Rathaus Singen © DEH

Mit „Drei Fragezeichen“ Kurs hart steuerbord in Singen?

Rathaus Singen © Deh Kompr

Aus mehr Konservativen, mehr Männern – darunter drei AfD-Räten – wird sich Singens neuer Gemeinderat zusammensetzen. Bei der Europawahl toppt Singen mit 22,6 Prozent für die AfD sogar den Bundestrend klar. Und 21,1 Prozent der Singer:innen stimmten bei der Kreistagswahl für die „ganz Rechten“. Deutlichste Wahlverlierer sind auch hier die Grünen.

16.354 der 34.991 wahlberechtigten Singener:innen nahmen ihr Stimmrecht bei der Gemeinderatswahl wahr. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 46,7 Prozent. Auch wenn dies eine Steigerung von 3,6 Prozent gegenüber 2019 bedeutet, glänzt Singen hier wieder mit der niedrigsten Wahlbeteiligung im gesamten Landkreis Konstanz.

Singen weiter Schlusslicht bei der Wahlbeteiligung

An der Kreistagswahl beteiligten sich rund 46 Prozent der Stimmberechtigten. Die 50-Prozent-Marke wurde lediglich für die Europawahl mit knapp 53,3 Prozent Wahlbeteiligung geknackt. Aber auch hier bleiben rote Laterne und das Prädikat „Wahlmuffel“ in der Hegau-Metropole. Gewinnerin bei allen drei Wahlen ist klar die CDU.

„Blaue Flecken“ für die „bunte Stadt“

Doch mit einem Stimmenanteil von 22,6 Prozent bei der Europawahl und 21,1 Prozent bei der Kreistagswahl für eine als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ eingestufte Partei und der Tatsache, dass diese – in Singen mit einer Liste von vier Kandidaten angetreten – es schafft, mit drei Mannen in den Gemeinderat einzuziehen, werden die „blauen Flecken“ im „bunten Singen“ immer größer.

Wahlgewinnerin CDU

Singens CDU-Fraktion erhält bei der Gemeinderatswahl 30,7 Prozent der Wähler:innen-Stimmen und gewinnt wieder genau zwei Sitze, die sie bei der „Klimawahl 2019“ verloren hatte, hinzu. Sie wird künftig mit sechs Räten und vier Rätinnen im neuen Kommunalparlament vertreten sein. Wiedergewählt wurden Franz Hirschle, Ralf Knittel, Angelika Berner-Assfalg, Wolfgang Werkmeister, Hans-Peter Stroppa, Klaus Bach und Klaus Niederberger. Als positive Überraschung darf gewertet werden, dass mit Anna Baur, Ulrike Haungs und Heike Kornmayer der Frauenanteil steigt. Anna Baur hat zudem den Sprung vom Jugendkomitee in den Gemeinderat geschafft. Die 19-jährige ist das mit riesengroßem Abstand jüngste Ratsmitglied im neuen Gremium.

Die Verlierer: SPD, Grüne, FDP, SÖS

Zweitstärkste Fraktion mit 17,2 Prozent und fünf Rät:innen bleibt zwar weiterhin die SPD, doch sie hat nochmals einen Sitz verloren (2014 sieben, 2019 sechs Sitze). Wiedergewählt wurden Hans-Peter Storz, Regina Brütsch, Walafred Schrott, Benedikt Oexle und Christa Bartuschek.

Die Grünen, die 2019 ihre Sitze von drei auf sechs verdoppelt hatten, konnten nur noch bei 12 Prozent der Wähler:innen punkten (gegenüber 18,2 Prozent 2019) und müssen zwei Sitze abgeben. Drei Frauen, Isabelle Büren-Brauch, Regina Henke und – neu mit dabei – Isabella Eisenhart, bilden zusammen mit Eberhard Röhm das grüne Quartett.

Einen Sitz büßt auch die FDP ein: Mit 7,6 Prozent Stimmenanteil ist sie mit Kirsten Brößke und Johannes Danassis als kleinste Fraktion im neuen Gemeinderat vertreten.

SÖS hingegen hat den Fraktionsstatus verloren. 4,17 Prozent votierten für diese Wählergemeinschaft, die 2019 erstmals mit gleich zwei Rätinnen in den Gemeinderat eingezogen war. Drei Sitze waren ihr ambitioniertes Wahlziel für 2024 gewesen, doch nur Birgit Kloos wurde (wieder)gewählt.

Die Stabilen: Freie Wähler und Neue Linie

Unverändert stabil seit 2014 bleiben Singens Freie Wähler. Sie behalten mit einem Stimmenanteil von 11,3 Prozent ihre vier Sitze. Zum Team von Hubertus Both-Pföst, Ramona Halder und Detlef Greiner-Perth gehört neu Andreas Egger.

Auch die Neue Linie konnte ihre drei Sitze verteidigen. Acht Prozent votierten für diese Wählergemeinschaft. Nach dem Ausscheiden von Marion Czajor, jahrzehnte-langjährige Rätin und Initiatorin dieser Wählergemeinschaft, sind Dirk Oehle, Markus Weber und Neuling Robert Malek die gewählten Bürgervertreter.

