Wie steht Konstanz fünf Jahre nach Ausrufung des Klimanotstands da? Im ersten Teil unserer Serie bilanzierten wir die ersten Schritte und zogen einen Vergleich mit anderen Kommunen. Aber wie berechnet man die Fortschritte beim Klimaschutz? Und was unternehmen die Hochschulen?
Im ersten Teil haben wir die Emissionswerte von Konstanz mit denen des Landes Baden-Württemberg und anderer Städte verglichen. Allerdings ist beim Vergleich solcher Daten Vorsicht angebracht. So können wir beim angeführten Beispiel – der Reduktion der Emissionen 2022 gegenüber den Werten von 2019 – generelle Tendenzen erkennen; die Zahlen sollten jedoch mit Vorsicht gelesen werden. Sie sind für unsere Zwecke hier relevant, aber auch etwas zufällig gewählt.
Beispielsweise befinden sich die angeführten Städte in deutlich anderen Stadien ihrer Klimaschutzbemühungen. Kopenhagen zum Beispiel hat – anders als Konstanz – die CO2-Emissionen von 2010 bis 2022, also in 12 Jahren, um circa 68 Prozent reduziert; im Zeitraum 2010–2019 waren es 48 Prozent (jeweils gegenüber den Werten 2010). Im selben Zeitraum 2009 bis 2022 hat das gesamte Land Dänemark seine CO2-Emissionen um 45 Prozent verringert.
Als Faustformel gilt, dass die CO2-Emissionen zu Beginn der Klimaschutzbemühungen leichter reduziert werden können, insofern ist die beachtliche Reduktion Kopenhagens noch beeindruckender. Die Stadt Kopenhagen ist im Übrigen auch ein hoffnungsvoll stimmendes Beispiel dafür, dass städtische Klimaschutzziele erreichbar sind. Das zeigt sich auch daran, dass die großen Emissionsminderungen deutlich über die Reduktionen des gesamten Landes hinausgehen.
Minus 75 Prozent
Hinzu kommen auch rein methodische Unterschiede in der Bestimmung der Treibhausgasbilanzen. Zum Beispiel wird in der Schweiz Wärme aus Müllverbrennungsanlagen als klimaneutral gewertet, in Deutschland nicht.
Die Stadt Kopenhagen gibt zwei verschiedene CO2-Bilanzen an. In einem ersten Schritt werden die territorialen CO2-Emissionen berechnet. In einem zweiten werden dann in Form einer Gutschrift jene Emissionen für PV-Anlagen und Fernwärmenetze abgezogen, die außerhalb des Stadtgebiets für andere Städte errichtet werden.
Bei dem oben aufgeführten Wert wurden nur die territorialen Emissionen als Maßstab genommen; die Stadt Kopenhagen wirbt jedoch primär mit deutlich größeren Reduktionen durch Gutschriften. Erkennt man diese an, hat Kopenhagen von 2010 bis 2022 seine CO2-Emissionen nicht um 68, sondern um 75 Prozent reduzieren können. Die Städte Oslo und Amsterdam hingegen sind bei der absoluten Emissionsreduktion auf einem ähnlichen Stand wie Konstanz.
Messmethoden, Datenbasis
Im Klimaschutzbericht werden im Übrigen die Werte von 2018 als Referenz genommen. Von 2018 auf 2019 gelang der Stadt eine Beachtliche Reduktion von sieben Prozent. Dieser Rückgang ist zu einem großen Teil auf eine Minderung beim Heizölverbrauch zurückzuführen und könnte zum Teil auch an einer Änderung der Messmethode liegen.
So wurden bis 2018 die Schornsteinfegerdaten aus dem Jahr 2016 verwendet, für die Berechnung der Werte 2019 aber die Daten des Jahres 2022. Dies zeigt, wie schwierig es ist, für kleinere Städte jährliche Klimaschutzbilanzen zu erstellen; es besteht immer eine gewisse Unsicherheit dahingehend, wann die Reduktionen tatsächlich stattgefunden haben. Um die CO2-Reduktion seit dem Klimanotstand zu bewerten, ist es meiner Ansicht nach sinnvoller, die Werte von 2019 als Referenz zu nehmen.
Erdgas wie Heizöl
Methodisch sei noch anzumerken, dass das Bilanzierungstool BICO2BW, mit dem Städte in Baden-Württemberg ihre CO2-Emissionen berechnen, veraltete, unrealistisch geringe Werte für den Erdgasverbrauch angibt. Mittlerweile geht der wissenschaftliche Konsens zum Thema Klimawirkung von Erdgas in die Richtung, dass Lecks im Bereich Förderung und Verteilung eine so große Wirkung haben, dass die Klimafolgen von Erdgasverbrennung eher in der Größenordnung der Kohleverbrennung angesiedelt werden muss.
Damit wären durch den Wechsel von Heizöl zu Erdgas – daher stammt ein großer Teil der nominellen Treibhausgasminderungen in Konstanz – die CO2-Emissionen gar nicht gesunken, sondern womöglich gestiegen. Und würden am Ende in der Klimaschutzbilanz trotzdem als starke Reduktion dargestellt.
Dies zeigt: Erstens müssen alle Werte hier mit einer gewissen Vorsicht genommen werden und zweitens haben kleinere „Reduktionsmaßnahmen“ wie ein Wechsel von Heizöl zu Erdgas oft keine Klimaschutzrelevanz. Tatsächlich entscheidend für den Klimaschutz sind strukturelle Umstellungen zu erneuerbaren Energieträgern.
