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Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (61)

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Der lautstarke Umweltaktivist

„Hört irgendjemand zu?“, fragte er empört in einem Artikel in der Sunday Times. Hunderttausende Tonnen Öl liefen aus schlecht gewarteten Leitungen über die Äcker der Ogoni, einer im Nigerdelta lebenden Volksgruppe; krebserregende Schwermetalle zerstörten deren Lebensgrundlage, verseuchten das Grundwasser, das Essen, die Lungen. Wenn die Ölfördergesetze nicht geändert und die Interessen der BewohnerInnen nicht berücksichtigt würden, mahnte er, lasse sich die Katastrophe nicht verhindern. Doch niemand hörte. Die verantwortlichen Politiker schaufelten weiter Millionen Petro-Dollars in ihre Taschen, und die westlichen Mineralölkonzerne wuschen, während sie heimlich Polizei und Armee alimentierten, ihre Hände in Unschuld. 1993 landete der „Aufwiegler“ das erste Mal im Gefängnis.

Der spätere Vorsitzende der nationalen Schriftstellervereinigung war 1941 im Süden Nigerias zur Welt gekommen. Als die britische Kolonie 1960 unabhängig wurde, stand er am Anfang einer literarischen Laufbahn. Aus einer angesehenen Ogoni-Familie stammend, studierte er in Ibadan Englisch. Den Ausbruch des Biafrakriegs 1967 erlebte er als Universitätsdozent für Afrikanische Literatur in Nsukka. Damals verwarf er seinen Plan, in den USA Theaterwissenschaften zu studieren, und schlug sich in dem Sezessionskrieg auf die Seite der Regierung. Diese setzte ihn umgehend als Zivilverwalter der gerade zurückeroberten Stadt Bonny im Nigerdelta ein, die noch heute ein wichtiger Ölumschlagplatz ist.

Nach dem Bürgerkrieg arbeitete er als Bildungsbeauftragter für die Regionalregierung des neuen Bundesstaats Rivers, wo man ihn 1973 entließ, weil er sich für die Rechte der Ogoni einsetzte. Danach handelte er mit Lebensmitteln, verfasste fürs Fernsehen eine der beliebtesten Comedy-Serien Afrikas, veröffentlichte seinen Antikriegsroman „Sozaboy“ und mischte sich schließlich als Präsident der Mosop, der „Bewegung für das Überleben der Ogoni“, verstärkt in die Politik ein: Lautstark kämpfte er – auch vor der Uno – gegen die westlichen Mineralölkonzerne, für Demokratie und Minderheitenrechte, für Umweltschutz und Entschädigungszahlungen. Bis ihn Militärdiktator Sani Abacha zum zweiten Mal verhaftete und unter den Augen einer entsetzten Weltöffentlichkeit am 10. November 1995 hängen ließ.

Wer war der ein Meter fünfundfünfzig große, energiegeladene Aktivist, der beklagte, dass das Unrecht im Land umgehe „wie ein Tiger auf Beutejagd“, und der es als „die schlimmste Beleidigung“ empfand, „Hampelmännern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert zu sein“?

Text: Brigitte Matern

Auflösung des Rätsels

Diesmal fragten wir nach dem nigerianischen Bürgerrechtler, Umweltaktivisten und Schriftsteller Ken Saro-Wiwa (1941–1995). 1993 erstmals verhaftet, wurde er auf internationalen Druck hin wieder freigelassen. Als 1995 Sani Abacha hart blieb und Saro-Wiwa mit acht weiteren Mosop-Führern hinrichten ließ, wurde Nigeria vorübergehend aus dem Commonwealth ausgeschlossen. Saro-Wiwa erhielt 1994 den Alternativen Nobelpreis, 1995 den Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte und den Goldman Environmental Prize. Die TV-Comedy-Serie hieß „Basi & Company“.

Seit Ende der 1950er-Jahre haben über 1,5 Millionen Tonnen Rohöl das Nigerdelta verseucht. Derweil sind rund 600 Milliarden US-Dollar in die Kassen der Mineralölkonzerne und korrupter Politiker geflossen; für die Menschenrechtsvergehen und die Umweltschäden zeigte sich lange niemand verantwortlich. 2009 erklärte sich Shell, Europas größter Mineralölkonzern, außergerichtlich zu Abfindungszahlungen an einige Hinterbliebene der hingerichteten Mosop-Führer bereit; andere mussten weiter klagen (erfolglos).

Und auch auf Kompensationen für Umweltverschmutzungen mussten die Geschädigten jahrelang warten; zuletzt fand sich das Unternehmen im August 2021 bereit, für das verseuchte Nigerdelta eine Entschädigung in Höhe von rund 95 Millionen Euro zu zahlen. Im selben Jahr zwang ein niederländisches Gericht den Mineralölkonzern, bis 2030 die CO2-Emissionen zu halbieren. Und im September 2022 verbot ein südafrikanisches Gericht Shell, vor der Küste des Indischen Ozeans Öl- und Gasvorkommen zu erkunden. brm

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