Während Windräder vielerorts heftig umstritten sind – der Regionalverband Neckar-Alb bekam jüngst 440.000 Einsprüche gegen seine Windkraftplanung –, werden großflächige Photovoltaikanlagen in der freien Landschaft gewöhnlich ohne größeres Aufsehen geplant und errichtet. Doch im Konstanzer Ortsteil Oberdorf kämpft eine Bürgerinitiative gegen ein solches Vorhaben.
Um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, will Baden-Württemberg 0,2 Prozent des Landes für Freiflächen-Photovoltaik (FFPV) reservieren. Der zuständige Regionalverband Hochrhein-Bodensee – er umfasst die Landkreise Konstanz, Waldshut und Lörrach – geht freiwillig sogar noch einen Schritt weiter und will 0,5 Prozent seiner Fläche für die FFPV sichern.
Von Plan zu Plan: die Kaskade der Bauleitplanung
Von Ausnahmen abgesehen, braucht es für einen Solarpark im Außenbereich einen Bebauungsplan, der wie bei einem Gebäude die Details der Anlage festlegt: etwa das Baufenster, den Abstand zum Nachbarn, die Erschließung. Ein Bebauungsplan setzt seinerseits einen Flächennutzungsplan voraus, der als übergeordnete Bauleitplanung das gesamte Gemeindegebiet umfasst.
Der Flächennutzungsplan wiederum muss sich in den übergeordneten Regionalplan fügen, das „raumordnerische Kursbuch“ für die angestrebte Entwicklung der Region. Klingt kompliziert und ist es auch. Der Regionalplan macht Vorgaben zur Siedlungsentwicklung, schützt Grünzüge und Vorranggebiete für den Naturschutz oder die Land- und Forstwirtschaft, regelt den Abbau von Kies und bestimmt Standorte von Windkraftanlagen oder eben Photovoltaik und Solarthermie.
Die Potenzialstudie
Aktuell läuft die „Teilfortschreibung 3.1. Freiflächen-Photovoltaik“ des Regionalplans. Um die örtlichen Gegebenheiten bestmöglich zu berücksichtigen, hat der Regionalverband in einem ersten Schritt die Gemeinden aufgefordert, ihm geeignete Flächen für FFPV zu melden. Die Stadt Konstanz hat diese Findung seinerzeit an ein Ingenieurbüro ausgelagert und eine Potenzialstudie erstellen lassen, die auf dem Gemeindegebiet sechzehn für Solarparks geeignete Flächen ermittelte. Diese gehören überwiegend der öffentlichen Hand. Hier muss man also keine Konflikte mit privaten Eigentümer:innen befürchten. Im Oktober 2023 übernahm der Gemeinderat mit kleinen Änderungen einstimmig die Empfehlungen der Potenzialstudie.
Freiflächen-Photovoltaik …
Eine treibende Kraft hinter der Suche nach FFPV-geeigneten Flächen waren auf lokaler Ebene die Stadtwerke. Der Strombedarf wird mit fortschreitender Dekarbonisierung in den Bereichen Wärme und Verkehr weiter steigen. Mit Solarstrom von Dachflächen im Stadtgebiet kann jedoch, so der Konstanzer Energienutzungsplan, höchstens ein Sechstel des erwarteten Strombedarfs gedeckt werden. Deshalb setzt man auf zusätzliche Freiflächen-Photovoltaik. Auf die Kilowattstunde gerechnet haben großflächige Solarparks, verglichen mit dem Klein-Klein vieler Dächer, zudem deutlich geringere Investitionskosten, sind also profitabler.
In der Debatte um die Potenzialanalyse meldeten sich damals auch die Umweltverbände und der Bauernverband zu Wort. Und waren in zentralen Punkten einer Meinung: Vorrang für Photovoltaik auf Dächern und versiegelten Flächen wie Straßen und Parkplätzen; Ja zu FFPV, doch nur auf Grünland oder Böden mit geringer Fruchtbarkeit, denn Solarparks schließen eine parallele landwirtschaftliche Nutzung aus. Allenfalls eine Schafweide ist noch möglich und erlaubt.
… oder Agri-Photovoltaik?
Auf fruchtbarem Land soll dagegen, so die Verbände, nur die sogenannte Agri-PV zulässig sein. Diese erlaubt, im Unterschied zur FFPV, die parallele Nutzung einer Fläche zur Energiegewinnung und für die Landwirtschaft. Etabliert ist diese Doppelnutzung bereits im Obstbau, wo aufgeständerte Solardächer die Obstkulturen vor Hagel und Sonnenbrand schützen. Pionier war hier der Obsthof Bernhard in Kressbronn. Eine Versuchsanlage mit Solarpaneelen über Ackerflächen und Gemüsebeeten betreibt die Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach.
