Fluss, Ufer, Wasserfall © Bild Von Markus Baumeler Auf Pixabay

Klimax des Lebens

Saatgut Minelli Cover Kompr © Saatgut Verlag

Die Thurgauer Autorin Michèle Minelli hat eine außergewöhnliche Geschichte über die Liebe geschrieben. Unser Autor Jochen Kelter hat sie gelesen.

Der Verlag bezeichnet die dreiundneunzig Seiten umfassende Erzählung von Michèle Minelli als «Roman». Das liegt im Trend: aufplustern, aufblasen, was das Zeug hält in einer Zeit, in der Influencerinnen, Podcaster und Multitasker furchtbar schicksalhafte, aber meist kurze Texte über persönliche Highlights und Wehwehchen der Öffentlichkeit zum Besten geben.

Dies aber ist in der vorliegenden Geschichte keineswegs der Fall, im Gegenteil.

Minelli schreibt über eines der schwierigsten Themen, die Liebe, und scheitert dabei nicht wie viele Autoren durch Schwülstigkeit, Sentimentalität oder Kitsch. Die Geschichte von Jakob und Elisa mit dem Titel «All das Schöne» glänzt vielmehr durch eine geschliffen disziplinierte, mitunter messerscharfe Sprache, die weder je den Boden unter den Füßen verliert noch traurig abstürzt.

Die Erzählung folgt den kalendarischen Jahreszeiten – dem Winter folgen Frühling, Sommer und Herbst – und endet wieder im Winter.

Michele Minelli Kompr © Saatgut Verlag

Jakob und Elisa sind ein älteres Paar. Sie zieht aus der Stadt, warum, wird nicht erklärt, zu ihm, der in seinem zweiten Leben hoch über der Thur auf einem großen, abschüssigen Stück Land gärtnert – wieso, auch das ist egal – und Tiere hält, Nutztiere wie unnütze. Elisa «sah … ihre tot geglaubte Hoffnung an die Liebe in Jakobs Augen leuchten.» Ihre Hoffnung «an», nicht auf die Liebe. Eine von vielen, manchmal unscheinbaren sprachlich präzisen Finessen. Elisa lernt alle die ihr – und den meisten von uns – unbekannten Techniken des Säens, Pflegens und Erntens mit ihr ebenso unbekannten verschiedensten Geräten. Jakob leitet sie an, und sie widersetzt sich solcher Anleitung nicht, wie man doch von einer modernen emanzipierten Frau erwarten dürfte.

Die beiden sind ein glückliches Paar im Alltag der Jahreszeiten, einander ganz verfallen. Aber Jakob ist krank. Und er stirbt in einem Hospiz. Nun übernimmt Elisa Haus und Garten und lernt mit der Zeit all die dazu notwendigen Techniken selbständig anzuwenden. Aber es ist eine Zeit der Trauer, von der der Großteil der Erzählung berichtet. «Niemand braucht jemanden, der ihm sagt, das Leben müsse weitergehen, … dass es sicher besser so war … . Keiner will das hören, auch nichts von einem Himmelreich.» Liebe und Tod, die immer schon eng zueinander gehörten, sind das Thema dieser Geschichte. Elisa sucht hilflos Hilfe in der Sprache und vergleicht den Tod mit Sprachfiguren: «Der Tod ist eine Metapher. Er rast mit uns über eine Schwelle mitten hinein ins tiefe Nichts. … Der Tod ist ein Oxymoron, ein stummer Schrei … .»

Im zweiten, kurzen Winterkapitel geht es ums Weiterleben danach. Ein versehrtes, aber ein Leben.

Ah ja, das noch: die Illustrationen des Buchs sind ein wenig zu niedlich und auch überflüssig.

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Michèle Minelli: All das Schöne. Die Geschichte von Jakob und Elisa. Roman. Illustrationen von Janine Grünenwald. Saatgut Verlag, Frauenfeld 2024, 28,– CHF, ISBN 978-3-9525244-8-0.

Text: Jochen Kelter, Bilder: Saatgut Verlag und Markus Baumeler auf Pixabay

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