Fortschritte bei der Wärmeplanung
2021 waren 94 Prozent der Wärmeversorgung in Konstanz fossil. Diese teilen sich auf in 74 Prozent Erdgasversorgung und 20 Prozent Heizöl. Die verbleibenden 6 Prozent stammten primär aus Biomasse. Im selben Jahr wurden 0,04 Prozent der Gebäude in Konstanz durch Wärmepumpen versorgt (wobei die Stadt, wie sie selber sagt, damals weniger Wärmepumpen erfasst hat als tatsächlich installiert sind).
Das heißt: Bis 2035 muss sich dieses Verhältnis umkehren. Davon sind wir zum jetzigen Zeitpunkt aber noch weit entfernt.
Rund zehn Prozent des Wärmebedarfs in Konstanz werden momentan durch überwiegend fossil beheizte Nahwärmenetze gedeckt. Die Klimaschutzstrategie sieht vor, bis 2035 fast die Hälfte des Wärmebedarfs durch Wärmenetze zu decken, die wiederum primär erneuerbar beheizt werden.
Aktuell steht Konstanz bei der Umsetzung der Wärmewende nicht gut dar. Die gute Nachricht ist, dass im Bereich Planung einige Fortschritte erzielt wurden. Mittlerweile gibt es den (auch gesetzlich vorgeschriebenen) Energienutzungsplan, der auf Basis der Stadtwerke-Planung angibt, wo Wärmenetze gebaut werden sollen.
Die Stadtwerke planen bis 2035 größere Nahwärmenetze in den Gebieten Berchengebiet, Petershausen-West, Bodensee-Therme sowie Paradies und Altstadt. Wermutstropfen ist hier jedoch, dass geplant ist, das Paradies mit nicht erneuerbarer Abwärme aus der Erweiterung der Müllverbrennungsanlage Weinfelden zu beheizen. Darüber hinaus plant das Singener Bürger:innen-Unternehmen solarcomplex den Bau von Wärmenetzen in Dingelsdorf und Wallhausen.
Dies sind zentrale Schritte der Energiewende.
Keine Wärmewende durch Schnapsideen
In der Vergangenheit war der Kurs der Stadtwerke in Sachen Energiewende häufig ein Schlingerkurs. Noch vor zwei Jahren hielt uns die Debatte um eine zusätzliche Gaspipeline nach Konstanz in Atem. Zur gleichen Zeit verteilten die Stadtwerke auch Flyer, auf denen Erdgas als „nachhaltig“ beworben wurde. Letztes Jahr folgte dann die große Debatte darüber, ob ein Teil der Stadtwerke an die Thüga-Gruppe verkauft wird.
Nun stehen zumindest offiziell die Zeichen auf Wärmewende. Sogenannte Ankerkund:innen haben rund um die Bodensee-Therme erste Absichtserklärungen unterzeichnet, die groben Zeiträume stehen in der Planung.
Hoffnungsvoll stimmende Nachrichten kommen auch von den Konstanzer Hochschulen. Die Uni, die aktuell rund zehn Prozent des Konstanzer Gasverbrauchs beansprucht, will ab nächstem Jahr Großwärmepumpen errichten, die dann 70 Prozent des Wärmeverbrauchs decken sollen. Ähnlich vielversprechend klingen Ankündigungen der HTWG. Hier sollen Abwärme aus einem Rechenzentrum und Wärmepumpen ab 2025/26 die gesamte Wärme erneuerbar erzeugen.
Immer noch vertane Chancen
Der Blick ins Detail zeigt jedoch, dass trotz insgesamt positiver Planungstendenz weiterhin viele Chance vergeben werden. So soll am Suso-Gymnasium trotz umfangreicher Sanierungen eine neue Pelletheizung eingebaut werden. Am Humboldt-Gymnasium wird womöglich eine neue Gasheizung eingebaut. Und bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WOBAK werden auch fünf Jahre nach Ausrufung des Klimanotstands noch immer über 90 Prozent der Gebäude gasbasiert beheizt.
Hinzu kommen nur sehr schleppende Fortschritte im Bereich Sanierung. Zwar verfügt das Hochbauamt mittlerweile über einen Sanierungsplan und auch die WOBAK soll, so der letzte Klimaschutzbericht, drei Sanierungsfahrpläne mit unterschiedlichem Ambitionsniveau zur Auswahl haben. Aber außer Planung geht kaum etwas voran.
So steht im letzten Klimaschutzbericht, dass aufgrund von „Personalengpässen, unklarer und langwieriger Förderprozesse und den langen Zeithorizonten der Ausschreibungen“ 2023 „kaum aktiv vergeben oder umgesetzt“ worden sei, „was in den Plänen formuliert war“.
Mit anderen Worten: Positive Planungstendenz bei der Wärmewende, bis jetzt jedoch kaum Umsetzung. Auch dort nicht, wo die Stadt – wie im Falle der WOBAK – unmittelbar eingreifen könnte.
Text: Manuel Oestringer von der seemoz-Klimaredaktion
Fotos/Illustrationen: Pit Wuhrer / Stadt Konstanz
Bisher erschienen:
29.04.2024 | Fünf Jahre Klimanotstand in Konstanz: Eine Bilanz (1)
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