Wie sähen Konstanz und Kreuzlingen heute aus, wenn Stadtplaner:innen, Architekt:innen und Investor:innen all ihre Vorhaben hätten verwirklichen können? Dieser Frage widmet sich eine Ausstellung im Kreuzlinger Museum Rosenegg. Sie stellt Projekte vor, die – teilweise sogar genehmigt – nie umgesetzt wurden.
Seit der vielen als Stadtführer bekannte Historiker David Bruder im Sommer 2022 die Leitung des Hauses übernahm, erweitert das zuvor leicht angestaubte Museum Rosenegg seinen Blick und nimmt über Kreuzlingen hinaus ganz „Konzlingen“ ins Visier. So entstand die aktuelle Sonderausstellung grenzüberschreitend in Zusammenarbeit mit dem Architekturforum Konstanz/Kreuzlingen und der HTWG. Deren Studierende der Fachrichtungen Architektur und Kommunikationsdesign erarbeiteten das Ausstellungskonzept.
Bereits die gut besuchte Vernissage war ein gängige Grenzen überschreitendes Event. Nicht im Museum selbst, sondern auf der anderen Straßenseite in der Evangelischen Kirche hielten Museumschef David Bruder, Stefan Neubig vom Architekturforum und HTWG-Professor Eberhard Schlag die obligatorischen Eröffnungsreden. Dazwischen Orgelimprovisationen von Nicolas Borner, dem in Konstanz aufgewachsenen Kirchenmusiker der katholischen Kirchgemeinde St. Stephan in Emmishofen.
Utopie oder Dystopie?
Die Konstanzer Sehnsucht nach alter Größe und das Kreuzlinger Bestreben, aus dem Zusammenschluss dreier Dörfer Urbanität zu schaffen, bereitet großen Entwürfen fruchtbaren Boden. Zeitlich reichen die vorgestellten Entwürfe vom Barock, nämlich einem an den Dimensionen der römischen Peterskirche orientierten Neubau der Klosterkirche Petershausen, bis zu Uli Burchardts Seilbahnidee; räumlich von der Kirche Egelshofen über den Industriehafen Tägermoos bis zum Vergnügungspark bei der Brauerei Ruppaner.
Gut getan hätte der Agglomeration sicher der am Grenzbach auf Höhe der Kreuzlinger Fußballplätze angedachte Gemeinschaftsbahnhof Konstanz/Kreuzlingen. Auch das nie realisierte Netz grenzüberschreitender Straßenbahnlinien von der Reichenau bis nach Münsterlingen wäre heute ein großer Fortschritt, wenngleich man es wenigstens auf deutscher Seite vermutlich in den 1960ern zugunsten des Omnibusbetriebs stillgelegt hätte.
Bis in die 1970er kämpfte der seinerzeitige IHK-Geschäftsführer und FDP-Kommunalpolitiker Josef Hund (1915–94) für eine Straßenverbindung quer über den See zwischen Allmannsdorf und Unteruhldingen, sei’s als Hänge-, Dreh-, oder Schwimmbrücke. Auch ein zwar unter Wasser, doch hoch über dem Seegrund schwebende Tunnelröhre war angedacht.
Was uns erspart blieb
Erspart blieben uns vor allem die vielen direkt am See projektierten Objekte. So auf dem Douglas-Areal, wo neben der historischen Villa Douglas heute die Schmieder-Kliniken großzügig Abstand vom Seeufer halten. Geplant war hier zunächst ein übergroßes Rehazentrum direkt am Wasser, bis sich im Wettbewerb ein kolossales Halbrund mit Hotel, Wellenbad und Luxuswohnungen für 1500 Menschen gegenüber den Hochhausentwürfen durchsetzte.
Der größenwahnsinnige Konstanzer Gemeinderat hätte es erlaubt, wäre da nicht das von den Anrainerstaaten 1983 vereinbarte Bodenseeleitbild dazwischen gekommen, das eine seeabgewandte Siedlungsentwicklung vorsah. Daran scheiterte dann auch die für Kreuzlingen vorgesehene „Goldene Schale“ (1), ein auf Pfahlbauten im Flachwasser vorgesehenes Luxushotel mit Boutiquen und Jachthafen.
