
An diesem Wochenende gibt es in unserer Konzilstadt ein kleines, aber feines Festival mit Neuer Musik und Verwandtem aus den letzten 100 Jahren. Hochkarätige Musiker*innen, etwa vom Ensemble Modern, unternehmen einen musikalischen Streifzug durch die klassische und zeitgenössische Moderne und deren Grenzgebiete.
Erwin Schulhoff (1894-1942) war lange ein komplett vergessener Komponist, ehe er in den letzten Jahrzehnten zumindest teilweise wiederentdeckt wurde. Wesentlich zu seiner heutigen Beliebtheit haben seine zeittypisch jazzigen Kompositionen beigetragen, die bei einem breiteren Publikum späten Anklang fanden, sowie die „Wiederentdeckung“ vom Nationalsozialismus ermordeter Künstler*innen, zu denen er wie auch seine tschechischen Landsleute Pavel Haas oder Hans Krása zählt.
Schulhoffs Talent zeigte sich schon früh, und so wurde er schon als Knabe von Dvořák und Reger gefördert. Bald nach dem I. Weltkrieg kehrte er aus Berlin in seine Heimatstadt Prag zurück. Er war ein in der Wolle gefärbter Avantgardist, der als Pianist von Wiener Schule bis Vierteltonmusik und Dada nichts verschmähte und sich als Komponist zielsicher neben alle Stühle setzte. „Ich habe“, so schrieb er 1923, „nie für meine Zeitgenossen gespielt und nie für sie geschrieben, sondern immer nur gegen sie!“ Das beweisen allein schon Werktitel wie „Die Wolkenpumpe – Ernste Gesänge nach Worten des Heiligen Geistes“ mit Text von Hans Arp und seine zweiminütige Symphonia Germanica von 1919, eine extrem bösartige Parodie des Deutschlandliedes. Deutlicher lässt sich die Ablehnung aller musikalischen Konvention nicht formulieren, die Schulhoff mit einigen seiner komponierenden Zeitgenossen teilte.
Wie etliche andere auch wurde Schulhoff, der oft erfolgreich im Rundfunk konzertierte, um 1930 herum musikalisch wesentlich gemäßigter. Das war kein Wunder, denn er stand seit dieser Zeit dem Kommunismus nahe und vertonte 1932 als op. 82 das Kommunistische Manifest (eine Aufnahme findet sich hier) und orientierte sich künstlerisch am Sozialistischen Realismus, der sich klar von der avantgardistischen Tonsprache abwandte. Als „entarteter“ Komponist, als Kommunist und als Jude gleichermaßen bedroht, versuchte er, in die Sowjetunion zu emigrieren, was aber 1941 knapp am deutschen Überfall auf die UdSSR scheiterte. Schulhoff wurde aus Prag deportiert und starb 1942 auf der Wülzburg bei Weißenburg in Bayern.
Am Samstagabend steht Schulhoffs (nicht sehr avantgardistisches) Duo für Violine und Violoncello neben etlichen anderen Werken der Moderne auf dem Programm des Eröffnungskonzertes des Festivals „Tonkunst Konstanz“. An diesem Abend sind außerdem Volker David Kirchners (1942-2020) „Tre Poemi für Horn und Klavier“, Friedrich Goldmanns (1941-2009) „Trio für Violine, Horn und Klavier“ sowie John Cages epochemachender „Atlas Eclipticalis“ zu hören, ein experimentelles Werk, das die Positionen der Sterne auf Notensysteme überträgt.
Die anderen der insgesamt fünf Konzerte spiegeln die Spannbreite der Veranstalter wider, die sich für dieses Festival zusammengetan haben und ein entsprechend breites Spektrum an oft experimenteller Kunst und Musik auf die Bühne bringen.
Programm
Ausführliches Programm als PDF-Datei.
Ensemble Modern – Kammermusik und John Cage
Samstag, 29. März, 18.00 Uhr (1. Teil), 19.15 Uhr (2. Teil)
Jazzclub Konstanz – Quindecim
Samstag, 29. März, 20.30 Uhr
Musikschule Konstanz – Terry Riley „In C“
Sonntag, 30. März, 11.00 Uhr
HighNoon Musik 2000+ – Explorative Klänge
Sonntag, 30. März, 12.00 Uhr
Active Installation
Samstag, 29. März, 17:45 Uhr | 19:00 Uhr | 20:15 Uhr
Sonntag, 30. März, | 11:45 Uhr
Veranstaltungsort: Kulturbühne geistreich, Brückengasse 1b, 78462 Konstanz [St. Johann]
Tagesticket Samstag 29. März: 28 EUR /20 EUR ermäßigt
Tagesticket Sonntag 30. März: 20 EUR /15 EUR ermäßigt
Festivalticket ganzes Wochenende: 40 EUR / 30 EUR ermäßigt
Text: Harald Borges, Bild: Ylanite Koppens from Pixabay
Quellen: Booklet zur CD Schulhoff, Concertos alla Jazz; Wikipedia
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