Vier unbekannte Kandidaten: AfD

Lange wurde in Singen spekuliert, ob die AfD zur Wahl antreten werde oder nicht. Als schließlich offiziell war, dass auf ihrer Liste „nur“ vier Kandidaten von 32 möglichen stehen, fühlte sich manch eine:r beruhigt. „So schlimm wird es wohl nicht werden … “. Ein Plakat mit den Köpfen von Thomas Frischmuth, André Rehm, Georg Borchert und Waldemar Koschel und dem Slogan „Gemeinsam für unsere Heimat. Gemeinsam für Singen“ war wochenlang so ziemlich das einzige, was von dieser Vierer-Gruppe öffentlich bekannt war. Erst Anfang Juni gab es schließlich spärliche Informationen auf der Webseite des Kreisverbandes unter der Rubrik „Kandidaten“ und dem Hinweis „in Bearbeitung“: Über Thomas Frischmuth, 57 Jahre, Informatiker, erfährt man unter anderem, dass, „wenn Medien wieder kontrolliert, Opposition gespalten, Kinder indoktriniert werden …“ für ihn die „AfD die einzige Lösung“ sei. Und Georg Borchert, 69 Jahre, Schreinermeister im Ruhestand, möchte als „Handwerksmeister mit einem Familienbetrieb seiner Familie und seinen Enkeln, das hinterlassen, was er aufgebaut habe“, was „nur mit der AfD“ gehe.

Kein Wahlprogramm für Singen: AfD

Die Suche nach einem Kommunalwahlprogramm war vergebens, weder als gedruckten Flyer noch digital gab es ein solches. Dem Südkurier haben auf Anfrage zwei der Kandidierenden mitgeteilt, dass man ein klassisches Wahlprogramm nicht habe. So weit sei man noch nicht, sondern man wolle abwarten, „ob überhaupt ein Kandidat in den Rat kommt“ (Südkurier, Lokalteil Singen, 3. Juni 2024).

Singer:innen wählen sogar „Drei Fragezeichen“

Doch nicht nur einer, sondern drei schaffen es! 8,9 Prozent der Wähler:innen haben offensichtlich kein Problem damit, dass hier eine Gruppe angetreten ist, die bislang noch keine Gedanken publik gemacht hat, was sie konkret für Singen bewirken möchte. Das Grundsatzprogramm und das Europawahl-Programm dieser Partei scheinen deren Wähler:innen zu genügen, falls sie diese Programme je gelesen haben. Wahrscheinlicher ist, dass faktenfreie Kurzinfos auf Social Media und populistische Europawahl-Plakate als Wissensquelle genügten. Die bekannten jüngsten Skandale innerhalb der Partei, ihre gerichtliche Einstufung als in Teilen „gesichert rechtsextremistisch“ und bundesweit als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ schreckten nicht ab. Die Demonstrationen „für Demokratie, gegen Hass und Hetze“ beeindruckten sie nicht.

Die Stimmenkönige

8,9 Prozent bei nur vier Kandidaten zu erzielen, ist eine bemerkenswert hohe Quote. Und noch bemerkenswerter liest sich das Ergebnis in absoluten Zahlen: 9.234 Stimmen für Georg Borchert, 9.217 für Thomas Frischmuth, 8.632 für Waldemar Koschel und 8.476 für André Rehm, der jedoch kein Mandat erhielt. Damit gehören alle vier AfD-Männer zu den sogenannten „Stimmenkönigen“. Mehr Stimmen konnte mit 12.309 nur Franz Hirschle (CDU) erreichen. Auf Platz vier (nach Borchert und Frischmuth) folgt Hans-Peter Storz (SPD) mit 8.897 Stimmen.

Quo vadis Singen?

Die Legislaturperiode des 2019 gewählten Gemeinderates geht zu Ende. SPD, Grüne, Freie Wähler und SÖS, von denen sich manche Singener:innen eine etwas umweltbewusstere und sozialere Politik erhofft hatten, kommen gemeinsam nur noch auf 14 statt bisher 18 Mandate. Der konservativ-neoliberale Block aus CDU, Neue Linie und FDP hat zusammen aber auch nur 15 Mandate. Und ganz abgesehen davon, dass sehr viele Ratsentscheidungen einstimmig getroffen worden sind, gab es auch Themen mit einer von der jeweiligen Parteilinie unabhängigen Meinungsvielfalt. Sollte aber beispielsweise eine Devise wieder „Autos first statt Mobilitätswende, mehr oberirdische Parkplätze statt mehr Platz fürs Fahrrad“ heißen, könnten die drei AfD-Räte Mehrheitsbeschaffer für eine Rolle rückwärts sein.

Vielfalt der Bürger:innenschaft unterrepräsentiert

Mit nur noch 12 (statt bisher 14) Frauen und 20 Männern hat sich das Geschlechter-Ungleichgewicht weiter verstärkt. Komplett unterpräsentiert sind junge Gesichter und Mitbürger:innen mit Migrationshintergrund, obwohl es auf den demokratischen Listen etliche Kandidat:innen – und zwar mehr als bei früheren Wahlen – gegeben hat.

Text: Uta Preimesser, Foto: DH / seemoz

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