Luftbild Schaffhausen © Pixabay

„Ja“ zur öffentlichen Versorgung

Ein Kommentar

Luftbild Schaffhausen © Pixabay


In Konstanz haben es im letzten Herbst die Verwaltungs- und Stadtwerkechefs versucht, in der Nordostschweiz waren jetzt sogar neun Kantone für die Teilprivatisierung ihres öffentlich-rechtlichen Strom- und Versorgungsunternehmens. Während der Thüga-Deal schon vor der Abstimmung im Konstanzer Gemeinderat scheiterte, entschied in Schaffhausen nun die Bevölkerung.

Die Geschichte ist fast zu gut, um wahr zu sein: Im Kanton Schaffhausen hat ein beherzter linker Lokalpolitiker praktisch im Alleingang den grössten Stromkonzern des Landes in die Knie gezwungen. Aber der Reihe nach: Die Axpo, die heute vollständig im Besitz von neun Ostschweizer Kantonen und ihren Kraftwerken ist, will sich schon länger für private Investor:innen öffnen, um „strategisch flexibler agieren“ zu können. 

Dafür ist allerdings ein neuer Vertrag mit den Eignerkantonen nötig. Ein solcher liegt seit mehreren Jahren vor. Anfang Jahr stimmte auch der Kanton Schaffhausen, der nur rund acht Prozent der Axpo-Aktien besitzt, dem neuen Vertrag zu. Doch im allerletzten Moment ergriff eine Gruppe um SP-Stadtparlamentarier Matthias Frick das Referendum. So kam es am 18. August zur Abstimmung und zu einer faustdicken Überraschung: Mehr als 53 Prozent der Stimmenden lehnten den neuen Vertrag ab – und besiegelten sein Aus.

Plötzlich im Zentrum

Für dieses Resultat gibt es Gründe: Die Kantonsregierung, namentlich der zuständige FDP-Regierungsrat Martin Kessler, hatte auf jegliche Abstimmungskampagne verzichtet. Eine Fehleinschätzung. Als der Vertrag aufgesetzt wurde, war das öffentliche Interesse an energiepolitischen Fragen relativ gering.

Das hat sich dann im Februar 2022 mit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine fundamental geändert. Damals stiegen die Energiepreise europaweit sprunghaft an, angesichts der hohen Abhängigkeit von russischem Gas ging die Angst vor Engpässen um, sogar von einem Blackout war die Rede.

Die Energiepolitik ist seither ins Zentrum der politischen Debatte gerückt, und gerade den Verbraucher:innen ist mittlerweile bewusst, wie essenziell eine sichere und eigenständige Energieversorgung ist. 

„Wohl kein Thema mehr“

Die Ablehnung des neuen Vertrags Mitte August ging denn auch weit über das links-grüne Lager hinaus: Auch auf dem Land, wo eine grosse SVP-Wähler:innenbasis besteht, war sie hoch. Die Schaffhauser Stimmbevölkerung will die Stromversorgung und -produktion in öffentlicher Hand behalten.

In der Schaffhauser Politik ist man erst mal vorsichtig. Man nehme das Resultat zur Kenntnis und werde die Folgen davon sowie das weitere Vorgehen in den nächsten Wochen mit den anderen Axpo-Eigentümer:innen besprechen, heisst es.

Aus Zürich – der Kanton hält knapp 37 Prozent der Axpo-Aktien – kommen bereits klare Ansagen. Der grüne Regierungsrat Martin Neukom sagt gegenüber der WOZ: „Eine Teilprivatisierung im Ausmass, wie das der neue Vertrag vorsah, ist mit diesem Volksentscheid wohl kein Thema mehr.“ Vorerst werde alles bleiben, wie es ist. 

Mittelfristig könne es aber zunehmend schwierig werden, neues Eigenkapital zu beschaffen, „was den dringend notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien bremst“, sagt Neukom.

