Aufgrund guter Ergebnisse bei internationalen Bildungsstudien stand das finnische Bildungssystem in den letzten Jahren immer wieder im Fokus. Der Kreisverband Konstanz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat vor diesem Hintergrund mit Petteri Möhwald einen Finnland-Experten eingeladen. Mitglieder des Kreisverbands und interessierte Gäste diskutierten mit ihm am 17. Januar in der Gebhardschule. Dabei wurde deutlich, dass es nicht das eine Erfolgsrezept gibt.
Petteri Möhwald ist Lehrer an einer Gemeinschaftsschule im Wiesental und Vorsitzender des örtlichen Personalrats beim Schulamt Lörrach. Er ist über seine finnische Mutter mit dem Land verbunden und hat sich im Kontext seiner Tätigkeit in der Lehrerfortbildung intensiv mit dem finnischen Bildungssystem befasst und organisiert hierzu im Rahmen des Erasmus-Programms der Europäischen Union Fortbildungen vor Ort.
Die GEW hat den Veranstaltungsort mit Bedacht gewählt, da die Gemeinschaftsschule Gebhard in Konstanz viele Aspekte des finnischen Systems bereits realisiert hat. So lernen Schüler*innen verschiedener Bildungsniveaus gemeinsam, es gibt eine methodische Mischung aus individualisiertem Unterricht und lehrerzentrierten Input-Phasen sowie weitgehend Berichte über Verhalten und Leistung der Schüler*innen statt Ziffernnoten.
Petteri Möhwald macht jedoch einen zentralen Unterschied deutlich. Die Gemeinschaftsschule wurde in Baden-Württemberg nach dem Regierungswechsel 2011 als vierte Schulform neben dem dreigliedrigen Schulsystem aus Gymnasium, Realschule sowie Hauptschule bzw. Werkrealschule eingeführt. Finnland hat das System in den 1960er- und 1970er-Jahren komplett umgestellt und schrittweise landesweit die Gesamtschule als einzige Schulform etabliert. Möhwald sagt: „Wenn ich es entscheiden könnte, würden wir in Deutschland das so machen wie damals in Finnland“.
Längeres gemeinsames Lernen
In Finnland lernen alle Schüler*innen bis zum ersten Bildungsabschluss gemeinsam, der entweder nach der neunten oder zehnten Klasse abgelegt werden kann. Die Schüler*innen besuchen sechs Jahre eine Grundschule.
Hier gilt das Klassenlehrkraft-Prinzip: Eine Lehrperson soll möglichst alle Unterrichtsfächer in einer Schulklasse unterrichten. Danach lernen die Schüler*innen gemeinsam an einer weiterführenden Schule, in der wiederum hohe Fachlichkeit angestrebt wird. Nach dem ersten Bildungsabschluss erfolgt dann auch in Finnland eine Aufteilung: Etwa 40 Prozent besuchen die theoretisch anspruchsvolle gymnasiale Oberstufe, rund 60 Prozent eine praxisorientierte Berufsschule. Das finnische System vermeidet eine frühzeitige Auswahl, wie sie in Deutschland bei Kindern nach vier Schuljahren vorgenommen wird, und ist damit erfolgreich.
Wichtig für den Bildungserfolg in Finnland sind jedoch auch weitere Faktoren, die mit gesamtgesellschaftlichen Fragen zu tun haben. So verfügen Lehrkräfte in Finnland über ein ausgesprochen hohes gesellschaftliches Ansehen. Das könnte mit dem Auswahlverfahren zu Beginn eines Lehramtsstudiums zu tun haben. Dazu gehören anspruchsvolle Multiple-Choice-Tests, aber auch Interviews, mit deren Hilfe die Motivation für das Lehramtsstudium ergründet wird. Zum Studium zugelassen werden nur Personen, denen es gelingt, ihr pädagogisches Interesse und ihren positiven Blick auf Kinder und Jugendliche deutlich zu machen.
Das erfolgreiche finnische Bildungssystem ist Teil des dortigen Sozialstaatsmodells, das die soziale Ungleichheit begrenzt. Der Staat investiert umfangreich in Schulen, aber auch in Kindertagesstätten, außerschulische Bildungseinrichtungen und Gesundheitszentren, die die medizinische Grundversorgung übernehmen. Diese Gesundheitszentren fungieren als Anlaufstellen für Eltern mit kleinen Kindern und sind so auch im Kontext der frühkindlichen Bildung wichtige Einrichtungen.
An dem Abend in der Gebhardschule wurde also kein Erfolgsrezept für die Verbesserung des Schulsystems präsentiert, sondern es wurden vielfältige Impulse zu unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Aspekten gesetzt. Abschließend appellierte Petteri Möhwald an die Lehrkräfte im Publikum: „Seid entspannt, nehmt euch Zeit für die Kinder und Jugendlichen – auch mal abseits der Vorgaben des Bildungsplans!“
Text und Bilder: Till Seiler
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