Flut Pakistan 2022 © Caritas Pakistan Abdruck Frei

Klimakrise und imperiale Strukturen: Das Beispiel Pakistan

Ein Kommentar

Flut Pakistan 2022 © Caritas Pakistan Abdruck Frei

Was passiert mit einem Land, das sich auf Druck des globalen Nordens hoch verschulden musste – und über das die Klimakatastrophe hereinbricht? Das Beispiel Pakistan zeigt, wie sich klimatische und finanzielle Desaster gegenseitig verstärken. Ein Blick über den Tellerrand in den Süden, wo die Reichen schon lange Chaos verursachen. 

Nach einem außergewöhnlich heißen Frühling mit Temperaturen von über 40 Grad Celsius folgte im Sommer 2022 ein „Monsun auf Steroiden“, wie es UN-Generalsekretär Antonio Guterres formulierte . Starkregenfälle in Kombination mit Gletscherschmelzen aus dem heißen Frühling ließen die Flüsse anschwellen und setzten rund zehn Prozent des Landes unter Wasser. Der Sachschaden belief sich auf 30 Milliarden US-Dollar, etwa 10 Prozent des pakistanischen Bruttoinlandsprodukts. 

Über 1800 Menschen ließen in den Fluten ihr Leben. 33 Millionen Menschen waren von den Fluten direkt betroffen, und die weitgehende Zerstörung der Infrastruktur löste eine Gesundheitskrise aus. Hinzu kommt, dass die Fluten 88 Prozent der Ernten vernichteten und dem vom Agrarsektor dominiertem Land einen empfindlichen Schlag versetzte.

Die pakistanische Flutkatastrophe ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Zerstörungskraft der Klimakrise. 10 der 21 größten Fluten in Pakistan fanden seit 2000 statt, mit zunehmender Intensität. Attributionsstudien, die die Faktoren der Klimaveränderung untersuchen, fanden heraus, dass die Starkregenfälle durch die Klimakrise deutlich verstärkt wurden.

Ein Fall für die Klimagerechtigkeit

Gleichzeitig ist die pakistanische Zerstörung ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie die Kombination aus einem neoliberalen, von außen diktierten Wirtschaftsmodell und der Klimakrise den globalen Süden erdrückt. Pakistan, verantwortlich für 0,3 Prozent der kumulierten weltweiten CO2-Emissionen, hat ein gegenüber dem Durchschnitt 15-fach erhöhtes Risiko für durch die Klimakrise verursachte Todesfälle

Die Gründe wiederum, warum die Fluten 2022 Pakistan so hart trafen und warum Pakistan noch immer nicht auf die Füße kommt, sind in der neokolonialen Ausbeutung zu suchen. Diese hält weiterhin an, insbesondere durch die sogenannten Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF). Diese verschärfen seit Jahrzehnten die Schuldenkrise des Landes bis hin zur Zahlungsunfähigkeit, die wiederum Ausgangspunkt einer weltweiten Schuldenkrise werden könnte. Denn Pakistan ist kein Einzelfall; ähnliche Zerstörungen finden gerade in vielen Ländern rund um die Welt statt.

Der Fall Pakistans zeigt eindrücklich, wie Länder des globalen Südens nicht nur durch die Klimakrise zerstört werden und dass eine Klimagerechtigkeitsbewegung den Fokus weiter fassen muss, wenn sie echte Gerechtigkeit herstellen will. Grund genug, ihn sich genauer anzuschauen.

Die Schocktherapie des freien Markts

Ein Grund dafür, dass die Starkregenfälle zu so katastrophalen Überschwemmungen führten, liegt zum einen in der großen Abholzung auch entlang von Flüssen, und zum anderen im desolaten Zustand der Kanäle und anderer Infrastruktur. Aber warum ist das so? Die Gründe dafür findet man in der Politik des IWF.

Ab den 1980er Jahren verordnete der globale Norden, allen voran die USA- dominierten UNO-Institutionen IWF und Weltbank, dem globalen Süden eine Art Schocktherapie. Nur damit, so hieß es, sei der Verschuldung der armen Länder beizukommen. In der Regel bestand diese Schocktherapie aus einer flächendeckenden Privatisierung von Staatsbetrieben, einer Zerschlagung an Arbeits- und Gewerkschaftsrechten und einer allgemeinen weitreichenden Deregulierung in allen Wirtschaftsbereichen. 

