
Vorgestern und gestern verhandelte die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart über die Zukunft der Gäubahn zwischen Zürich/Konstanz-Singen und Stuttgart. Die Bahnverbindung soll, so wollen es zuständige Politiker:innen und die Bahn, ab April 2026 am Stadtrand von Stuttgart enden. Das Verfahren endete mit einer Niederlage der Kläger, die indes Berufung einlegen wollen. Wichtiger als der Prozess ist aber politischer Druck von unten.
Eingereicht hatte die Klage die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der sich der Landesnaturschutzverband anschloss. Dabei geht es um die jahrzehntelange, wahrscheinlich aber dauerhafte Unterbrechung der Gäubahn in Vaihingen. Das aber, so die DUH, sei nicht von den vorliegenden Planfeststellungsbeschlüssen zu Stuttgart 21 abgedeckt und damit unzulässig: „Bund, Land und Bahn brechen hier vorsätzlich das Gesetz und ihr Versprechen, dass es durch Stuttgart 21 zu keiner Verschlechterung des Bahnverkehrs komme“, schreiben die Umweltschützer:innen auf ihrer Website.

Die von ihnen befürchtete „Verschlechterung des Bahnverkehrs“ auf der Strecke auf der Strecke zwischen Zürich-Schaffhausen-Singen und Stuttgart (siehe Karte) ist eine der vielen negativen Folgen des Tiefbahnhofprojekts Stuttgart 21 (S21), das sich CDU-Politiker:innen und Immobilienmanager vor Jahrzehnten ausdachten, um aus dem Bahngelände Profit zu schlagen. Was die Bevölkerung südlich der Landeshauptstadt lange nicht bemerkte oder wissen wollte: Nun bedroht S21 auch alle, die Zugverbindungen im Süden Baden-Württembergs nutzen.
Und so hat sich in letzter Zeit eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung von Konstanz über Singen, Tuttlingen, Rottweil, Freudenstadt bis Stuttgart entwickelt: In der Region kommt es immer wieder zu Aktionen und Kundgebungen; Pro-Gäubahn-Inititiaven mobilisieren vielerorts mit Veranstaltungen und Filmvorführungen; selbst die Verwaltungsspitzen der betroffenen Kommunen protestierten. Zuletzt haben sich zudem die CDU Südbadens einstimmig und die Landesdelegiertenversammlung der Grünen mehrheitlich gegen die geplante Kappung der Gäubahn in Vaihingen ausgesprochen. Dort sollen künftig die aus dem Süden anreisenden Fahrgäste in die S-Bahn umsteigen.
Debatte in Stuttgart
Und nun also das gerichtliche Verfahren. Am ersten Prozesstag ging es vor allem um die Frage, wer überhaupt klageberechtigt ist. Offenbar nicht der Landesnaturschutzverband: Das Stilllegungsverfahren habe keinen ausreichenden Bezug zum Umweltschutz, deshalb sei der Verband als Umweltschutzvereinigung nicht klagebefugt, urteilte die Richterin – als hätte die Verkehrsform keine Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima. Immerhin erlaubte sie den Gang zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.
Aber worum geht es überhaupt? Und wohin führt das Vorhaben der Bahn, die sich mit Stuttgart 21 (der geplanten Verlegung des Bahnverkehrs von und nach Stuttgart in einen Tiefbahnhof) ein Milliardenloch geschaffen hat – und nun die Panoramastrecke oberhalb von Stuttgart stilllegen will? Das diskutierten auf einer Podiumsdiskussion Ende Januar in Stuttgart der ehemalige Chef der Schweizerischen Bundesbahnen SBB Benedikt Weibel, der frühere Bundesvorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL Claus Weselsky sowie Jürgen Resch, Geschäftsführer der DUH.

Hier ihre wesentlichsten Fakten, Zitate und Einschätzungen zur Gäubahn, zu einem möglichen neuen Anschluss an den Hauptbahnhof, zum Fortbestand des Kopfbahnhofs, zu dringend notwendigen Investitionen in den Bahnverkehr. Und zur Kompetenz der Politik und des Bahnvorstands.
Von zuverlässig bis dilletantisch
– Pünktlich: Die Gäubahn war zuletzt ziemlich reparaturanfällig: 2024 mussten die Fahrgäste oft umsteigen; an 126 Tagen war irgendwo auf der Strecke ein Umstieg zum busbetrieben Schienenersatzverkehr nötig.
