Die EU-weiten Regeln zu internationalen Lieferketten müssen nur noch formal im EU-Rat beschlossen werden. Kurz vor knapp legt sich die FDP allerdings quer. Das freut Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Hier dazu die Hintergründe.
Es brauchte harte Verhandlungen, bis Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor drei Jahren die Union in der Großen Koalition so weit hatte, dem Lieferkettengesetz zuzustimmen. Gegen den erbitterten Widerstand des Wirtschaftsflügels von CDU und CSU war im Mai 2021 beschlossen worden, deutsche Firmen zu verpflichten, sich um die Einhaltung der Menschenrechte in ausländischen Zulieferfabriken zu kümmern – bußgeldbewehrt und im Extremfall sogar einklagbar. Seit 2023 hat das Gesetz Gültigkeit, zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, seit 1. Januar dieses Jahres für alle mit mehr als tausend. Die Wettbewerbsverzerrung gegenüber europäischen Mitbewerber:innen wurde bejammert in Verbänden und von Lobbyisten.
Dass die EU jetzt nachzieht und damit vor allem die deutschen Firmen, die sich bereits auf den Weg gegen Ausbeutung gemacht haben, damit sogar bessergestellt werden, ist den Kritiker:innen aber auch wieder nicht recht. Ganz im Gegenteil: Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), kann sich sogar ein ganz großes Reinemachen vorstellen. Das EU-Gesetz sei „realitätsfern“, behauptet er und gewährt einen interessanten Einblick ins Funktionieren hiesiger Geschäftsmodelle: Mehr Kontrollpflichten „würden Unternehmen komplett überfordern“. Es entstünden unkalkulierbare Haftungsrisiken, „so dass viele Unternehmen ihr Geschäft auf risikobehafteten Auslandsmärkten einstellen müssten“. Und wenn die Brüsseler Vorgaben erst einmal vom Tisch sind, müsse auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz „schnellstmöglich auf den Prüfstand“ gestellt werden.
Engagement wird bestraft
Eigentlich müssten die einschlägigen Verbände Sturm laufen gegen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), gegen liberale Landtagsabgeordnete, gegen Teile der CDU und gegen Hoffmeister-Kraut. Denn deren harsche Ablehnung gesetzlicher Regeln bedeutet nichts anderes, als dass sie der heimischen Wirtschaft nicht zutrauen, verantwortungsvoll zu handeln und zugleich konkurrenzfähig zu sein. Vor allem stellen sich alle Gegner:innen offen gegen diejenigen, die bereits Vorleistungen erbracht haben und sich freiwillig um Transparenz, Geschlechtergerechtigkeit, existenzsichernde Löhne und die Einhaltung der Pariser Klimaziele bei ihren Lieferant:innen kümmern. Wie zum Beispiel Vaude in Tettnang. Das Engagement bringe tatsächlich höhere Kosten und Wettbewerbsnachteile mit sich gegenüber denen, „die ihrer Verantwortung nicht nachkommen“, sagt Vaude-Chefin Antje von Dewitz. Gerade deshalb seien gesetzliche Regelungen so wichtig.
Hoffmeister-Kraut könnte den erfolgreichen Outdoor-Ausrüster abtun als zu weit weg von ihrem Mittelstandsverständnis, als ohnehin speziell mit dem vielfältigen Engagement für Nachhaltigkeit – von der Ökostrom-Versorgung schon seit 15 Jahren über die Integration von Flüchtlingen in die eigene Belegschaft bis hin zur veganen Kantine. Ein anderer, ein Großer der besonders betroffenen Textilbranche, ist allerdings ganz und gar unverdächtig allzu grüner Visionen. Wolfgang Grupp, der Patriarch von Burladingen, hatte eben erst Besuch von der Ministerin.
Sie hätte sich informieren können, wie wichtig Lieferketten-Transparenz und Mitverantwortung sind. „Freiwillig gleich tatenlos“, schreibt das Trigema-Team schon 2021 im hauseigenen Magazin in einem Plädoyer für gesetzliche Regelungen, um „die Einhaltung der Menschenrechte unter strengen Bedingungen zu gewährleisten“. Und weiter: „Wir wissen jedoch, dass wir zu den geringen 13 bis 17 Prozent gehören, die sich freiwillig an soziale und ökologische Standards halten, nicht nur aus moralischer Überzeugung, sondern auch aus Liebe zur Umwelt.“
Die Bizerba-Gesellschafterin und Mutter von drei Kindern, die viel hält auf ihre Nähe und ihr Verständnis für die heimische Wirtschaft, hätte sich gerade nach ihrem Besuch gut auf Grupps Seite schlagen können. Stattdessen entscheidet sich Hoffmeister-Kraut für die Gegenposition und verlangt in Interviews eine „Atempause für die Wirtschaft“. Davon können die nach Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 97 Millionen Jungen und 63 Millionen Mädchen, die weltweit Zwangsarbeiten verrichten – etwa die Hälfte jünger als 13 – nur träumen.