Wenn die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen dieser Länder dem freien Markt angepasst seien, würde sich deren Ökonomie schon erholen, lautete das Credo der internationalen Finanzinstitutionen – und vergaben Kredite nur noch an Staaten, die sich dem Diktat unterwarfen. Doch das Gegenteil trat ein: Die Strukturanpassungsprogramme erwiesen sich in der Regel als katastrophal und sorgten häufig zu einer Absenkung des Lebensstandards. Der globale Norden hingegen konnte seine wirtschaftliche Kontrolle über viele Länder der Welt sichern und dank der Programme dafür sorgen, dass der globale Süden weiterhin primär Lieferant billiger Arbeit und Rohmaterialien blieb. 

Die Kosten zahlt der Staat

Zu Beginn der 1990er Jahre traf die neoliberale Strukturanpassungswelle auch Pakistan. Auf Drängen des IWF privatisierte der 1947 aus dem britischen Kolonialreich British India hervorgegangene Staat seinen Energiesektor. „Die beste Energiepolitik der Welt“, bejubelte damals das US-Energieministerium ein Programm mit dem Namen „Independent power producers policy“ (IPPs). Dieses versprach ausländischen Investor:innen fixe Gewinne in US-Dollar. In diesen IPPs einigte man sich mit den Energieproduzenten auf vorher vereinbarte Preise für den Import fossiler Brennstoffe. Sollte der Import – weltweit meist in US-Dollar abgewickelt – teurer werden, zahlte der Staat die Differenz. Und das war angesichts des zunehmend schwächeren Werts der pakistanischen Rupie oft der Fall. 

Hinzu kam, dass den Energieproduzenten vorab genau bestimmte Abnahmemengen versprochen wurden – auch wenn diese im Endeffekt nicht benötigt wurden. Mit anderen Worten: Die Marktrisiken trugen nicht die Investor:innen, sondern der Staat. 

Das Ergebnis war, wie nahezu immer bei Privatisierungsgeschichten: Die Energiepreise stiegen rasant an. Hinzu kam, dass die nationale Energiewirtschaft von der günstigeren, umweltfreundlicheren Wasserkraft zu teureren, umweltschädlicheren fossilen Energien wechselte – den diese mussten ja aufgrund der IPPs-Verträge den Investor:innen abgenommen werden.

Ein fataler Kreislauf

Doch damit nicht genug. Viele Menschen konnten sich die hohen Energiepreise nicht leisten und holzten die Wälder ab für Feuerholz. Außerdem konnte sich der Staat Investitionen immer weniger leisten. Die Wirtschaft schwächelte, die Verschuldung nahm zu, die steigenden Zinsen erhöhten das Defizit. 

Und nun kommen regelmäßig Klimakatastrophenereignisse dazu. Das ist der perfekte Mix, um den pakistanischen Staat immer wieder in die Arme des IWF für neue, dringend benötigte Kredite zurückzutreiben. 

Wie immer gehen diese Kredite mit der Forderung nach neuen Sparmaßnahmen und Strukturanpassungsprogrammen einher, die die bestehenden Probleme weiter verschärfen. So ist der pakistanische Staat mittlerweile regelmäßig zahlungsunfähig, womit es zu großflächigen Energieausfällen im ganzen Land kommt, weil die Energieproduzenten nicht bezahlt werden können. Womit neue Wirtschaftsprobleme entstehen. Das Ergebnis der Strukturanpassungsprogramme und der IPPs ist, dass der pakistanische Staat nahezu keine Souveränität mehr hat. Ohne neue IWF-Kredite steht das ganze Land still.

Diktat des IWF

Die fehlende Souveränität wurde offensichtlich, als im Juni 2023 der pakistanische Finanzminister eigenständig den Parlamentsbeschluss zum kommenden Haushalt ignorierte und sich für einen Vorschlag – nämlich dem des IWF – entschied.

