So langsam wird es richtig ernst für die großen Konstanzer Kulturinstitutionen Theater und Philharmonie. Die Verwaltung will sparen und scheint durchaus bereit zu sein, die Mittel so zusammenstreichen, dass mindestens eine dieser Einrichtungen in den nächsten Jahren schließen muss. Dagegen regt sich jetzt prominenter Protest.
Die Theaterfreunde Konstanz e.V. haben sich 1968 gegründet, um die drohende Schließung des Konstanzer Theaters abzuwenden. Gemeinsam mit dem Internationalen Bodenseeclub e.V. und der Volksbühne e.V. setzen sie sich heute, 55 Jahre später, erneut dafür ein, dass das Theater vollumfänglich erhalten bleibt. Die drei Vereine repräsentieren nach eigenen Angaben rund 1000 kulturinteressierte Bürgerinnen und Bürger.
Hier der offene Brief, mit dem sie sich vor allem an die für die Kulturpolitik der Stadt Konstanz Verantwortlichen in Verwaltung und Gemeinderat wenden.
1. Theater ist eine fundamentale Kulturtechnik und ein Grundbaustein der Künste
Theater, wie alle anderen Künste, gehört zur Kultur des Menschen. Theater als Ausdrucksform ist gleichursprünglich mit dem Menschen, also eine anthropologische Größe. Daher kann Theater auch eine Tradition vorweisen, die alle Nationen und Völker umgreift und bis in die Antike zurückreicht. Als fundamentale Kulturtechnik lässt sich Theater nicht einfach abschaffen. Politik und Gesellschaft müssen, umgekehrt, nach Möglichkeiten suchen, Theater zu fördern und weiterzuentwickeln.
Vor dieser Aufgabe steht die Stadt Konstanz. Es ist klar, dass angesichts knapper Haushaltsmittel alles auf den Prüfstand kommen muss, was nicht von essenziellem Wert ist. Doch Bildung – und Theater ist ein wichtiger Bildungsfaktor – gehört zu den essenziellen Aufgaben einer Gesellschaft, fördert sie doch Emanzipation, Kommunikation und Gemeinschaft – und damit Demokratie! Dabei dürfen essenzielle Institutionen nicht gegeneinander ausgespielt werden: so sind Theater und Sport – das eine eher für Geist und Seele, das andere für Gesundheit und Körper – wie zwei Seiten einer kulturtechnischen Medaille.
2. Theater gehört zur Gesellschaft wie Politik, Schulen und Wissenschaft
Investitionen für Erhalt und Ausbau des Theaters stehen in einer Reihe mit vielen anderen zur Förderung der Kultur und des gesellschaftlichen Miteinanders. Hier fällt oft der Hinweis auf Subventionierung. Es war Richard von Weizsäcker, der den Begriff der Subvention vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Er markierte es als einen Fehler, im Zusammenhang mit Theater überhaupt von Subventionen zu sprechen: „Der Begriff verführt unser Denken in die falsche Richtung. Mit Subventionen sollen ein Beruf oder eine Branche künstlich am Leben erhalten werden, die eigentlich lebensuntüchtig sind.“ Niemand käme auf die Idee, so Weizsäcker, die Haushaltsmittel für „Schulbetrieb, Parkplätze, Bürgermeister“ Subventionen zu nennen. Daher verwischt die Rede von der Bezuschussung von Theaterplätzen die Diskussion. Denn bei dem staatlichen Zuschuss geht es um die Finanzierung von Sach- und Personalmitteln wie überall auch: von Stellen für Technik und Schauspiel, von Gebäuden und Betriebskosten. Soll man, ganz analog, die Bezuschussung von Wissenschaft und Forschung auf diejenigen herunterrechnen, die etwas davon haben – zum Beispiel die Alzheimer-Forschung auf die Alzheimer-Patienten? Solche Rechnungen zum tatsächlichen oder vermeintlichen Nutzen sind nicht geeignet, der Diskussion um die Finanzierung des Theaters eine positive Richtung zu geben.
3. Theater muss immer vorangehen
Theater, das gut oder sogar herausragend sein will, muss ästhetische, kulturelle und politische Experimente wagen – was immer auch heißt: sich gegen den Mainstream stellen. Kleist und Büchner wurden erst Jahrzehnte später gespielt und verstanden. Brechts episches Theater wurde gefeiert – aber nur von der Avantgarde oder von der Nachwelt. Das bedeutet: Theater muss in die Lage versetzt werden, auch und gerade das auf die Bühne zu bringen, was einem Teil des Publikums nicht unbedingt schmeckt. „Einschaltquoten“ dürfen nicht alleiniger Maßstab für das Theater und seine Finanzierung sein. Denn Theater ist Kunst – und Rentabilität oder Gewinn sind keine entscheidenden Kriterien von Kunst. Gleichzeitig hat Theater die wichtige Aufgabe, gerade die Klassiker des Welttheaters und deren Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Menschseins und der Gesellschaft immer wieder neu zu interpretieren.
4. Theater bewahrt Authentizität, Echtzeit und Präsenz
In der Mediengesellschaft, die durch Digitalisierung immer weiter angetrieben wird, ist Theater einer der wenigen Orte, die noch Begegnungen in Echtzeit ermöglichen. Es ist ein Ort, wo nichts vorherbestimmt ist, wo Unerwartetes passieren kann, wo wirklich lebende Personen agieren – und man den Ablauf nie wiederholen oder zurückspulen kann. Theater ist damit ein wichtiges Korrektiv jenes Lebens aus zweiter Hand, wie es die Digitalisierung bereithält und in das immer mehr Menschen, vor allem jüngere, hineingezogen werden.
