Für das Baugebiet Am Horn zwischen Lorettowald und Therme startete die Ausschreibung der Baugrundstücke. Mit einer Informationsveranstaltung in der Mensa des Suso-Gymnasiums rührte die Stadtverwaltung noch einmal kräftig die Werbetrommel für das neue Baugebiet.
Bis zu neun Jahre warten sie schon, nun ist es endlich so weit: Baugruppen können sich um ein Grundstück im Modellquartier Horn bewerben. Manche Gruppe hat über die Jahre aufgeben – nicht jeder kann seinen Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen über so lange Zeit verfolgen; Lebensumstände ändern sich, Familie und Beruf erfordern Lösungen hier und jetzt und nicht in ungewisser Zukunft. Doch zwei Gruppen haben durchgehalten und präsentierten sich auf einer Informationsveranstaltung der Stadt mit Ständen.
Da war zum einen das Wohnprojekt Konstanz eG, eine Genossenschaft mit nach eigenen Angaben rund hundert Mitgliedern. Die Webseite nennt als Initiatorin und Projektentwicklerin Sylvia Machler, Berufsangabe „Holistisches Business und Life Coaching“. Ihre Vision: „Ein Ort, an dem die Menschen zusammenkommen, weil sie einen Weg aus den tiefsten Quellen ihres Herzens gehen und daraus in eine Kreativität kommen, die sie gemeinsam etwas großartiges Neues erschaffen lässt … ein Ort für wahrhaftige Begegnungen, ein Ort des Zuhörens und Verstehens“.
Auch die zweite Gruppe, die WohnWerkstatt Leben und Teilen, will „keine bloße ökonomische Zweckgemeinschaft sein, sondern [sich] auf soziale und ökologische Ziele einigen und diese umsetzen.“ Die bisher als Verein organisierte WohnWerkstatt, wir haben sie schon einmal auf seemoz vorgestellt, will keine eigene Genossenschaft gründen, sondern sich als Projekt in das Mietshäuser Syndikat (MHS) einbringen. Dies würde der WohnWerkstatt auch Kredite aus dem Solidarfonds des MHS erschließen.
Modell Mietshäuser Syndikat
Im Mietshäuser Syndikat sind aktuell deutschlandweit knapp 200 Hausprojekte in einem losen Verbund organisiert. Jedes Projekt ist eine eigenständige Hausbesitz-GmbH mit zwei Gesellschaftern: dem aus der Hausgemeinschaft bestehendem Hausverein und dem Mietshäuser Syndikat. Der Hausverein entscheidet über alle Belange des Hauses selbst. Nur beim Hausverkauf oder der Aufteilung in Eigentumswohnungen hat das Syndikat ein Vetorecht. Und verhindert so gemäß seinem Zweck die kapitalistische Verwertung der Immobilie.
Qualität statt Quadratmeter
Doch was ist auf dem etwa zwei Hektar großen Baugebiet „Am Horn“ gegenüber dem Lehr- und Lernmittelverlag Christiani überhaupt geplant? Die Stadt spricht überschwänglich von einem lebendigen, nachhaltigen und vernetzten Quartier für gemeinschaftliches Wohnen, vorbildhaft für künftige Stadtentwicklung an anderer Stelle. Sozialwohnungen und weiterer Wohnraum unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete sollen 140 Haushalten mit unterem und mittlerem Einkommen eine dauerhafte preisgünstige Bleibe sichern.
Unter dem Motto „Qualität statt Quadratmeter“ will man die individuelle Wohnfläche reduzieren. So sollen etwa Gästezimmer, Werkstätten und auch Parkplätze gemeinsam genutzt werden. Eigentumswohnungen sind ausgeschlossen. Die Grundstücke wird die Stadt nicht verkaufen, sondern im Erbbaurecht für 75 Jahre vergeben.
Auf der Veranstaltung wurde gar eine 3-D-Brille verteilt, mit deren Hilfe und einem QR-Code man auf dem Smartphone eine virtuelle Tour durch das künftige Quartier unternehmen kann. Ein nettes Gadget, das angesichts des steten Jammers über ein strukturelles 15-Millionen-Defizit im Stadthaushalt aber doch die Frage aufwirft: Wenn das Geld wirklich so knapp ist, warum leistet sich die Bauverwaltung solche Werbemittel? Und engagiert mit dem Designstudio Eminent gar eine Kommunikationsagentur, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen?