Seither aber ist „die Gäubahn die pünktlichste Bahnverbindung im Fernverkehr im ganzen Deutschland“ (Benedikt Weibel). Die Züge fahren stündlich ab 6.37 Uhr bis 19.37 von Zürich nach Stuttgart, darunter zehn Direktverbindungen.
Der oft geforderte doppelspurige Ausbau der Gäubahn (die bis 1945 zweigleisig war) ist nach Ansicht von Weibel und Claus Weselsky nicht nötig. „Der Verkehr funktioniert auch so.“ Nicht mehr so gut funktioniert er, wenn die Fahrgäste in Vaihingen in die S-Bahn umsteigen müssen, um den Stuttgarter Hauptbahnhof zu erreichen.
– Lethargisch: Ob es auch in der Schweiz nicht Protest gegen die Kappung der Gäubahn gebe, wurde Weibel gefragt. „Nein“, lautete seine Antwort. Er sei fast der Einzige, der davor warne.
Andererseits sei die Haltung der Schweiz ganz klar, wie Jürgen Resch in Gesprächen mit der SBB mitgeteilt wurde: „Wenn es keine direkte Verbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof mehr gibt, wird die SBB die Strecke aufgeben.“ Damit wäre der Stundentakt hinfällig – auch für Reisende ab Singen.
Was die SBB unbedingt vermeiden wolle, so Benedikt Weibel, seien Verhältnisse wie in Basel, wo die Schweizer Bahn viel Geld für bereit gestellte Züge und Personal aufwenden muss, weil sich die ICEs von Deutschland nach Zürich und Interlaken regelmäßig verspäten.
– Verzögert: Die Gäubahn soll ab April 2026 in Stuttgart-Vaihingen enden. Für später ist der Bau des sogenannten Pfaffensteigtunnels (früher Gäubahntunnel genannt) geplant. Der Tunnel führt in einer Schleife von Böblingen zum Flughafen Stuttgart und vor dort zum Tiefbahnhof S21 und ermöglicht so wieder eine Direktverbindung.
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Das Problem dabei: Er wird mit einer Länge von rund 11 Kilometern einer der längsten Bahntunnels Deutschlands. Die Bauarbeiten – so die DB – sollen von 2026 bis 2032 dauern. Allerdings hat noch nicht einmal das nötige Planfeststellungsverfahren begonnen. Laut Resch ist mit Hunderten von Einsprüchen und Klagen zu rechnen. Das zieht sich hin.
– Teuer: Derzeit werden die Pfaffensteigtunnelbaukosten mit drei Milliarden Euro veranschlagt. Das ist mehr Geld, als der Bahn mit ihren zahlreichen Notbaustellen zur Verfügung steht. Die Sanierungen bereits bestehender Strecken haben Vorrang.
Dazu kommen die notwendigen Kosten für die längst beschlossenen (und beispielsweise von Schweiz bereits teilweise umgesetzten) Investitionen in die neuen europäischen Zugsicherheits- und Kommunikationssysteme ETCS und FRMCS. Sie werden viel Kapital binden. Angesichts der Finanzlage sind Resch, Weibel und Weselsky unisono überzeugt, dass der Pfaffensteigtunnel nicht kommen wird.
– Überflüssig: Einer der Gründe dafür ist auch die abnehmende Bedeutung des Flughafens Stuttgart: „Die Zeit der Regionalflughäfen ist vorbei“ (Resch). Seit 2007 sinkt beim defizitären Flughafen Stuttgart die Zahl der Flugbewegungen (außer der der Privatjets).
Dafür spricht vieles für die Beibehaltung der sogenannten Panoramastrecke, die oberhalb von Stuttgart verläuft. Die zweispurige Strecke, auf deren Boden Immobilienmakler gern mit neuem Baugrund spekulieren würden, wird immer wieder von der S-Bahn genutzt, wenn deren Streckenteile gesperrt sind.
– Oben bleiben: Über die mangelnde Kapazität des 8-gleisigen Tiefbahnhofs S21 ist viel geschrieben worden. Diese wird auch durch die angekündigte Digitalisierung nicht wesentlich höher. Zudem werden die Lokführer, das versprach deren früherer Repräsentant Weselsky, keine zeitsparenden, kapazitätsanhebenden Maßnahmen akzeptieren, die die Sicherheit gefährden.