Kleine und mittlere Firmen sind nicht betroffen
Dazu bedienen Teile der Union, liberale Landtagsabgeordnete sowie die üblichen Verdächtigen vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) über Gesamtmetall bis zur Stiftung Familienunternehmen alle Vorurteile, die durch die digitale und reale Welt geistern. In einem gemeinsamen Schreiben der Lobby:istinnen verlangen sie, „die Nachhaltigkeit in der Lieferkette insgesamt neu denken“, als gäbe es Spielräume im Umgang mit Kinderzwangsarbeit. Sie scheuen sich ebenfalls nicht, die bisherigen Praktiken in reichlich schräges Licht zu rücken: Gerade mittelständische Unternehmen würden „endgültig überlastet, ihnen teils Unmögliches abverlangt“. Das bringe „kleine und mittlere Unternehmen an den Rand der Verzweiflung“, weiß auch „Die Welt“ ganz genau.
Was tut es da schon zur Sache, dass die gar nicht betroffen sind. Die europaweiten Neuregelungen greifen überhaupt erst ab 250 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von 20 Millionen Euro in „Hochrisikosektoren“, etwa der Textil-, der Leder- und der Nahrungsmittelindustrie, der Land- und Forstwirtschaft oder in der Gewinnung von Rohstoffen. Darüber hinaus auch für Firmen mit mindestens 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Umsatz. Nach der Definition des Statistischen Bundesamts haben kleine und mittlere Unternehmen aber nie mehr als 249 Mitarbeitende.
Ein anderer Einwand ist weniger einfach von der Hand zu weisen. Hoffmeister-Kraut spricht von bis zu 1.200 Schnittstellen, die eine Produktion kaum nachverfolgbar machen. Untersucht ist – beispielsweise nach der Katastrophe von Savar in Bangladesch 2014 mit 1.100 Toten –, wer sich, immer auf der Jagd nach dem Optimum an Kosteneinsparungen, um europäische Klamotten bemühen muss. In der eingestürzten Textilfabrik ließen laut Amnesty International Modefirmen wie Primark, Mango, KiK oder C&A produzieren. An den Produkten sind bis zu 140 Unternehmen beteiligt, ihre Produktionspalette reicht vom Baumwollanbau bis zur Etikettenfertigung, von den Knöpfen bis zum Garn.
Hier kommt wieder Wolfgang Grupp ins Spiel mit seinem Werben dafür, alles in Deutschland machen zu lassen. Da habe man eben „alles unter Kontrolle“, sagt er in einem Gespräch mit der „Wirtschaftswoche“. Denn: „Deutschland hat viele Vorteile. Man ist viel flexibler, wenn man in Deutschland produziert, wir können innerhalb von 24 Stunden Kleidungsstücke in einer neuen Farbe produzieren, und ich kann den Kunden ihre Produkte innerhalb von zwei bis vier Wochen liefern.“ Wer im Ausland produziere, brauche dafür Monate.
Noch eine konkrete Erfahrung hätte Hoffmeister-Kraut machen und umsetzen können zum Wohle heimischer Produzent:innen – und der Menschen vor Ort. Bei einer Reise des Wirtschaftsausschusses des Landtags im vergangenen Sommer nach Südafrika stand auch der Besuch von Weingütern auf dem Programm. Winzer:innen in Württemberg oder Baden sind nicht nur hart betroffen vom Klimawandel, sondern auch von der Billigkonkurrenz, also von zusammengeschütteten, in Container verschifften Weinen aus Ländern, in denen die Zustände auf Traubenfarmen inakzeptabel sind. Sich nicht nur mit edlen Tropfen, sondern auch mit den dunklen Seiten zu befassen, hätte den Gästen aus Baden-Württemberg gut zu Gesicht gestanden. Zumal in jenem Sommer der „Stern“ ausführlich über die arbeitnehmerfeindlichen Praktiken auf südafrikanischen Weingütern berichtete. An Wissen fehlt es also nicht.
„Wir halten es für selbstverständlich, dass für Gesetzesverstöße Strafen verhängt werden“, schreibt übrigens das Trigema-Team, nicht nur, aber auch für die Textilbranche. Und weiter: „Leider hat die Ausbeutung von Mensch und Umwelt in Fernost dazu geführt, dass sich die Menschen hierzulande an Schleuderpreise gewöhnt haben.“ Wirtschaftspolitiker:innen aller demokratischen Parteien hätten ein reiches Betätigungsfeld, genau dagegen anzukämpfen, statt Ausbeuter:innen nach dem Munde zu reden.
Text: Johanna Henkel-Waidhofer. Der Beitrag erschien zuerst auf: www.kontextwochenzeitung.de
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