Vom Parkhaus zum Flexhaus
Das Baugebiet wird im Rahmen einer Konzeptvergabe vergeben. Das bedeutet, nicht der oder die Meistbietende erhält den Zuschlag, sondern wer das beste Konzept vorlegt. Der Kriterienkatalog gewichtet mit rund 60 Prozent soziale Kriterien, zu 25 Prozent die Ökologie und zu 15 Prozent die Qualität der Architektur.
Vergeben wird im Anker-/Anliegerverfahren. Andernorts bereits erprobt, ist es für Konstanz Neuland, soll künftig aber auch im Hafner angewendet werden. Es bedeutet, dass zuerst Baufelder an ein Ankerprojekt vergeben werden. Der Anker übernimmt die Verantwortung für zentrale Aufgaben wie die Errichtung der Quartiersgarage. Die heißt natürlich nicht mehr Parkhaus, auch nicht im Neusprech Mobilitätshaus, sondern, ganz neu, Flexhaus. Hier sollen die Parkplätze für Autos, Fahrräder sowie Carsharing-Plätze für das Neubaugebiet unterkommen. Die Planer sehen nur noch ein Auto auf vier Wohnungen vor, jedoch pro Wohnung drei Fahrräder. Werden die Stellplätze dereinst nicht mehr benötigt, muss das Flexhaus in Wohnungen umgebaut werden können.
Wohnen ohne Auto: Ob das klappt?
Nur 35 Autos für 140 Wohnungen? Aktuell hat Konstanz etwa 48.000 Wohnungen und 33.000 private Pkws. Legt man dieses Verhältnis zugrunde, müsste das Parkhaus auf den Christiani-Wiesen etwa 100 Plätze für Privatautos bereithalten. Dass Quartiere auch mit wenigen Autos auskommen, beweist der Freiburger Stadtteil Vauban. Hier hat man allerdings bei der Planung eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, nämlich eine Straßenbahn mitgedacht. Außerdem gibt es in Vauban Supermärkte für den täglichen Bedarf.
Und im Quartier Am Horn? Für einen Nahversorger ist der Einzugsbereich zu klein, der Bebauungsplan sieht keinen vor. Nur ein kleines Ladengeschäft, vielleicht für eine Food Coop (so wünschen es die Planer:innen) oder einen Kiosk. Auch ein Café soll es geben. Für die künftigen Bewohner:innen am Horn ist die nächste Einkaufsmöglichkeit mit Bäckerei und Lebensmittelvollsortiment am Tannenhof. Geht mit dem Rad, ist für Fußgänger aber zu weit. Auch der Stadtbus, noch verkehrt die Linie 5 tagsüber alle 20 Minuten, eignet sich kaum für Einkaufsfahrten.
Anker gesucht
Außer fürs Parkhaus ist der Erwerber der Ankerflächen für die innere Erschließung des gesamten Areals verantwortlich, soll auch einen Teil der Grünflächen und den Quartiersplatz anlegen und pflegen. Hier ist also ein erfahrener Projektentwickler gefragt. Ursprünglich sollte die WOBAK diese Aufgabe übernehmen. Wohl im Hinblick darauf hat man für den Anker auch drei von fünf der zu errichtenden Gebäude und mehr als die Hälfte der zu realisierenden Wohnfläche vorgesehen. Pech nur, dass die als Anker vorgesehene WOBAK absprang. Man habe beschränkte Ressourcen und wolle sich auf die Projekte Bücklestraße und Marienweg (in Litzelstetten) konzentrieren. Die zuletzt durch eine Petition der Naturschutzverbände verzögerte Planung war aber schon zu weit gediehen, um den „Anker“ nach dem Rückzug der WOBAK noch verkleinern zu können.
Für profitorientierte Investoren ist das Projekt nicht lukrativ, denn die Wohnungen können nicht verkauft werden. Etablierte gemeinwohlorientierte Akteure wie der Spar- & Bauverein oder die Baugenossenschaft Hegau sind nicht interessiert. Die Enthusiasten fürchteten, die Kritiker hofften, das Projekt würde nach dem Rückzug der WOBAK scheitern. Doch es geht weiter. Wie es aussieht, traut sich die Genossenschaft Wohnprojekt Konstanz den Ankerpart zu.