Wie reibungslos so was funktioniert, zeigt sich auch an der vom Staat unabhängigen Zentralbank; deren Vorsitzende sind häufig ehemalige IWF-Mitarbeiter:innen, die sich weigern, Maßnahmen zur Verbesserung des Verhältnis der Rupie zum US-Dollar zu ergreifen. Kurzum: Der IWF kontrolliert mittlerweile nahezu die gesamte Fiskalpolitik des Landes.

Wirtschaftlich sind die verordneten Maßnahmen ein Desaster. Pakistan rangierte bereits vor der Flutkatastrophe auf Platz 92 des 116 Plätze umfassenden weltweiten Hungerindex’. Die Bevölkerung wächst stärker als die Wirtschaft, der Lebensstandard sinkt, die Inflation wütet mit 27 Prozent. (Mehr Infos dazu finden sich hier). 

Sturz des Regierungschefs

Auch der Einfluß der Gläubiger Pakistans ist enorm. Wie weit er reicht, zeigte der Coup 2022 gegen den pakistanischen Premierminister Imran Khan. Der beliebte Politiker hatte das Pech, am Tag der russischen Invasion in die Ukraine zu Gesprächen mit Wladimir Putin nach Moskau zu reisen. Dort angekommen, weigerte er sich, Russland zu verurteilen; schließlich war er auf der Suche nach dringend benötigter günstiger Energie, und die wollte er – wie viele europäische Staaten – dort besorgen.

Das jedoch war für die USA und die EU nicht akzeptabel. In einem geleakten, vertraulichen Gespräch zwischen dem pakistanischen Botschafter in Washington mit zwei hochrangigen US-Vertretern empörten sich die USA über die „aggressiv neutrale Position“ Pakistans gegenüber Russland. Die USA erklärten, dass sie den Besuch des Premiers in Moskau als individuelle Aktion Khans werten würden, wenn dieser des Amtes enthoben werde. Ansonsten würden die USA und vermutlich auch die EU eine gemeinsame Zukunft sehr problematisch sehen.

Angesichts der vollständigen Abhängigkeit Pakistans kam, was kommen musste. Das Militär, die de-facto Regierung in Pakistan, entschied, Khan zu opfern. Er verlor durch ein Misstrauensvotum des Parlaments sein Amt. Damit steht er in einer langen Reihe: Bis heute hat keine:r der 31 Premierminister:innen Pakistans eine komplette Legislaturperiode überstanden.

Anders als sonst wurde diesmal der Regierungschef nach seiner Entmachtung zu insgesamt 24 Jahren Haft verurteilt – und im Unterschied zu früher versuchten Massenproteste, die Festnahme des populären Politikers zu verhindern. Und bei der Parlamentswahl Anfang Februar war Khans Partei die erfolgreichste Partei – und das, obwohl nahezu ihre gesamte Führungsebene verhaftet und die Partei von der Wahlteilnahme ausgeschlossen war. Es brodelt also in Pakistan.

Text: Manuel Oestringer von der seemoz-Klimablog-Redaktion
Fotos u.a. von Caritas Pakistan (oben) – allesamt zur Verfügung gestellt via Wikimedia Commons

In einem zweiten Teil erläutert unser Autor, wie die Nachwirkungen der Flutkatastrophe das Finanzsystem insgesamt destabilisieren und weshalb sich alle, die für Klimagerechtigkeit sind, auch mit den ökonomischen Abhängigkeit des globalen Südens beschäftigen sollten.

Ein Kommentar

  1. Wolfgang Daub

    // am:

    Aha! Der IWF und dessen neoliberale Ausrichtung ist also an allem schuld in der islamischen Republik Pakistan?
    Ist das nicht ein bisschen platt?
    Nur zur Info: Pakistan hatte 1980 rund 80 Millionen Einwohner, 2022 bereits die dreifache Anzahl!
    Die Geburten pro Frau sind zwar deutlich gesunken, aber
    immer noch mit 3,6 Kinder so hoch, dass die Bevölkerung weiter steigt!
    Und: Pakistan ist Atomstreitmacht, gibt schon deshalb bezogen auf das BIP relativ mehr Geld für die Armee aus als bspw. die BRD!
    Also: Pakistan ist nicht „nur“ Opfer!

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