Alle Länder der Welt verfolgen ihre Klimaschutzziele in einer wachsenden Wirtschaft. Das setzt voraus, dass es gelingt, die CO2-Emissionen schnell genug zu senken, während die gesamte Produktion erhöht wird. Mit anderen Worten: Um die Klimaschutzziele in diesem Rahmen einzuhalten, braucht es grünes Wachstum. Aber kann das funktionieren?
Die Idee mit grünem Wachstum der Klimakrise zu entgehen, ist nicht neu. Zeit also, sich die Ergebnisse der vergangenen Jahre anzuschauen und zu bewerten, ob es plausibel ist, die Klimaziele in einer Wachstumswirtschaft einzuhalten. Eine kürzlich erschienene Studie von Jefim Vogel und Jason Hickel untersuchte genau das, mit weitreichenden Ergebnissen.
Grünes Wachstum heißt: Es muss gelingen, Bruttoinlandsprodukt (BIP) und CO2-Emissionen absolut zu entkoppeln. Also dass die CO2-Emissionen sinken, während das BIP weiter wächst. Mit zwei sehr wichtigen Zusätzen. Das eine ist die Unterscheidung in absolute und relative Entkopplung. Man spricht von relativer Entkopplung, wenn die CO2-Emissionen pro Einheit BIP zwar rückläufig sind, aber das hohe Wirtschaftswachstum die Erfolge wieder auffrisst.
So hat China mit knapp drei Prozent eine ähnliche Entkopplungsrate wie Deutschland, aber da die Wirtschaftswachstumsraten in den vergangenen Jahren deutlich über drei Prozent lagen, sind die gesamten CO2-Emissionen weiter gestiegen. Innerhalb der nächsten Jahre wird jedoch voraussichtlich das Wirtschaftswachstum unter drei Prozent sinken, womit dann die gesamten CO2-Emissionen rückläufig wären und die Emissionen absolut entkoppelt sind.
Elf glückliche Staaten …
Der zweite essenzielle Zusatz ist: Um eine Klimakatastrophe abzuwenden, müssen die CO2-Emissionen schnell genug sinken, um innerhalb des verfügbaren CO2-Budgets zu bleiben.
In ihrer Studie untersuchen Vogel und Hickel die Entkopplungsraten der Länder mit hohem Einkommen und wie sehr diese gesteigert werden müssten, um die Pariser Klimaziele einhalten zu können.
Von den drei Dutzend Ländern mit hohem Einkommen, ist es im Zeitraum zwischen 2013 und 2019, also nach der Finanzkrise und vor Covid, elf Ländern gelungen, die CO2-Emissionen zu reduzieren, während die Wirtschaft weiter wächst. Diese glücklichen elf Staaten sind sortiert nach Entkopplungsraten: Belgien, Österreich, Frankreich, Deutschland, Australien, Kanada, Schweden, die Niederlande, Dänemark, UK, sowie Luxemburg. Wobei Österreich mit einer Entkopplungsrate von 2,6 Prozent Schlusslicht ist, während Luxemburg mit 6,7 Prozent das Feld anführt. Deutschland rangiert mit 3 Prozent im hinteren Teil des Feldes. Diesen Ländern ist es also im Bezug auf die CO2-Emissionen grundsätzlich gelungen, grün zu wachsen. So weit, so gut.
… aber zu langsam
Das Problem liegt allerdings in der Geschwindigkeit. Denn im Schnitt brauchen diese elf Länder mit den bisherigen Entkopplungsraten noch 220 Jahre bis zur Klimaneutralität. Damit sprengen sie jedes verfügbare CO2-Budget. Um doch noch das länderspezifische CO2-Budget zur Einhaltung der 1,5-Grad- Grenze mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit nicht zu überschreiten, müsste zum Beispiel Deutschland seine Entkopplungsrate bis 2025 auf sage und schreibe 30 Prozent erhöhen und bis 2030 sogar auf fast 40 Prozent. Das erscheint nicht nur sehr unwahrscheinlich, es ist sogar sehr fraglich, ob es technisch überhaupt machbar wäre, in so kurzer Zeit die bestehende Infrastruktur auszutauschen.