Seit letztem Jahr sind Agri-PV-Anlagen bis 2,5 Hektar Fläche im Außenbereich von Landwirtschafts- und Gartenbaubetrieben privilegiert, dürfen also ohne Ausweis im Flächennutzungsplan gebaut werden. Für die Betriebe sind solche Anlagen, die ja parallel zur originär landwirtschaftlichen Nutzung der Flächen betrieben und zudem gefördert werden, bereits jetzt oft lukrativ und rentabel. Probleme bereiten bislang der Netzanschluss und eventuell notwendige Trafostationen. Hier ist der Netzbetreiber (Stadtwerke Konstanz) gefordert.
Für nicht-privilegierte PV-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen, die also größer als 2,5 Hektar sind und einer Änderung des Flächennutzungsplans bedürfen, bieten Projektierer und Investor:innen den Bauern und Bäuerinnen langfristige Pachtverträge an. Aktuell müssen die Landwirt:innen aber mindestens vier Hektar bereitstellen – darunter lohnt sich die Investition nicht.
Überraschend und abweichend von Nabu und BUND war damals die Position der Fridays-for-Future zur Potenzialanalyse. Diese forderten, auch gute Böden als potenzielle FFPV-Flächen vorzuschlagen, was die landwirtschaftliche Nutzung ja ausschließen würde. Man könnte das damit begründen, dass eine aus dem herkömmlichen Landbau herausgenommene, also von Düngung und Pestiziden befreite Fläche der Artenvielfalt zugute käme. Doch so argumentierten die Fridays nicht. Gemäß ihrer Stellungnahme ging es ihnen ausschließlich darum, möglichst schnell ans Ziel einer klimaneutralen Energieproduktion zu kommen.
Von der Potenzialanalyse zum Regionalplan
Von den sechzehn Flächen der Potenzialanalyse tauchen dann nur noch acht im Entwurf des fortgeschriebenen Regionalplans auf. Zwei dieser Flächen, Äcker nördlich von Dettingen, sind in einem Landschaftsschutzgebiet. Zweite Luftnummer ist die geplante Erweiterung der bereits bestehenden FFPV-Anlage eingangs der stillgelegten Hausmülldeponie Dorfweiher zwischen Wollmatingen und Litzelstetten. Zum einen plant der Landkreis, die Deponie für belasteten Erdaushub wieder zu reaktivieren. Zum anderen gilt, wenn die Deponie dereinst wirklich für immer geschlossen wird, ein Wiederaufforstungsgebot. Das hätte die Stadt eigentlich wissen müssen.
Dritte Luftnummer ist die Reservierung des Konstanzer Flugplatzes für FFPV. 2018 hat der Gemeinderat hier ein künftiges Gewerbegebiet vorgesehen. Jetzt soll die Fläche ein FFPV-Voranggebiet werden. Ja, was denn nun? Wie lange der Flugplatz noch Flugplatz bleibt, liegt zudem ausschließlich in der Macht des Regierungspräsidiums. Die Stadt kann dies nicht bestimmen.
Unter dem Strich bleiben also nur 25,5 Hektar übrig, die realistisch für Solarparks zur Verfügung stehen. Das entspricht in etwa der Fläche, die auf Konstanzer Gemarkung aktuell mit Hagelschutznetzen überdacht ist.
Bürokratie für die Katz?
Gibt es also zu wenig FFPV-Vorrangflächen? Keineswegs, meint Antje Boll vom BUND. Anders als Windräder dürfen Gemeinden nämlich Solarparks auch außerhalb der Vorranggebiete erlauben. Dann ist das Ziel der Flächensicherung für FFPV erfüllt und Vorranggebiete gegenüber anderen Nutzungen sind nicht mehr nötig. „Bei uns im Landkreis Konstanz entstehen so viele neue Anlagen ohne Regionalplansteuerung in Eigeninitiative von Landwirt:innen und Kommunen, dass wir das Flächenziel vermutlich vor dem Inkrafttreten des Regionalplans erreichen werden.“
Also alles nur Bürokratie für die Katz? Nicht ganz. Etwa dort, wo nördlich von Wollmatingen die alte Dettinger Straße auf die L 221 mündet, ist tatsächlich ein Solarpark geplant, der die Wärmepumpen für den künftigen Stadtteil Hafner versorgen soll.
Ängste in Oberdorf
Widerstand gibt es einzig gegen die Ausweisung einer FFPV-Fläche mit der Kurzbezeichnung „VRG220FFPV“ am Ortsrand von Oberdorf. Dort hat sich die Bürgerinitiative „Natur statt Solarpark Oberdorf“ formiert, deren Sprecher uns allerdings mitteilt, dass er und seine Mitstreiter:innen auf seemoz nicht namentlich genannt werden möchten. Gegenüber dem Südkurier hatte man weniger Berührungsängste.
Der Protest kommt spät. Gegen die seinerzeit auch im Amtsblatt veröffentlichte Potenzialanalyse, die ja bereits die FFPV-Fläche auf der landeseigenen Wiese und dem angrenzenden Ackerstreifen vorschlug, gab es keinen Widerstand. Doch was befürchten die Oberdorfer:innen heute?
