Rastlos tigert Nasrin (Name vom Autor geändert) durch ihre kleine Konstanzer Wohnung und schafft es nicht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sie weint. Jedes Licht, jede Alltagsfreude scheint fern und unerreichbar. Der Jahrestag der Tötung von Jina Amini, die zur Ikone der iranischen Frauenrechtsbewegung wurde, lag gerade mal gut zwei Wochen zurück. Ein Kommentar zur Lage.
Am 16. September legte Nasrin noch Andachtskerzen rund um den Kaiserbrunnen an der Konstanzer Marktstätte, hielt eine feurige, hoffnungsvolle Rede. Am 3. Oktober passierte es dann schon wieder: eine 16-jährige Iranerin wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von Sittenwächterinnen der Islamischen Republik in einer Teheraner U-Bahn ins Koma geprügelt. Der Grund: Armita Garawand soll kein Kopftuch getragen haben.
Geschichte wiederholt sich also, es ist nicht zu fassen. Wieder werden Journalist:innen weggesperrt, die Licht ins Dunkel bringen wollten. Wieder werden Angehörige des Opfers unter Druck gesetzt, sich nicht kritisch zu äußern. Wieder tun regimetreue Medien und Akteur:innen die Tat als unbegründetes „Gerücht“ ab. Wieder schickt die Islamische Republik verstärkt ihre treuesten Schergen, die Basij-Miliz ins Feld, um auf der Straße jedes Protestfünkchen brutal auszutreten. Vergessen sind Propagandakniffe des Regimes (auf die auch deutsche Medien reihenweise hereinfielen), das ankündigte, die Sittenpolizei abzuschaffen. Und gleichzeitig schnürt es Hunderttausenden Exil-Iraner:innen wie Nasrin die Brust zu, wenn sie verzweifelt ihre Timelines runterscrollen, ihre Familien anrufen und sich doch aus der sicheren deutsch-iranischen Distanz hilflos und wirkungslos, gar feige, fühlen.
Wie verzweifelt manche Exil-Iranerinnen sind, wird auch an einem lauen Oktoberabend deutlich, nur einen Tag vor der Attacke gegen Armita Garawand. Die junge Regisseurin Melika Rezapour stellt ihren Film ‚One Way Ticket‘ im Petershauser Treff vor, der häusliche Gewalt und Unterdrückung junger iranischer Frauen behandelt. Als dann in der Diskussionsrunde der Name von Jina Amini fällt, bricht sie in Tränen aus. Für einen Moment verliert sie die Sprache, ob der Last, der Verzweiflung und Ohnmacht. Kurz darauf fängt sie sich wieder, versucht zu lächeln und beantwortet die restlichen Fragen des Konstanzer Publikums.
Dieses Lächeln, das Aufbäumen, die ungezähmte, wütende Lebensfreude sind es, die mich immer wieder erstaunt zurücklassen. Wie viel unbeugsamen Mut, wie viel Hoffnung müssen junge Frauen wie Melika oder Nasrin aufbringen, gerade wenn immer weitere Gewalttaten und Katastrophen im Gaza-Streifen, in Israel, im Iran oder in Afghanistan publik werden? Denn auch Nasrin wird sich wieder aufraffen, an die Uni fahren und lächeln. Und nicht, weil sie etwas überschminken muss, sondern weil sie weiß: bleibt die freud- und hoffnungslose, düstere Glocke über ihr und ihren Mitstreiterinnen im Exil, wird sich der vielbeschworene iranische Phönix eben nicht aus der Asche erheben. Dann hat das Regime gewonnen, das systematisch die ausgelassene Freude, Musik, Tanz und Buntheit niederzudrücken versucht.
Es wird ihm auf Dauer nicht gelingen. Die frischgekürte Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi schmuggelte 2022 einen Brief aus dem Gefängnis. Sie schrieb: „an dieser Stelle möchte ich betonen. dass Tapferkeit, Mut, Ausdauer und Kampf etwas bewirken und erreichen können, wenn sie von der Aufmerksamkeit der Medien und der Institutionen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, begleitet werden.“ Die Iraner:innen werden also ihre Freiheit nicht erreichen, wenn sie allein kämpfen müssen. Wenn niemand zusieht, schreibt auch die deutsch-iranische Journalistin Gilda Sahebi in der taz, „begeht das iranische Regime seine Verbrechen am effektivsten – also am grausamsten“.
Deswegen lasst uns, wenn nun auch der mediale Blick gen Israel geht und die sogenannte internationale Gemeinschaft wieder eine „Kuscheldiplomatie“ (Sahebi) zum iranischen Regime pflegt, dann doch im Alltag die Nasrins und Melikas in unserer Konstanzer Nachbarschaft nicht vergessen. Hier gibt es viele afghanische Kinder, iranische Frauen oder kurdische Mitbewohner. Gerade wenn sich nun häufiger der dichte Nebel über die Bodenseeregion legt und ein Meer aus schlechten Nachrichten an uns herandringt, braucht es da mehr Zusammenhalt, gemeinsame Aktionen und einen verständnisvollen, empathischen Umgang. Auf die mutigen Menschen im Iran ist Verlass. Entsprechend beendete Narges Mohammadi ihren Brief wie folgt: „Wir werden nicht nachgeben, bis der Sieg errungen ist: die Einführung von Demokratie, Frieden, Menschenrechten und ein Ende der Tyrannei.“
Text: Mark Schoder. Er studiert Sozialanthropologie an der Frankfurter Goethe-Universität. Er hat einen Masterabschluss in Humangeographie. Sein regionaler Schwerpunkt ist der Iran, wo er für zwei Feldforschungen jeweils fünf Monate einerseits im zentraliranischen Isfahan, andererseits im nördlichen Anzali verbrachte. Ab 2024 wird er ein journalistisches Volontariat in der Bodenseeregion beginnen. Aktiv ist Mark Schoder auch bei Amnesty International.
Bild: H. Reile
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