Mit Witz und Charme halten Luise und Tom an ihrer Ehe fest, immerhin haben sie zwei Kinder miteinander. Und wenn sie sich für den Moment nichts mehr an den Kopf zu werfen haben, bietet zumindest die Umgebung noch ausreichend Gesprächsstoff. „State of the Union“ – eine Ehe in zehn Sitzungen von Kultautor Nick Hornby, läuft derzeit im Stadttheater. Empfehlenswert, findet unsere Theaterkritikerin.
Eine schäbig wirkende Schiebetür, in der oberen Hälfte aus altmodischem Milchglas, geht auf und herein kommt ein etwas abgehalftert wirkender Mittvierziger: Tom – Musikjournalist, in Kniebundhose mit Strümpfen und blauem Trenchcoat über dem braunen Hoodie-Mantel, einem intellektuell übergeworfenen Schal, zerzausten Haaren und Hornbrille. Kurz darauf betritt mit dem Schlag einer zuknallenden anderen Tür eine Frau die Bühne: Louise – Gerontologin, hat ihre roten Haare zu zwei Zöpfen gebunden, trägt eine lila Karo-Bluse und einen schwarzen Mantel mit weiten Kurzärmeln, dazu lange schwarze Lederhandschuhe. Louise und Tom sind verheiratet und haben zwei Kinder. Nun warten sie auf den Beginn ihrer ersten Sitzung bei der Paartherapeutin. Ursprünglich war es Toms Idee, nachdem Louise eine Affäre hatte. Inzwischen ist er gar nicht mehr so überzeugt davon, während sie nun gerne darüber sprechen möchte, warum es überhaupt zu der Affäre gekommen ist.
Ehekrise mit Amplitude
Regisseur Abdullah Kenan Keraca, zweiter Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele, nahm am Samstagabend bei der Premiere von Nick Hornbys „State of the Union – Eine Ehe in zehn Sitzungen“ das Publikum mit in die sprichwörtliche Wartehalle, in der Tom und Louise im hitzigen Schlagabtausch ihre Beziehung analysieren. Ursprünglich konzipierte der britische Kultautor, von dem auch die Filmvorlagen für „About A Boy“ und „A Long Way Down“ stammen, das Stück als Fernsehserie, die einigen vielleicht bereits bekannt ist. Während aber die Serie auf arte eher getragen daher kommt, zeichnet Keraca mit Anna Eger und Patrick O. Beck in den Titelrollen die Figuren deutlich pointierter und gibt den Auf’s und Ab’s der Ehekrise mehr Amplitude. Dies verdankt der Regisseur seinem Ensemble, das tief in die schauspielerische Ausdruckskiste greift. Heraus kommt eine bunte Farbpalette menschlicher Stimmungen. Elena Scheicher liefert mit ihrer Wartehallen-Bühne die passende Kulisse: Eine Traversenbank in der Mitte, die nicht nur klassisch zum Draufsitzen, sondern auch mal als Redepodest Verwendung findet. Ein Wasserspender in der Ecke, der Getränkequelle ist, genauso wie sozialer Ort, an dem man sich in Pose wirft oder alberne Witze über Blubbergeräusche macht. Farblich sticht auf der Bühne lediglich die hellgrüne Bank ins Auge. Die Rückwand aus Schiebetüren und Wellblech sowie die kleinen Räume dahinter, in die das Kommen und Gehen der Figuren kurze Blicke erlauben, sind in neutralen grau-weiß Tönen gehalten, sodass sich die Zuschauer*innen auf die charakteristisch farbig eingekleideten Figuren von Louise (kariert und zugeknöpft) und Tom (lässig bis nachlässig) fokussieren können.
Komische Realität
Tom und Louise spielen sich die Vorwürfe und Anschuldigungen, die spitzen Bemerkungen und sarkastischen Untertöne zu wie einen Tennisball. Manchmal geht der Ball ins aus und eine*r schmollt oder der Ball wird fulminant zurückgeschmettert und landet dann einen Volltreffer. In der Situation, die Hornby zeigt, der Wartesituation vor der Therapiesitzung, erfahren wir mehr über die beiden als ihre Therapeutin vermutlich je hören wird. Denn die Eheleute verhandeln hart, was erzählt wird und was nicht. Da stützt Anna Eger die Hände in die Hüften und Patrick O. Beck malt die ‚blutigen‘ Konsequenzen wie den Teufel an die Wand („Dann bin ich geschlachtet“!), wenn herauskommt, dass Louise die Hauptverdienerin und gleichzeitig Haushaltsverantwortliche ist. Ganz körperlich gehen die beiden im Streit ‚aneinander hoch‘ und versuchen das Gegenüber zu überragen, um “on top“ herauszukommen. Die Kunst von Hornbys Text ist, dass er unverblümt und gleichzeitig humorvoll eine unangenehme Situation beschreibt. Er zeigt dabei auch auf, wie absurd wir uns in manchen Situationen verhalten. Etwa wenn Tom auf der Suche nach einem Argument, um der Therapeutin ein weiteres Problem vorzuenthalten, sagt: „Außerdem will ich nicht, dass sie das Gefühl kriegt, sie kommt überhaupt nicht voran.“ Das ist aus Zuschauer*innenperspektive einfach irre komisch und doch haben wir uns wohl alle schon mal um Kopf und Kragen geredet, um unser Ziel zu erreichen.
Wir und die Anderen
Das Stück und die Inszenierung zeigen besonders gelungen, dass Menschsein nur in Relation zu anderen Menschen und ihren (sinnvollen oder widersinnigen) Entscheidungen stattfindet. So ist der Brexit genauso immer wieder Thema und Streitpunkt zwischen Tom und Louise wie ihre Affäre. Er hat für den Brexit gestimmt, um ihre „Freunde zu ärgern“. Sie erklärt ihm, dass er nun mangels polnischer Pflegekräfte wahrscheinlicher allein sterben müsse. Ein bisschen wie beim Film im Film dürfen wir die beiden außerdem dabei beobachten, wie sie wiederum die Paare, die vor ihnen dran sind, beim Verlassen der Therapiesitzung betrachten (Tom etwa: „Die wurden nach Strich und Faden beraten“). Je nach Verhalten der anderen Paare ziehen die beiden ihre Schlüsse für sich und ihre Beziehung. Sie fühlen entweder mit ihnen oder sind froh, dass es anderen noch schlechter geht. So hat das Stück auch hier einen durch und durch menschlichen Zug, der uns mitfiebern, mitlachen und mithoffen lässt. Ob es noch Hoffnung für Tom und Louises Ehe gibt, lässt sich nur bei einem Theaterbesuch herausfinden – womit Sie die Zukunft des Konstanzer Theaters in Zeiten klammer Kassen unterstützen.
Text: Franziska Spanner
Bild: Ilja Mess
Weitere Aufführungen am: 25.10., 27.10., 28.10. & 31.10.2023
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