
Den deutschen Gewerkschaften stehen mit der neuen Regierung einige Probleme ins Haus: Sie werden sich noch heftig gegen die Politik des Ex-BlackRock-Lobbyisten Friedrich Merz wehren müssen. Mit dem Kampf können sie am 1. Mai beginnen – unterstützt von den Kolleg:innen aus dem Thurgau, die ebenfalls in Konstanz demonstrieren.
Mehr Geld für Aufrüstung statt für Pflege, Gesundheit und Rente. Längere Arbeitszeiten und Renteneintritt erst mit siebzig. Senkung der Körperschafts-, Gewerbe- und Einkommensteuern für Reiche. Mehr Subventionen für notleidende Industriezweige (auch wenn diese bisher Milliardenprofite erwirtschaftet haben). All dies und noch mehr verlangen Firmenchefs, Ökonom:innen, sogenannte Wirtschaftsweise und Politiker:innen von grün bis rechtsaußen.
Wer könnte sich dem entgegenstellen, wenn nicht die Gewerkschaften? Doch die haben Probleme: In vielen Branchen bewegt sich der Organisationsgrad (also der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an einer Belegschaft) im einstelligen Prozentbereich; im Landesdurchschnitt liegt er bei rund 15 Prozent. 2023 arbeiteten nur noch die Hälfte der Beschäftigten in einem Betrieb mit Tarifvertrag (1999 waren es noch 70 Prozent), die andere Hälfte wird nach Belieben der Chefs bezahlt. Und dann haben sie sich auch noch mit dem neoliberalen Mantra auseinanderzusetzen, demzufolge nur noch das Individuum zählt („jede:r soll selber schauen, wo er/sie bleibt“) – nicht aber kollektives Handeln und Solidarität.
Und doch setzen die Gewerkschaften weiter auf Fortschritt. Man hoffe, dass endlich das längst versprochene Tariftreuegesetz verabschiedet werde, sagte Hans-Peter Menger vom DGB Südbaden, als das Programm zum Internationalen 1.-Mai-Fest in Konstanz vorgestellt wurde. Dieses Gesetz verpflichtet die öffentliche Hand, Aufträge nur noch an Unternehmen zu vergeben, die nach Tarif zahlen. Und dann erwarte man, so Ursula Hanser vom ver.di-Ortsverein Konstanz, dass der Mindestlohn auf 15 Euro angehoben werde: „Zeit wäre es dafür.“
Grenzüberschreitende Kooperation
Aber von allein werden solche Verbesserungen nicht kommen, das zeigt der jüngste Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Auch wenn das Ergebnis nicht überzeugt: Ohne Streiks wäre die Lohnerhöhung noch geringer ausgefallen. Das wussten schon die rund 400 Lohnabhängigen, die 1890 zum ersten Mal im Burghof (später Costa del Sol) den Kampftag der internationalen Arbeiter:innenbewegung begingen und lautstark den Achtstundentag forderten – der später ja auch durchgesetzt wurde.
Ein zentrales Element der Arbeiter:innenbewegung war und ist die internationale Zusammenarbeit. Das zeigt die Geschichte der grenzüberschreitenden Solidarität in der Region – etwa bei der bürgerlichen Revolution 1848 (als viele revolutionäre Schriften in Kreuzlingen verlegt und über die Grenze geschmuggelt wurden), beim Sozialistenverbot 1878–1890 (als in der Schweiz gedruckte illegale Zeitungen heimlich nach Konstanz gelangten), oder die intensive Fluchthilfe während der Nazi-Diktatur.

