Sonja Mühlberger wurde 1939 in Shanghai als Tochter jüdischer Emigranten geboren. Ihre Eltern waren nur knapp den Nationalsozialisten entkommen und in die chinesische Hafenstadt geflüchtet, in die man damals visumfrei einreisen konnte. In einem Gastvortrag berichtet sie morgen live und online von ihren Erfahrungen.
Sonja Mühlbergers Vater Hermann Krips wurde von Frankfurt am Main nach dem Novemberpogrom ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Seiner Frau Ilse gelang es, Ausreisepapiere zu beschaffen und so die Freilassung ihres Mannes zu erwirken. Ende März 1939 bestiegen sie eines der letzten Flüchtlingsschiffe, im April 1939 kam das Ehepaar in Shanghai an.
Sonja Mühlberger wurde ein halbes Jahr später geboren. Sie wuchs im Shanghaier Ghetto auf, das damals unter japanischer Besatzung stand. Gemeinsam mit ihren Eltern und etwa 500 anderen Shanghaier Emigranten konnte sie 1947 wieder nach Deutschland zurückkehren. Sie fand damals in Ost-Berlin – im sowjetischen Sektor gelegen und später Teil der DDR – ihr Zuhause. Sie studierte Pädagogik und wurde Lehrerin.
1980 wurde sie freiberufliche Dozentin für Deutsch und Englisch. Als aktives Mitglied eines Initiativkreises ehemaliger Shanghai-Flüchtlinge ist sie weltweit eine gefragte Ansprechpartnerin für alle, die sich für China und das Exil in Shanghai interessieren. Sie publizierte mehrere Bücher und Texte und engagiert sich als Zeitzeugin. Sie ist eine der bekanntesten jüdischen Emigranten, die den Holocaust in Shanghai überlebten. Sie engagierte sich auch bei einem Gedenkprojekt des „Shanghai Jewish Refugees Museum“. Dort wurde im September 2014 eine mehr als 30 m lange kupferne Gedenkwand mit den Namen von 13.732 Juden enthüllt, die während des Zweiten Weltkriegs in Shanghai Zuflucht gefunden hatten. Viele dieser Namen wurden einer Liste entnommen, die Mühlberger in ihrem Buch „Exil Shanghai, Jüdisches Leben in der Emigration 1938–1947“, veröffentlicht hatte.
Shanghaier Ghetto
Fast 20.000 Menschen, die meisten davon jüdisch, suchten Zuflucht in Shanghai. Unter japanischer Besatzung aber setzte sich die Diskriminierung in den 1940er Jahren fort. Unter dem zunehmenden Druck der Nazis, beschloss Japan 1942, als politisches Zugeständnis, die zwangsweise Zusammenlegung der eingewanderten Juden in einen „ausgewiesenen Bezirk für staatenlose Flüchtlinge“, dem Shanghaier Ghetto. Obwohl alle Bewohner diesen Bezirk „Shanghaier Ghetto“ nannten – je nach Herkunftsland auch „Klein-Berlin“ oder „Klein-Wien“ – bedeutete der Begriff Ghetto in diesem Falle nicht die Vorstufe zur Judenvernichtung, sondern man wollte die Juden „besser unter Kontrolle halten“.
Nach und nach wurden die wohlhabenden Juden enteignet. Weil es keine Mauern oder Stacheldraht gab, wurden Identitätskarten mit gelben Streifen ausgegeben. Die Grenzen bildeten Tafeln mit dem Hinweis: „Staatenlosen Flüchtlingen ist der Durchgang ohne Erlaubnis verboten“. Als spezielle Wache diente die aus jüdischen Emigranten gebildete Hilfspolizei. Ab Anfang 1943 verlangten die Japaner, dass alle Juden, die nach 1937 eingetroffen waren, ihre Wohnungen und Geschäfte in den „ausgewiesenen Bezirk“ verlegen mussten.
Die große Zahl der Flüchtlinge traf die japanischen Behörden unvorbereitet, daher trafen die Ankommenden auf desaströse Lebensbedingungen: An die zehn Menschen mussten in einem Raum leben, begleitet von ständigem Hungerleiden und katastrophalen hygienischen Verhältnissen – Seuchen waren die Folge. Es gab kaum Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Japanische Soldaten bewachten die Zugänge. Auf einen Passierschein musste man stundenlang warten.
Wann: Mittwoch, den 19. Juni 2024, ab 19:15 Uhr
Wo: Raum M002 an der Hochschule Konstanz Technik Wirtschaft und Gestaltung, Alfred-Wachtel-Straße 8, 78467 Konstanz
Wieviel: Ohne Anmeldung, Eintritt frei
Online: China-Kompetenzzentrum Bodensee
Link: Den Link zur Veranstaltung finden Sie hier. Meeting Nummer: 27832471842, Passwort: chinazentrum
Text: MM/red./wf, unter Verwendung von Informationen aus Wikipedia, Bild von Torpong Tankamhaeng auf Pixabay
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