Ihre Bedenken begründet die Bürgerinitiative in einer Mail an den Oberbürgermeister und alle Stadträt:innen. Eine Oberdorferin hat zudem seemoz zu diesem Thema gezielt angeschrieben. Man befürchtet Lärmemissionen, nächtliche Hitzewolken („Saunanächte“) aus Richtung der Solarpaneele und bemängelt, dass der Mindestabstand für FFPV-Anlagen zu Wohngebäuden nicht eingehalten würde. Weiter wird vermutet, dass diese Fläche bereits still und heimlich für die Firma Solarcomplex reserviert sei, die in Dingelsdorf/Wallhausen ein Nahwärmenetz plant und für ihre Seewärmepumpe Strom benötigt.
Ein Solarpark lärmt und wärmt
Seemoz hat nachgehakt: Kennen Sie einen Solarpark, der lärmt? Solarpaneele sind anders als Windräder vollkommen lautlos. Haben wir gedacht und sind, um uns dessen zu versichern, rausgefahren zum neuen Solarpark Brandbühl bei Radolfzell. Doch siehe da: Es surrt und brummt tatsächlich. Nicht die Paneele selbst, sondern die am Ende der Reihen angebrachten Verteilerkästen.
Heiße Nächte? Die Potenzialstudie empfiehlt in der Tat, den siedlungsnahen Bereich nicht zu dicht mit Solarmodulen zu bebauen, um den Luftaustausch nicht zu beeinträchtigen. Darauf wird man achten müssen. Wahr ist auch: Die schwarzen Solarpaneele erhitzen sich im Sonnenlicht deutlich stärker als etwa eine grüne Wiese. Wer im Sommer mit einem schwarzen T-Shirt unterwegs ist, kennt den Effekt.
Haltet Abstand
In Baden-Württemberg gibt es keine zwingende Rechtsvorschrift für einen Mindestabstand der FFPV-Module zu Wohngebäuden. Allerdings haben viele Gemeinden sich freiwillig auf hundert oder mehr Meter festgelegt. Auch der Regionalverband bestraft in seinem Kriterienkatalog zur FFPV-Flächenfindung Abstände von weniger als hundert Metern zu Baugebieten mit einem Punkteabzug.
Hier wiederum kommt der Oberdorfer Protest zu früh. Festlegungen zu Höhe und Platzierung der Solarmodule trifft nicht der Regionalplan, sondern erst der für den Bau des Solarparks notwendige Bebauungsplan.
Eine Vorrangfläche, die keiner braucht
Doch ist die Überbauung der reservierten 3,89 Hektar großen Fläche mit einem Solarpark überhaupt realistisch? Aktuell sind dort eine Wiese mit schnurgeradem Entwässerungsgraben, eine Reihe alter Obstbäume am Fuß einer Böschung und oberhalb dieser ein Maisfeld.
Eine Pufferzone längs des Gewässers muss frei gehalten werden, so die gesetzliche Vorschrift. Die Potenzialstudie empfiehlt zudem, man solle die Böschung und das Maisfeld aussparen, um das Landschaftsbild nicht zu beeinträchtigen. Hält man nun auch noch einen Mindestabstand von 100 Metern zu den Wohngebäuden ein, bleiben, wenn überhaupt, nur noch ein paar Quadratmeter für einen Solarpark.
So schreibt uns dazu denn auch Solarcomplex: „Für uns ist der Standort bei Oberdorf uninteressant. Zu klein“ – man brauche mindestens drei Hektar – und „zu weit von der Heizzentrale entfernt. Unser Favorit ist eine Fläche an der Straße von Dingelsdorf nach Wallhausen.“
Weiter schöne Aussichten für Oberdorf
Warum also meldet die Stadt eine für Freiflächen-Photovoltaik offenbar untaugliche Fläche beim Regionalverband für eben diesen Zweck an? Entweder hat man sich mit dem Thema nur oberflächlich beschäftigt und handwerkliche Fehler gemacht. Oder die „Teilfortschreibung 3.1. Freiflächen-Photovoltaik“ ist zumindest für den Landkreis Konstanz nur eine bürokratische Pflichtübung. Denn das Ziel, 0,5 Prozent der Landkreisfläche mit Freiflächen-Photovoltaik zu belegen, wird in Eigeninitiative von Landwirt:innen und Kommunen auch ohne die Vorgaben des Regionalplans erreicht werden – so jedenfalls die Einschätzung nicht nur des BUND.
Die Oberdorfer:innen müssen sich jedenfalls keine Sorgen machen. Einen Solarpark neben ihrem Dorf wird es nach unseren Informationen nicht geben. So lange die Wiese gleichwohl als FFPV-Vorrangfläche ausgewiesen ist, sind die Anlieger:innen davor geschützt, dass in ihrer Nachbarschaft irgendwann die Bagger und Kräne für ein neues Baugebiet auffahren. Das Privileg des schönen Ausblicks auf Wiese, Wald und See, von dem Konstanzer Normalbürger:innen nur träumen können, bleibt Oberdorf also erhalten – hoffentlich möglichst lang.
Text und Foto: Ralph-Raymond Braun. Karte: HHP-Raumentwicklung
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