Warnsignal in Richtung Bern

Das Schaffhauser Nein hat Bedeutung weit über die Axpo hinaus. Weniger in Bezug auf die Diskussion über Atomstrom: Das von den Stimmberechtigten 2017 beschlossene AKW-Neubauverbot gilt bekanntlich weiterhin, auch wenn Energieminister Albert Rösti (SVP) daran rüttelt. Im neuen Axpo-Vertrag waren diesbezügliche Investitionen denn auch explizit und folgerichtig ausgenommen. Wenn nun Vertreter:innen der Atomstromlobbypartei SVP versuchen, das Abstimmungsresultat als Bekenntnis zum Atomstrom umzudeuten, ist das ebenso durchschaubar wie falsch.

Hingegen ist das Schaffhauser Nein ein klares Bekenntnis zum Service public, zu einer Stromversorgung und -produktion in öffentlicher Hand. Und damit auch ein Warnsignal in Richtung Bundesbern. Der Bundesrat will demnächst ein Stromabkommen mit der EU abschliessen.

Doch im Gegensatz zum Schweizer Strommarkt ist jener in den EU-Staaten komplett liberalisiert. Der Bundesrat muss sich sehr genau überlegen, ob und wie weitgehend er diesen Markt auf Kosten des Service public für private, gewinnorientierte Akteur:innen öffnen will, um ein Abkommen zu erzielen. Die Stimmbevölkerung dürfte relativ schnell rote Linien ziehen. Die Axpo kann ein Lied davon singen.

Axpo: Wasserkraft und Atomenergie

Axpo ist eine Art Zwitterkonzern. Einerseits ist das Energieunternehmen mittlerweile ein gewichtigerPlayer im globalen Stromhandelsbusiness. In über dreißig Ländern hat der Konzern mittlerweile Standorte aufgebaut. Ende 2020 gründete er etwa eine Tochtergesellschaft in Singapur, um im wachsenden Markt mit Flüssigerdgas (LNG) in Asien mitzuverdienen. 

Dieses Business ist risikoreich und großen Schwankungen ausgesetzt, so war die Axpo wegen Liquiditätsengpässen vor zwei Jahren darauf angewiesen, dass der Bund dem Stromkonzern per Notrecht einen vier Milliarden Franken schweren Rettungsschirm zur Verfügung stellt (siehe WOZ Nr. 36/22). Auch wenn dieser Schirm letztlich nicht zum Einsatz kam, zeigte der Vorfall exemplarisch auf, wie risikobehaftet das Stromhandelsgeschäft ist.

Auf der anderen Seite gilt die Axpo mit ihren über hundert Kraftwerken im Inland als «systemrelevantes Unternehmen» für die heimische Versorgungssicherheit. Dazu zählen eine Vielzahl von Wasserkraftwerken, am gewichtigsten ist jedoch immer noch die Atomenergie, das AKW Beznau gehört der Axpo ganz, an Gösgen und Leibstadt ist der Konzern beteiligt. (jj)

Der Beitrag des WOZ-Redakteurs Jan Jirát erschien zuerst in der Schweizer Wochenzeitung WOZ. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Das Thema ausführlich behandelt, hat natürlich auch die Schaffhauser AZ.
Foto: Luftbild von Schaffhausen, Quelle: Pixabay

Ein Kommentar

  1. Helmut Reinhardt

    // am:

    Ergänzend zum Artikel:
    „Grosse Überraschung: Schaffhausen versenkt neuen Axpo-Vertrag
    Acht Kantone haben neue Regeln für den Stromkonzern schon abgesegnet. Doch nun kippt Schaffhausen das neue Regelwerk.“
    https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmung-kanton-schaffhausen-grosse-ueberraschung-schaffhausen-versenkt-neuen-axpo-vertrag

    «Am Sonntag verhinderte die Schaffhauser Stimmbevölkerung, dass der Stromkonzern Axpo privatisiert werden kann. Hinter dem Coup steht der SP-Politiker Matthias Frick.»
    https://www.woz.ch/2434/kanton-schaffhausen/der-nachbohrer/!GWYSSMQXW9GW

    Und Thüga-Deal lässt grüssen
    https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/tschuess-thuega-aber-wer-oder-was-kommt-jetzt/

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