Johannes Baumann 2024 © Anita Back

Mehr Würde, mehr Inklusion, mehr Miteinander

Ein Kommentar

Johannes Baumann 2024 © Anita Back
Johannes Baumann: „Die Ganztagsschule ist für die Überwindung sozialer Benachteiligung wichtig“
Foto: Anita Back

Noch ist beim geplanten Neubauviertel Hafner am Rande von Wollmatingen vieles unklar. Wie klimaneutral wird dort gebaut? Wie hoch werden Mieten ausfallen? Aber immerhin: Das Bildungskonzept für die dort geplanten Schulen steht – falls Geld da ist.

Im Auftrag der Stadt Konstanz haben Elke Großkreutz und Johannes Baumann das Konzept für den geplanten Schulverbund aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule im Hafner entwickelt, dem der Gemeinderat im Dezember 2023 zugestimmt hat. Die Konstanzerin Elke Großkreutz hat viele Jahre die Gebhardschule geleitet – als Grund- und Hauptschule und dann als sehr erfolgreiche Gemeinschaftsschule. Johannes Baumann wiederum blickt von außen auf die Schulentwicklung in Konstanz. Er war von 1991 bis 2021 Schulleiter des Gymnasiums Wilhelmsdorf (Landkreis Ravensburg) und von 2002 und 2008 auch Vorsitzender der gymnasialen Direktorenvereinigung Südwürttemberg. 

Für einen „würdigen Umgang“ mit Schüler*innen

Baumann gilt als versiert im Bereich Schulentwicklung. Im Gespräch mit seemoz sagt er: „Ich bin als Schulleiter an die Grenzen des Erlaubten gegangen – oder auch ein bisschen darüber hinaus.“ 

So hat er an seinem Gymnasium „G8 plus“ eingeführt: Er reduzierte kurzerhand den Fachunterricht in der Stundentafel – sie enthält die Anzahl von Unterrichtsstunden pro Fach – und nutzte dafür sieben bis acht Schulstunden pro Woche für Projekte und Wahlpflicht-Unterricht. Der Umfang des Unterrichts änderte sich so nicht, die Schüler*innen gewannen aber Wahlfreiheit. Und es entstand eine größere Offenheit über die Grenzen der Unterrichtsfächer hinaus.

Baumann plädiert für einen „würdigen Umgang“ mit Schüler*innen, nach Möglichkeit dürfe es kein „Abschulen“ geben, also keinen erzwungenen Wechsel vom Gymnasium auf eine andere Schulart. Ein Herzensanliegen von Johannes Baumann ist die Inklusion. Er äußert deutliche Kritik an seiner Schulart: „Gymnasien sind überhaupt nicht vorbereitet auf die Inklusion von Schüler*innen mit Behinderung“, die zukünftigen gesellschaftlichen Eliten hätten in ihrer Schulzeit oft keinen Kontakt zu Gleichaltrigen mit Behinderung.

Er versteht Inklusion jedoch auch in einem weiteren Sinne in Bezug auf soziale Benachteiligung und Migrationshintergrund. Schüler*innen sollten unabhängig von ihrer familiären Herkunft die gleichen Chancen haben. Es verwundert nicht, dass Baumann mit seinen Auffassungen im gymnasialen Umfeld öfter angeeckt ist. Dort besteht leider oft ein unreflektiertes Leistungsdenken.

Ganztägige Gemeinsamkeiten

Die Grundüberzeugungen von Elke Großkreutz und Johannes Baumann spiegeln sich im Konzept für den Schulverbund Hafner wider: Gemeinschaftsschule und Gymnasium bilden einen Verbund und entwickeln eine gemeinsame pädagogische Grundhaltung. 

Rahmenplan Hafner © Stadt Konstanz
Rahmenplan Hafner der Stadt Konstanz

Ein Wechsel von der Abteilung Gemeinschaftsschule in die Abteilung Gymnasien soll möglichst unproblematisch erfolgen können. Ein innovatives Element der neuen Schule ist die gemeinsame Oberstufe. Sie wird nur von einem Teil der Schüler*innen aus der Abteilung Gemeinschaftsschule besucht, ein anderer Teil wird eine Berufsausbildung beginnen und auf eine berufliche Schule wechseln.