In den letzten Jahrzehnten trafen sich Thurgauer und Konstanzer Kolleg:innen immer wieder zu gemeinsamen Feiern: 2018 demonstrierten süddeutsche Gewerkschafter:innen zum Kreuzlinger Dreispitz, 2022 zogen Schweizer Arbeiter:innen mit ihren Liedern und Parolen zum Stadtgarten – und nun kommen sie erneut. Und werden am 1. Mai um 10 Uhr am (autofreien) Kreuzlinger Zoll abgeholt.
Georg Elser und der Seeuferweg
Dort, direkt an der Grenze, beginnt dann auch schon das inhaltliche Programm. Im alten Zollgebäude deutscherseits fand nämlich am 8. November 1939 das erste Verhör des Hitler-Attentäters Georg Elser statt, der kurz zuvor nur wenige Meter entfernt an der Grenze festgenommen worden war. Am Zoll und dann beim kleinen Elser-Denkmal an der Schwedenschanze wird Markus Sonnenschein über Elsers Tat und ihre Bedeutung heute informieren; er arbeitet beim Hauptzollamt und unterrichtet dort künftige Grenzschützer:innen auch über diese Geschichte. Elser wurde übrigens vor ziemlich genau 80 Jahren im KZ Dachau ermordet.

Danach setzt sich die Demonstration Richtung Marktstätte in Bewegung, wo Kolleg:innen aus verschiedenen Betrieben über Arbeitskonflikte und ihre Forderungen berichten. Am Hafen wird anschließend Bertold Maier, einst Geschäftsführer des ehemaligen ver.di-Bezirks Schwarzwald-Bodensee, an den 1. Mai 1975 erinnern, an dem er dabei war. Am Ende der Maikundgebung auf dem Obermarkt (mit vielen internationalen Redner:innen) hatte der damalige DGB-Kreisvorsitzende Erwin Reisacher die Kundgebungsteilnehmer:innen zu einem Spaziergang auf der Seestraße eingeladen. An deren Ende versperrten damals, vor 50 Jahren, die Zäune gutsituierter Villenbesitzer den Weiterweg. Aus der folgenden Aktion entwickelte sich der öffentliche Seezugang bis zum Hörnle.
Um gegen 11 Uhr beginnt dann im Stadtgarten an der Konzertmuschel der Kundgebungsteil der Maifeier – mit hochkarätigen Redner:innen aus der Schweiz. Dazu zählen Bruna Campanello von der Geschäftsleitung der größten Schweizer Gewerkschaft Unia (die aus der migrantisch geprägten Gewerkschaft Bau und Holz hervorgegangen ist), Nina Schläfli, die als sozialdemokratische Kreuzlinger Gemeinderätin 2023 ins Schweizer Parlament gewählt wurde, Ruth Faller-Graf, die als Bezirksrichterin bei der Wahl zum Thurgauer Regierungsrat antritt – und natürlich der Thurgauer Gewerkschaftspräsident Lukas Auer.

Ein Fest
Wenn nicht, wie 1975, ein politischer Spaziergang angesagt war, endeten die Maikundgebungen früher mit der letzten Rede. Inzwischen ist das anders. Für manche geht es dann erst richtig los. Und in diesem Jahr sowieso. Denn um 13 Uhr beginnt das vom Bündnis Konstanz für Demokratie – klare Kante gegen rechts in Stadt und Landkreis organisierte Kulturfest für Demokratie und Menschenrechte. Geboten wird beim Musikprogramm „für Vielfalt und Zusammenhalt“ inhaltsstarke Unterhaltung mit den drei Bands „Bernhard Gedrat“, „Anna Hainmüller“, „Elderly People“ sowie dem Poetry-Slam-Künstlerkollektiv.
Außerdem sind Mitmachaktionen geplant. Und wie seit langem stellen zivilgesellschaftliche Initiativen, Bündnisse und Gruppierungen an Infoständen sich und ihre Anliegen vor. Dazu gehören auch der ver.di-Ortsverein Medien+Kunst (dessen Jubiläumsband zum 150-jährigen Bestehen die Geschichte der Konstanzer Demokratie- und Gewerkschaftsbewegung erzählt). Und natürlich der Medien- und Bildungsverein seemoz e.v.
Text und Fotos: Pit Wuhrer
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