
Nach einem mehrjährigen Reallohnschwund und angesichts einer überaus sturen Gegenseite legen Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zuhauf die Arbeit nieder – und gehen auf die Straße. Auch in der Region.
Es wird der dritte Streiktag in der laufenden Tarifauseinandersetzung des öffentlichen Diensts: Nach zwei Arbeitsniederlegungen während der letzten Wochen werden auch morgen in Konstanz keine Stadtbusse fahren, keine Fähren nach Meersburg ablegen – und in Singen bleibt das Bürgerzentrum der Stadtverwaltung zu.
Im Busverkehr beginnt der Ausstand am Dienstagmorgen um 3:45 Uhr und dauert 24 Stunden lang; der Fährverkehr ist etwas länger betroffen (von 4:35 Uhr bis 5:05 Uhr am Mittwochmorgen). Wie sehr die Entsorgungsbetriebe der Stadt Konstanz betroffen sind, ist derzeit unklar – bei letzten Streiktag funktionierte die Müllabfuhr weitgehend.

Im Unterschied zu den bisherigen Streiktagen am 13. und am 21. Februar – als sich die Busfahrer:innen an einer Demo in Freiburg beteiligten beziehungsweise sich nur kurz vor dem Depot der Stadtwerke versammelten – werden sich die kämpfenden Kolleg:innen diesmal öffentlich bei einer Demo und einer Kundgebung auf der Marktstätte zeigen.
Jahrelange Nullrunde?
Dass die Entschlossenheit der Beschäftigten zunimmt, hat vor allem mit der bemerkenswerten Ignoranz der politischen Vertreter:innen von Bund und Gemeinden zu tun. Denn in den bisherigen zwei Verhandlungsrunden haben weder die Bundesregierung noch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) den ingesamt rund 2,6 Millionen Beschäftigten in den Gemeinden und den 132.000 Lohnabhängigen des Bunds ein Angebot unterbreitet. Beide Verhandlungsführerinnen – Innenministerin Nancy Faeser und die Gelsenkirchner Oberbürgermeisterin Karin Welge, beide SPD – lehnten bislang eine Offerte ab. Nach ihren Vorstellungen soll die Nullrunde mit massiven Reallohnverlusten jahrelang dauern.
Dabei sind die ver.di-Forderungen nicht atemberaubend hoch, sondern – auf lange Sicht – unumgänglich, wenn der öffentliche Dienst weiterhin funktionieren soll. Die Gewerkschaft verlangt eine Lohn- und Gehaltssteigerung um acht Prozent, mindestens aber 350 Euro im Monat; außerdem eine Anhebung der Zuschläge für belastende Schichten, etwa für das Arbeiten in Wechselschicht, nachts oder an Sonn- und Feiertagen.

Im Forderungskatalog stehen zudem drei zusätzliche freie Tage sowie Maßnahmen für mehr Zeitsouveränität. Dies hat auch mit den schwierigen Arbeitsbedingungen und oft unattraktiven Arbeitszeiten der Beschäftigten in sozialen Berufen zu tun. Neben den zumeist geringen Löhnen gehören Schichtdienst und Wochenendarbeit zu den Gründen für den eklatanten Personalmangel beispielsweise im Pflegebereich. Einer ver.di-Arbeitszeitbefragung zufolge fühlen sich knapp 80 Prozent der Pfleger:innen in hohem oder sehr hohen Maße durch unbesetzte Stellen belastet. Bei den Kita-Beschäftigten sind es über 78 Prozent.
Branchenstreiktage Gesundheit und Bodenpersonal
Laut einer Schätzung des Deutschen Beamtenbunds, der sich in der aktuellen Tarifrunde ebenfalls für bessere Bedingungen stark macht, ist der Personalmangel im öffentlichen Dienst „auf Rekordhoch“; ingesamt fehlen über 570.000 Arbeitskräfte. Und das wird noch zunehmen: Im sozialen und Pflegebereich gehen über vier Fünftel der Beschäftigten davon aus, das sie nicht ohne gesundheitliche Einschränkungen das Rentenalter erreichen werden.
Auch deswegen treten derzeit beispielsweise viele Krankenhaus- und Pflegeheimbeschäftigte in den Ausstand. So beteiligten sich am Branchenstreik im Gesundheitswesen – er fand am Donnerstag statt – bundesweit 20.000 Rettungskräfte und Krankenschwestern, auch nichtmedizinisches Personal war dabei []. Der Streik morgen wird sich auch auf die Spitäler in Singen und Konstanz auswirken – jedoch nur geringfügig: Im Konstanzer Klinikum wird wohl nur eine Station zumachen. In Singen trifft es dafür drei städtische Kitas: Die Kita Friedingen bleibt zu, die Kita Münchried bietet nur eine Notgruppe von 8:30 bis 12 Uhr ohne Mittagessen an und die Kita Twielfeld wird im Krippenbereich eine der beiden Gruppe schließen.
Das neue Konzept der Branchenstreiktage wirkt sich auch in anderen Bereichen aus. So begann gestern eine Arbeitsniederlegung des Bodenpersonals an den Flughäfen mit einem Streik in Hamburg. Heute kommt es an zwölf weiteren Airports zu massiven – klimafreundlichen – Störungen des Flugverkehrs. Der Ausstand ist auch deshalb umfassend, da seit vergangenem Jahr der Branchentarifvertrag für alle Beschäftigten der sogenannten Bodenverkehrsdienstleister allgemeinverbindlich ist – das heißt: er gilt auch für private Flughafenunternehmen.

Es wird im Land also einiges geboten. In Konstanz allerdings steht erneut der ÖPNV im Mittelpunkt: Ohne die Arbeitsniederlegung der Busfahrer:innen und Fährebediensteten würde der Tarifkonflikt kaum auffallen. Dabei wäre er in diesem Bereich wahrscheinlich gar nicht nötig: „Wenn es nach der Geschäftsführung der Konstanzer Stadtwerke ginge“, sagt Gabriele Fieback, für den Nahverkehr zuständige ver.di-Sekretärin, „müssten wir nicht so hart kämpfen“.
Aber es geht nicht nach den Stadtwerken – und auch nicht gegen sie. Im Gegenteil: Sie leiden wie so viele andere Unternehmen und Bereiche des öffentlichen Diensts unter dem Personalmangel. Auch deswegen sind der Streik und die ebenfalls für morgen angekündigte Demonstration (Versammlung um 10 Uhr auf dem Benediktinerplatz) im Interesse aller.
Text und Bilder: Pit Wuhrer
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