchestern mit einer Brutto-Grundvergütung im niedrigeren 3.000-Euro-Bereich. Jene, die solistische Aufgaben übernehmen oder Stimmführer sind, erhalten eine Tätigkeitszulage. Allerdings wird dieser Tarifvertrag durch einen Haustarifvertrag noch teilweise unterboten.
Orchestermusiker*innen sind Menschen, die etliche Jahre studiert, ihr Studium erfolgreich abgeschlossen und sich dann gegen teils massive Konkurrenz einen Platz in einem Orchester erspielt haben. Außerdem arbeiten die meisten von ihnen auf einem Instrument, das sie privat erworben haben und für das sie oftmals mehrere zehntausend Euro zusammensparen oder -leihen mussten, die es in den Anfangsjahren abzuzahlen gilt. Da erscheinen solche Gehälter in keiner Weise üppig, sondern liegen im Bereich des deutschen Durchschnittseinkommens.
Außerdem müssen Musiker*innen mit einem zerrissenen Tag (morgens Probe, abends Konzert), nervigen Reisen, viel Wochenend- und Feiertagsarbeit sowie zahllosen häuslichen Übungsstunden leben, was es kaum möglich macht, eine exakte Zahl an Arbeitsstunden zu ermitteln. Genau wie am Theater gibt es hier nur einen einzigen freien Tag in der Woche. Auch der Urlaub ist in den Orchester- bzw. Theaterferien zu nehmen und wird damit vom Arbeitgeber bestimmt.
Das sind keinesfalls „weitreichende Privilegien“, sondern Arbeitsbedingungen, die für viele festangestellte qualifizierte Arbeitnehmer*innen in der „freien“ Wirtschaft normal bis unterdurchschnittlich sind.
Tagelöhner unter der Knute
Ein ganz massiver Unterschied zwischen Orchester und Theater ist allerdings die Arbeitsplatzsicherheit. Haben Orchestermusiker*innen erst einmal ihre 12 bis 18 Monate Probezeit überstanden, gibt es kaum Kündigungsmöglichkeiten. Am Theater hingegen gilt für künstlerische Kräfte, die weniger als 15 Jahre am Haus sind, eine jährliche Nichtverlängerungsmöglichkeit. Da am Theater Arbeitszeiten nicht exakt erfasst werden, sind dort 50 oder 60 Arbeitsstunden pro Woche eher die Regel als die Ausnahme, beim Orchester ist wenigstens die Zahl der Proben und Vorstellungen geregelt.
Die Arbeitsverhältnisse an deutschen Theatern sind für viele Kräfte schlichtweg prekär: Davon lässt sich kaum leben, und an eine halbwegs verlässliche Lebensplanung ist nicht zu denken. Hier herrscht finsterster Feudalismus.
Leider aber sind so manche Intendanten und andere Lautsprecher an den Theatern eher geneigt, den Neid auf die Musiker*innen zu schüren, als für ihre eigenen Leute menschenwürdige Arbeitsbedingungen durchzusetzen, die sich an denen der Orchester orientieren.
(Jene Intendanten hingegen, die bessere Verhältnisse anstreben, werden von Verwaltung und Politik gern ausgebremst, die ihr soziales Gewissen schnell verlieren, wenn es um Menschen geht, die im Bereich Kunst und Kultur arbeiten. Die Häuser werden mit Erhöhungen der Personalkosten weitgehend alleingelassen. Tariferhöhungen, welche die Theater und Orchester nicht selbst aushandeln, sondern übernehmen müssen, werden oft nicht von den Trägern erstattet und führen so zu realen Kürzungen der Budgets.)
Hunger macht flexibel
Solche Verhältnisse werden im Südkurier nun als durchaus kreativitätsfördernd gepriesen: „Sich stetig hinterfragen, verändern, auf veränderte Rahmenbedingungen einlassen: Schauspieler müssen es – Musiker dürfen es,“ ist das Fazit.
Je mieser die Arbeitsbedingungen, desto größer die Kreativität? Das ist finsterste Arbeitgeber-Lyrik. Soll hier zum Sturm auf die Arbeitsbedingungen der Musiker*innen geblasen werden, um ihnen deutliche Zugeständnisse abzuringen und ein paar von ihnen möglichst sang- und klanglos mit Kündigung zu bedrohen, während die anderen erleichtert sind, noch mal mit einer deutlichen Lohnsenkung davongekommen zu sein?
Wenn der hervorragend entlohnte und sozial bestens abgesicherte Südkurier-Kulturchef Johannes Bruggaier Hungerlöhne für ein derart probates Mittel hält, sich stetig zu hinterfragen und zu verändern, sollte er bei seinem Arbeitgeber am besten mal um eine massive Lohnsenkung nachkommen. Dann wird seine Kreativität explosionsartig zunehmen, und es reicht für ihn sicher bald zu einem Pulitzer-Preis …
Text: Harald Borges, Bild: Huy Phan via Pexels
Anmerkungen
[1] „‚Brauchen den Quatsch nicht!‘: Warum Theater in Spardebatten besser aufgestellt sind als Orchester“, von Johannes Bruggaier, 13. Oktober 2023.
[2] „Zahl der Veranstaltungen von Orchestern und Rundfunkensembles seit 2003/04“, Deutsches Musikinformationszentrum, Quelle: Deutsche Orchestervereinigung (DOV), Stand: März 2019.
[3] „Ich kann nur Volldampf“, KulturSPIEGEL 5/2011 als PDF-Download.
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