Der krude Neologismus «Sprech» hat das Substantiv «Sprache» und das Verb «sprechen» abgelöst. Aber das ist noch nicht alles.
Es ist ein neues Phänomen in unsicheren Zeiten von Umweltkatastrophen, Überschwemmungen, Erdbeben und den Kriegen in der Ukraine, dem Nahen Osten, im Sudan oder Bergkarabach. Schlechte Zeiten verlangen nach Aufhellung und Überhöhung in Berichterstattung und Alltagssprache. Ganz ähnlich ist wohl, wenn vielleicht auch aus anderen Gründen, im 18. Jahrhundert das Französische über sämtliche Duodezfürstenhäuser hergefallen. Den Rest besorgen die auf Reize getrimmte Werbung und ein immer schludrigerer Journalismus sowohl der gedruckten Presse wie im Fernsehen, deren Sprecher (und -innen) kaum noch richtiges Deutsch beherrschen – und nicht nur heutige Schülerinnen und Schüler. Die Misere muss also schon sehr viel früher eingesetzt haben.
Im Fussball wurde früher einmal dem Ball nachgerannt, heutzutage wird performt. Vordem wurde der Ball dann im günstigen Fall in den Strafraum gespielt und sodann ein Tor erzielt. Unterdessen wird er in die Box gekickt, und dann wird gescort. Des Fussballfans Herz jubelt – nicht ob des erzielten Tors, nein, wegen der modernen und eleganten neudeutschen Ausdrucksweise.
Die Wähler und Stimmbürgerinnen wurden dereinst an die Wahlurnen gerufen. Unterdessen ist alles viel simpler geworden, es wird ganz einfach gevotet. Ein Versandhaus für Unterwäsche (Underwear Shop) bestätigte mir jüngst, man habe meine Bestellung nicht etwa abgeschickt, sondern «generieren» können. Reinigungs- oder Putzfirmen haben auf ihren Lieferwagen den schönen Begriff facility services stehen. Solche «Erleichterungs- oder Einrichtungsdienste» könnten natürlich auch Essensauslieferungen oder Flickschneidereien sein. Aber darum geht es nicht, sondern um das Flair. Ein Facility Management hingegen nannte man früher einmal Liegenschaftsverwaltung.
Die Corona-Impfungen in den Jahren 2021 und 2022 wurden im Thurgau von der Spitalgruppe Hirslanden durchgeführt (der kantonale Gesundheitsdirektor war da zufällig früher mal angestellt). Die Hirslanden-Spitäler ihrerseits gehören zu einem weltweiten Gesundheitsagglomerat mit Sitz in Südafrika (der oberste Chef wurde dann auch als allererster Impfling in den Thurgau eingeflogen, obwohl die Impfung eigentlich Kantonsbürgern vorbehalten war, aber das ist eine andere Geschichte). Die Sprache des Konzerns ist Englisch.
So erhielt ich eines Tages eine E-Mal des Inhalts: Don t forget your appointment at Impfschiene one on 22 October». Das Wort «Impfschiene» scheint im Englischen nicht zu existieren. Nicht nur ältereMitbürger(-innen) dürften eines solch exquisiten Englisch kaum mächtig sein (nur zur Erinnerung: zu den drei Landesssprachen in der Schweiz zählt Englisch nicht). Sie mussten sich also Hilfe suchen. Wie und wo, keine Ahnung. Es wurde übrigens nicht bekannt, ob die Impfkampagne ins Wasser gefallen ist.
Und sollten Sie kürzlich in den Herbstferien gewesen sein, steht zu hoffen, dass Sie jetzt nicht am After Holiday Syndrome leiden.
Text: Jochen Kelter, Graphik: O. Pugliese
Jochen Kelter liest aus seinem Gedichtband „Verwehtes Jahrhundert“ am Freitag, 3.11.2023, um 19.30 Uhr in der Spiegelhalle des Theaters Konstanz.
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