Das aber bedeutet, dass der 16-gleisige Kopfbahnhof „noch sehr lange“ in Betrieb sein wird (Aussagen Resch, Weibel und Weselsky). Wenn aber „weiterhin Gleise in den Kopfbahnhof führen“, so Jürgen Resch, „warum sollten dann welche wegfallen“ – zum Beispiel jene, die die Gäubahn derzeit nutzt?
Dass ein Nebeneinander von Kopf- und Tiefbahnhof „ganz ausgezeichnet funktionieren“ kann, zeige – so Ex-SBB-Chef Weibel – Zürich mit seinem Kopfbahnhof und den unterirdischen „Durchmesserlinien“. Was dort klappe, müsste auch in Stuttgart mit einem Drittel des Zürcher Bahnverkehrsaufkommen hinhauen. Setzt sich die Vernunft durch, bleibt der Kopfbahnhof.
– Kopflos und kurzsichtig: Wie sehr der Widerstand gegen die Gäubahn-Kappung die DB-Chefs nervt, zeigt die Tatsache, dass sie – anders als noch vor einem Jahr – nicht mehr mit Jürgen Resch reden. Früher war das anders. Da habe ihm DB-Chef Richard Lutz einmal erzählt, was sein frühere Arbeit gewesen sei: „Da hat er als Controller für die Bundesregierung ausgerechnet, wie weit man die Bahn zusammenkürzen müsse, damit die Bundesregierung keine Zuschüsse mehr geben muss“, berichtete Resch auf der Veranstaltung im mit rund 500 Besucher:innen vollgepackten Großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses.
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Welche Konsequenzen der seit langem vorherrschende Kürzungswahn hat, erläuterte Weselsky: Dem Bahnvorstand seien nur noch die ICE-Strecken wichtig, und die Investitionen in Bahnfirmen „am anderen Ende der Welt“. Es sei Unsinn zu glauben, „dass ein Vorstand, der die Karre in den Dreck gefahren hat, diese auch wieder rauszieht“.
– Prozess und Bewegung: Beim Gäubahn-Verfahren hat die DUH, so Resch, „zum ersten Mal darauf geklagt, dass ein Planfeststellungsverfahren eingehalten wird“. Denn: „Normalerweise klagen wir gegen Planungen, die die Natur zerstören.“ Dass das Gericht das Verfahren auf drei Tage angesetzt hat, wertet er als gutes Zeichen: „Es nimmt die Sache ernst“. Was ihm am Verfahren wichtig sei, ist: „Wir wollen eine Bahn für alle, eine Bürgerbahn“. Und dafür brauche es, egal, wie das Urteil lautet, „eine starke Bürgerbewegung“.
Text: Pit Wuhrer (plus Foto der Gäubahn-Debatte im Stuttgarter Rathaus)
Übrige Fotos: Panoramastrecke © Joachim E. Röttgers (Wochenzeitung kontext) / Karte und Vaihinger Abstieg © wikimedia commons / Versammlung Rottweiler Erklärung © Pro Gäubahn
PS: Als dieser Beitrag verfasst wurde, gab es noch keine Informationen über den zweiten Verhandlungstag der Klage der DUH für den Erhalt der Gäubahn bis Stuttgart Hbf.
Mitmachen:
Eine starke Bürger:innenbewegung benötigt Unterstützung. Wer mitmachen oder helfen will, findet Infos bei der DUH und der Initiative Pro Gäubahn.
Nachtrag:
Der auf drei Tage angesetzte Prozess DUH vs. Eisenbahn-Bundesamt endete bereits am Donnerstag (nach Redaktionsschluss dieses Beitrags) mit einer Niederlage der Umweltschützer:innen: Die Klage sei unbegründet, so das Urteil. Nun will die DUH Berufung einlegen und vor den Verwaltungsgerichtshof Mannheim ziehen. Die Umwelthilfe bleibt bei ihrer Meinung, dass die langjährige beziehungsweise dauerhafte Unterbrechung der Gäubahn gegen die ursprünglichen Planfeststellungsbeschlüsse von Stuttgart 21 verstosse.
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