 

Außerdem ist ein schulartübergreifendes Ganztagskonzept angedacht. Gemeinschaftsschulen sind per Gesetz verpflichtende Ganztagsschulen, während an Gymnasien lediglich freiwillige Angebote im Rahmen der sogenannten „offenen Ganztagsschule“ eingerichtet werden. An der Schule im Hafner soll der Ganztag bis Klasse 8 für alle verbindlich sein, so dass auch hier Schüler*innen aus beiden Abteilungen zusammengebracht werden können. Johannes Baumann sagt: „Die Ganztagsschule hat eine sozialisierende Funktion und ist für die Überwindung sozialer Benachteiligung wichtig.“  

Schularchitektur mit Lernhäusern

Der Neubau einer Schule bietet die einmalige Chance, ein innovatives architektonisches Konzept zu entwickeln. Für die Schule im Hafner ist der Bau von „Lernhäusern“ vorgesehen. Es soll jeweils eines für die Unterstufe (Klassen 5-7), die Mittelstufe (Klassen 8-10) sowie für die Oberstufe geben (Klassen 11-13), außerdem ein Lernhaus mit Fachräumen insbesondere für den naturwissenschaftlichen und technischen Unterricht. 

Es sind keine getrennten baulichen Einheiten für die Abteilungen Gemeinschaftsschule und Gymnasien vorgesehen. Das gemeinsame pädagogische Konzept beider Abteilungen wird also auch in der Schularchitektur deutlich.

Knackpunkt Finanzen

Die Idee des Schulverbunds im Hafner basiert auf den Erkenntnissen des „Gutachtens zur Schulentwicklungsplan der Stadt Konstanz 2022 – 2045“ (siehe das Dokument hier). Die Schülerzahl in den Schularten Gemeinschaftsschule und Gymnasien wird in Konstanz in den Jahren 2030 bis 2035 stark ansteigen und dann wieder langsam zurückgehen. Eine Erweiterung des Schulraums auch im Sekundarbereich vor 2030 ist also unabdingbar, wenn nicht in großem Umfang Container in die Schulhöfe gestellt werden sollen. 

Der Schulverbund deckt zunächst den Bedarf des neuen Stadtteils ab. Es sollen aber darüber hinaus Kapazitäten entstehen, so dass Schüler*innen aus anderen Stadtteilen aufgenommen werden können. Eine bauliche Erweiterung der bestehenden bereits jetzt stark nachgefragten Gymnasien in der Innenstadt ist nicht möglich. Durch die jüngst beschlossene Einführung des neunjährigen Gymnasiums wird der Raumbedarf dort mittel- und langfristig noch weiter zunehmen. 

Johannes Baumann lobt ausdrücklich die Offenheit des städtischen Amts für Bildung und Sport gegenüber diesen innovativen Ideen der Schulentwicklung. Als Knackpunkt für die Realisierung des ambitionierten Konzepts für die neue Schule könnte sich die schwierige Finanzlage der Stadt erweisen. Investitionen in die Bildung müssen eine hohe Priorität erhalten.

Text: Till Seiler. Der seemoz-Autor ist Lehrer und aktives Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Foto Johnnes Baumann: Anita Back / Karte Rahmenplan Hafner: Stadt Konstanz

Ein Kommentar

  1. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    Hoffen wir mal, dass gute Gedanken und gute Konzepte sich verwirklichen lassen und das nötige Geld dafür zur Verfügung gestellt wird. Inklusion, ob sie gelingt und wie, das liegt mir am Herz. Ich habe während meiner Tätigkeit als Schulbegleiterin bisher gute Ansätze, viel guten Willen und auch den allgegenwärtigen Mangel in den Schulen wahrgenommen. Tatsache ist auch, für die Äußerung dazu, bin ich dankbar, wer sein Kind auf das Gymnasium schickt, entscheidet sich gegen Inklusion. Das ist vielen Eltern nicht bewusst und es ist auch schade, dass es so ist.

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