Erbpacht gegen Bodenspekulation
Ist der Anker gefunden und hat einen Vorentwurf erstellt, werden die Anliegergrundstücke am Herrmann-Hesse-Weg ausgeschrieben. Ganz im Westen ein Solitär, dann vier ineinander verschachtelte Würfelhäuser. Um ein oder zwei Häuser wird sich die WohnWerkstatt Leben und Teilen bewerben. Bleiben noch mindestens drei, für die Baugemeinschaften gesucht werden. Vielleicht deshalb der hohe Aufwand mit Infotermin, 3-D-Brillen und Youtube-Filmchen, in denen sich Stadtplaner Andreas Klostermeier als Influencer versucht. Marion Klose, Leiterin des Amtes für Stadtplanung und Umwelt (ASU), gibt sich jedenfalls zuversichtlich und verweist auf eine Markterkundung, die man durchgeführt habe.
Zweifel hegen indes die Freunde neoliberaler Marktwirtschaft. Dass die Grundstücke nicht verkauft, sondern nur in Erbpacht vergeben würden, mache die Sache für Bauwillige unattraktiv, monierte etwa FDP-Stadtrat Achim Schächtle bei der Beratung des Vergabekonzepts im Gemeinderat. Die hier von FGL und Linker Liste unterstützte Verwaltung führte dagegen ins Feld, das Erbbaurecht sei ein Riegel gegen die Grundstücksspekulation.
Bei der Grundstücksvergabe am Horn geht es also auch darum, ob Menschen ohne Aussicht auf einen Spekulationsgewinn zu bauen bereit sind. Der Erbbauzins von vier Prozent des Bodenwerts (für die Grün- und Verkehrsflächen gilt ein reduzierter Satz) liegt aktuell leicht über dem Zinssatz für langfristige Hypothekendarlehen. Noch im letzten Herbst war die Erbpacht günstiger als der Hypothekenzins; und im langjährigen Durchschnitt, so die Leiterin des Liegenschaftsamts Esther Schwytz, kann die Erbpacht klar mit den Baukreditzinsen mithalten.
Erhebliche Umweltauswirkungen
Fast wäre die Informationsveranstaltung zur Entwicklung des Quartiers Am Horn ein Friede-Freude-Eierkuchen-Treffen geworden, hätte nicht Alexander Stiegeler das Wort ergriffen. Seiner Familie gehört das Gartendenkmal Stiegeler Park um die Villa gleich neben der Therme. Stiegeler monierte unter Verweis auf geologische Gutachten, das Bauvorhaben würde den als Naturdenkmale geschützten Bäumen seines Parks das Wasser abgraben. Worauf Marion Klose erwiderte, man sei sich der Gefahr bewusst und eben deshalb seien am Horn keine Keller und Tiefgaragen vorgesehen.
Der grundsätzliche Einwand, warum dieses ja in vieler Hinsicht vorbildliche Projekt genau an dieser Stelle verwirklicht werden soll, war auf dem Treffen kein Thema. Der noch am Bodenseeleitbild einer nur seefernen Bebauung orientierte Flächennutzungsplan kennt die Christiani-Wiesen nur als Agrarland und erlaubt keine Überbauung. Selbst die Stadtverwaltung bekannte in ihrer Vorlage gegenüber dem Technischen und Umweltausschuss: „Die Umweltauswirkungen auf die Schutzgüter Boden, Pflanzen/Biotope und Landschaftsbild sind als erheblich einzustufen.“ So wird etwa, um das 30-Meter-Abstandsgebot der Neubauten zum Wald einhalten zu können, im Norden des Baugebiets ein Stück Wald abgeholzt. Kompensiert werden die Eingriffe mit einer Aufforstung bei Dettingen und einer neuen Feldhecke auf einer Fettwiese am Fohrenbühl (Jakobstraße). Bleiben noch 114.000 Ökopunkte Kompensationsdefizit, die Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle im Stadtgebiet oder den Ankauf von Ökopunkten erfordern. Ein Punkt in diesem naturschutzrechtlichen Ablasshandel wird aktuell mit einem Euro gehandelt.
Ein Dammbruch für Spekulanten
Andernorts, etwa als Teil des geplanten Stadtteils Hafner, wäre das Projekt eine gute Sache. Hier jedoch, als bis zu fünfgeschossiger Riegel zwischen Lorettowald und See, ist das Bauvorhaben am falschen Ort. Gefährlicher noch: Unter dem Etikett, zukunftsfähig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wird der lange bewährte Grundsatz gebrochen, den seenahen Stadtraum nicht weiter zu verdichten. Ein Dammbruch, dem weitere folgen werden. Und dann vor allem für die, die eine seeufernahe Wohnung erstellen und meistbietend verkaufen wollen.
Text: Ralph-Raymond Braun, Fotos: Ralph-Raymond Braun, Karte: Amt für Liegenschaften und Geoinformation der Stadt Konstanz.
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