Selbst wenn der Temperaturanstieg auf sehr gefährliche 1,7 Grad Celsius begrenzt werden soll, wird das dafür nötige CO2-Budget kaum einzuhalten sein. In dem Fall müssten die Entkopplungsraten für Deutschland bis 2025 auf 15 und bis 2030 auf 20 Prozent steigen.
Man kann die Bedeutung dieser Ergebnisse kaum überschätzen (siehe dazu auch eine Stellungnahme des Sachverständigenrats für Umweltfragen als PDF-Download). Hinzu kommt, dass die Studie von Vogel und Hickel lediglich CO2-Emissionen angeschaut hat. Die Berücksichtigung weiterer ökologischer Faktoren würde dieses Ergebnis nur noch unterstreichen.
Verdoppelung in 23 Jahren
Dass es nicht gelingen wird, die Klimaschutzziele in einer Wachstumswirtschaft einzuhalten, heißt nicht, dass die Ziele überhaupt nicht einzuhalten sind. Sobald wir die strukturellen Hürden beseitigen, die uns dazu zwingen, jedes Jahr immer mehr zu produzieren, haben Klimaschutzansätze deutlich mehr Chancen. Eine Wirtschaft, die wie die Weltwirtschaft pro Jahr um drei Prozent wächst, verdoppelt sich alle 23 Jahre – das ist in etwa der Zeitraum, innerhalb dessen Deutschland klimaneutral werden will.
Eine doppelt so große Wirtschaft aber heißt, vereinfacht ausgedrückt, dass wir doppelt so viele Dinge produzieren. Angesichts dieser Überlegung ist es nicht verwunderlich, dass es nahezu unmöglich ist, den Emissionsausstoß so schnell wie nötig zu mindern. Wenn wir uns hingegen von den Wachstumszwängen lösen und darauf fokussieren, was wir tatsächlich brauchen, um gut zu leben, sieht das Bild anders aus. Zahlreiche Studien bestätigen, dass wir mit weniger als der Hälfte unsere heutigen Energiebedarfs auskämen (siehe zum Beispiel den Beitrag „Providing decent living with minimum engergy: A global scenario“. In diesem Fall wäre es zwar immer noch eine gewaltige Herausforderung, rechtzeitig klimaneutral zu werden, aber es wäre möglich.
Zudem könnte die Entkopplungsrate durchaus gesteigert werden. All die klassischen Klimaschutzmaßnahmen – wie Energie-, Verkehrs-, Wärme-, Bau- und Agrarwenden – helfen hierbei. Sie wären auch in einer Postwachstumswirtschaft zentral. Nur genügen diese Maßnahmen bei weitem nicht, wenn wir jedes Jahr immer mehr produzieren.
Die einzige Option: System Chance
Der zweite Punkt, der sehr wichtig ist hervorzuheben: Klimaschutz und Armutsbeseitigung in Ländern mit niedrigem Einkommen schließen sich nicht aus. Da die CO2-Emissionen der Niedrigeinkommensländer noch sehr gering sind, reichen realistische Entkopplungsraten, gepaart mit Maßnahmen der Umverteilung und selbstständiger wirtschaftlicher Entwicklung aus, um deren Wirtschaft auf ein nötiges Maß zu steigern.
Doch während Länder mit niedrigem Einkommen noch weiteres Wirtschaftswachstum benötigen, um Armut zu beseitigen und für alle Menschen in ihrem Land ein gutes Leben zu ermöglichen, gilt dies nicht für die untersuchten Länder mit hohem Einkommen. Hier könnten Postwachstumsansätze wie eine massive Reduktion der Ungleichheit, eine Reduktion der Wochenarbeitszeit, einem Ausbau der Daseinsfürsorge deutlich wertvollere Beiträge zur Steigerung der Lebensqualität bieten als eine weitere Steigerung des BIPs.
Die vorliegende Studie verdeutlicht einmal mehr: System Change oder Climate Change. Es ist Zeit, die Option System Change zu wählen.
Text: Manuel Oestringer / Foto: das Frankfurter Bankenviertel (Quelle: Pixabay) / Grafik: Vom Autor zur Verfügung gestellt
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