Nehmen Sie Stellung!
Von gigantischen Kirchenbauten über nie gebaute Hochhäuser bis zu utopischen Verkehrsplänen: Alles in allem konfrontiert uns die Ausstellung mit dreißig nicht realisierten Entwürfen. Zu den einzelnen Projekten sollen sich die Besucher:innen ein eigenes Urteil bilden und dürfen auch abstimmen, indem sie Holzklötzchen in die Boxen für „Ja“ und „Nein“ werfen. Am Ende des Rundgangs lädt eine Pinnwand zur Meinungsäußerung ein.
„Die Baumasse an wenigen Punkten und in die Höhe zu konzentrieren zum Vorteil der … unbebauten Grünflächen“, heißt es irgendwo in der Ausstellung. Konfrontiert man die Entwürfe gedanklich mit dem, was an deren Stelle dann realisiert wurde, erscheint selbst manches nie gebaute Hochhaus als Vorzugsvariante.
So hätte dem Erhalt der Parkanlage des früheren Sanatoriums Bellevue (in Kreuzlingen zwischen Hauptstraße, Brückenstraße und Bahn) ein einzelnes Hochhaus, angedacht als Pendant zum nahen Freiegg-Tower, sicher besser getan als die schließlich realisierte Überbauung mit fünf Gebäudekomplexen, die deutlich mehr Fläche versiegelt.
Was fehlt
Bei einigen Vorhaben ließen sich unschwer Linien zu aktuellen Wiedergängern ziehen, etwa vom Vergnügungspark Ruppaner zum nun im Bau befindlichen Asisi-Panorama. Bei anderen hätte sich eine Verknüpfung untereinander angeboten.
So sollte die anstelle der heutigen Europastraße (B 33) auf Pfählen durchs Paradies geplante Autobahn genau jener Trasse folgen, die zuvor für Bahngleise zum ebenfalls vorgestellten Gemeinschaftsbahnhof frei gehalten wurde. Auch inhaltlich gerät die Darstellung des Autobahnprojekts zu kurz.
Geplant waren ja nicht nur die Hochstraße und ein monströser Anschlussknoten am Schänzle, sondern auch rechtsrheinisch als sogenannte Ulmisriedtrasse eine breite Schneise vorbei am Fürstenberg, quer durchs Haidelmoos, im Tunnel durch den Schwaketenwald und dann durchs Ulmisried gen Wollmatingen. Die Älteren werden sich noch daran erinnern, dass erst die hartnäckige Arbeit von Bürgerinitiativen und ein Bürgerentscheid das umweltschädliche Vorhaben zu Fall brachten.
Radtour digital
Ergänzend zur Ausstellung im Museum wird eine Radtour vorgeschlagen. Sie führt vom Museum Rosenegg bis zum Fährhafen Staad und streift dabei zehn Standorte der in der Ausstellung vorgestellten Projekte. Mit Smartphone und QR-Code kann man die Bauvorhaben als Augmented Reality in die Live-Ansicht der Handykamera projizieren.
Allerdings setzt die Nutzung einen Besuch des Museums voraus: Dort gibt es die Flyer mit dem QR-Code.
Text und Fotos: Ralph-Raymond Braun
Zwei Fotos (von der Gruppe der Ausstellungsmacher:innen und mit einem für Emmishofen geplanten Wolkenkratzer) aus einer PM der HTWG: Bettina Schröm
Geplatzte Stadt(t)äume – eine Reise durch Konstanz Kreuzlingen: noch bis 26. Januar 2025 jeweils Freitag bis Sonntag 14 bis 17 Uhr im Museum Rosenegg, Bärenstraße 6, Kreuzlingen.
(1) Als goldene Schale (concam auream) soll der Alemannenmissionar Columban den Bodensee etikettiert haben; „die aber ist voller Schlangen“ (sed serpentinibus plenam), zürnt der Heilige im nächsten Halbsatz, und meint mit den Schlangen die Menschen am See.
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