Theater ist zugleich anspruchsvoll: Es fordert zum Mitdenken, Nach-denken und Umdenken auf, zu Deutung und Urteil, zur Rückbezüglichkeit auf das eigene Leben, zur Selbsterkenntnis. Theater soll weiterbilden, überraschen, bewegen und emotional berühren. Es wird immer gesellschaftliche Probleme aufbereiten, nie fertige Lösungen liefern. Friedrich Schillers Zusammenfassung ist bis heute gültig: Das Theater ist eine moralische, gesellschaftspolitische und ästhetische Anstalt, eine „Schule praktischer Weisheit“, ein „Instrument der Aufklärung“.
5. Das Theater Konstanz und das Junge Theater Konstanz (JTK) sind unverzichtbar
Das Theater Konstanz ist ein Ort der Begegnung und Diskussion, der kulturellen und sozialen Bildung, der Vision und Fantasie. Eingebunden in die Stadtgesellschaft ist das Konstanzer Theater nicht nur durch seine vielfältigen Formate, sondern auch durch die neue Form des „Stadtensembles“, das 2020 gegründet wurde und mit Horváths „Hin und Her“ sein erstes Projekt erfolgreich verwirklichte. In der Spielzeit 2021/22 war es Teil des Ensembles von „Nosferatu“, 2022/23 war es die Uraufführung „(Keine) Panik auf der Titanic“. Wie das Theater in die Stadtgesellschaft hineinwirkt, zeigt sich auch an dem Projekt „Theater hinter Gittern“, das durch die Baden-Württemberg Stiftung gefördert wird, und an niederschwelligen Formaten wie Lesungen für die Ukraine und zu aktuellen Themen, z.B. beim Festival „Let’s ally“.
Durch das JTK setzt das Konstanzer Theater bewusst einen Schwerpunkt in der Vermittlung von Bildung und in der Jugendarbeit. Das JTK führt junge Menschen zusammen und fördert ihre Aktivität und Kreativität. Sie werden ermutigt, sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen und eine eigene Haltung zu entwickeln. Das JTK stützt sich auf drei Säulen: Es bietet professionelles Theater für ein junges Publikum; es hat Mitmach-Clubs ins Leben gerufen, in denen Kinder und Jugendliche sich mit eigenen Stücken und Formaten ausprobieren können; und das JTK ermöglicht den Zugang zu Kultur auch bei den Kindern, die diesen Zugang sonst nicht hätten. Theaterspielen fördert die Persönlichkeitsentwicklung, das Selbstbewusstsein, die Auseinandersetzung mit Werten, die Sprachentwicklung, aber auch das Bewusstsein für den eigenen Körper und dessen Ausdrucksmöglichkeiten – und es holt Kinder und Jugendliche aus der Macht des Digitalen immer wieder heraus. Mithilfe der Theaterpädagogik werden kognitive, soziale, kommunikative und emotionale Kompetenzen spielerisch gefördert. Fünfzehn Schulen und zwei Kindergärten haben derzeit eine Kooperation mit dem Theater, das sind ins gesamt 8166 Kinder und Jugendliche. Zur Kooperation gehört auch ein theaterpädagogisches Begleitprogramm. Mobile Produktionen können in Schulklassen gezeigt werden. In der Summe bedeutet das kulturelle Bildung, Anregung der Fantasie, Eröffnung von Denkräumen und gemeinsame Erlebnisse. Jüngste Entwicklung ist die Gründung eines Jugendbeirats für das Theater, um den Wünschen und Forderungen junger Menschen an das Theater Gehör zu verschaffen. Durch Kooperationen mit der Universität und der HTWG wurden spezielle Angebote für und mit Studierenden entwickelt, wie z.B. das Kulturticket, das Studierenden ein kostenloses Ticket ermöglicht. Seit seiner Einführung 2015 wurden über 17.500 Kulturtickets vergeben. Alles in allem leistet das Theater Konstanz einen Beitrag zur politischen und ästhetischen Bildung im Allgemeinen sowie zu Jugend- und Sozialarbeit.
6. Konstanz profitiert vom Theater als Standortfaktor – und das muss so bleiben!
Jedes Theater ist ein Wirtschaftsfaktor – und ein Faktor für das Ansehen einer Stadt! Das gilt auch und gerade für Konstanz: Das Theater Konstanz ist ein Magnet und Standortvorteil, der das Ansehen der Stadt hebt und mit überregionaler Bedeutung ausstattet. Bei der Anwerbung von hochqualifizierten Arbeitskräften – wie zum Beispiel beim größten Arbeitgeber von Konstanz, der Universität – ist das Kulturangebot neben bezahlbarem Wohnraum und der Kinderbetreuung heutzutage ein gewichtiges Plus. Publikum aus der ganzen Region, aber auch Touristen sind eine finanziell nicht zu vernachlässigende Einnahmequelle. Das Konstanzer Theater bietet hierfür ein breites Portfolio an Inszenierungen und Formaten, das klassische und moderne Stücke umfasst und auch ästhetische Experimente wagt.
Konstanz, September 2023
Johannes Schacht, Vorsitzender Theaterfreunde Konstanz e.V.
Josef Bieri, Präsident Internationaler Bodenseeclub e.V.
Paula Trepulka, Präsidentin des IBC Regionalclub Westlicher Bodensee e.V.
Gernot Mahlbacher, Vorsitzender Volksbühne e.V.
Schreiben Sie einen Kommentar