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Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (59)

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Der sanftäugige Anarchist

„Ihr Kapitalisten, ihr habt Geld? (…) Ihr habt Maschinen, die leer stehen? Esst sie auf, tauscht sie untereinander, verkauft sie euch gegenseitig – macht, was ihr wollt! (…)  Denn Arbeit könnt ihr von uns nicht mehr bekommen. Die brauchen wir für uns selbst (…), wir verwenden sie für die Organisationen und Gemeinden des Sozialismus.“ Es blieb friedlich an jenem 18. August 1908, als der hagere Deutsche mit den sanften Augen im Berner Restaurant Biergarten sein Konzept des Sozialistischen Bundes vorstellte. Aus dem Kapitalismus austreten, statt ihn durch Reformen zu stabilisieren? Eigene Produktions- und Konsumgenossenschaften gründen?

Die Studenten und Arbeiterinnen hörten ihm zumindest zu. Anderntags jedoch, in der Zürcher «Eintracht», kochte der Saal. Die anwesenden Arbeiterführer waren empört, dass da einer statt Klassenkampf den friedlichen Ausstieg aus dem Kapitalismus propagierte. Es kam fast zur Schlägerei.

Der 1870 in Karlsruhe geborene Literatur- und Philosophiestudent war nicht unbekannt in Zürich. 1893 tagte dort der Arbeiterkongress der Zweiten Internationale, von der er mit seinen anarchistischen Genossen ausgeschlossen wurde. Laut deutschen Polizeiakten war er der „bedeutendste Agitator der radical-revolutionären Bewegung“. Es verwundert also nicht, dass ihn „mangels sittlicher Befähigung“ keine preußische Universität mehr aufnehmen wollte (und Preußen war groß im kaiserlichen Deutschland!). So schlug er sich als Vortragsreisender, Theaterkritiker, Übersetzer durch und gab die Zeitschrift „Der Sozialist“ heraus, in der er Kaiser und Sozialdemokratie attackierte. Zweimal saß er wegen Aufrufs zum Ungehorsam und Beleidigung im Gefängnis (wo er „einsame Wonnestunden“ verbrachte, da er endlich Zeit zum Schreiben hatte).

Mit dem Sozialistischen Bund – jenem freiheitlichen Zusammenschluss autonomer Betriebe, Gemeinden, Provinzen und Länder – wollte es jedoch nicht recht vorangehen. Und dann legte der Weltkrieg sein politisches Leben lahm. Bis im November 1918 Kurt Eisner, Ministerpräsident des revolutionären Freistaats Bayern, den begnadeten Redner zwecks „Umbildung der Seelen“ nach München holte. Drei Monate später war Eisner tot, ermordet, und auch er ahnte, was bevorstand. „Lässt man mir ein paar Wochen Zeit“, erklärte er, nunmehr Kultusminister der Räterepublik, „so hoffe ich einiges zu leisten, aber leicht möglich, dass es nur ein paar Tage sind.“

Wer war der Radikalpazifist, der am 2. Mai 1919 erschossen wurde, weil er den Menschen zeigen wollte, was ein „freudiges, schönes Leben“ ist?

Text: Brigitte Matern

Auflösung des Rätsels

Am vergangenen Freitag fragten wir nach dem Philosophen und Publizisten Gustav Landauer (1870–1919). Der Verfechter eines freiheitlichen, nichtautoritären Sozialismus war einer der wenigen, die 1914 der Kriegseuphorie nicht erlegen waren. Seine Hauptwerke sind „Die Revolution“ (1907) und „Aufruf zum Sozialismus“ (1911). Er übersetzte unter anderem Werke von Peter Kropotkin, Shakespeare und Oscar Wilde.

Nach Eisners Ermordung übernahm er in der am 7. April 1919 ausgerufenen Münchner Räterepublik das Kultusministerium. Zu seinen Reformerlassen gehörten die Schaffung einer Einheitsschule für alle SchülerInnen bis zum 13. Lebensjahr, Handwerksschulen für die praktische Ausbildung, Mittelschulen für die weiterführende geistige Ausbildung, die Abschaffung der Prügelstrafe, die Aufhebung des Zölibats für Lehrerinnen, die Wahl von SchulrätInnen, die Entwicklung eines neuen Hochschulprogramms und die Überprüfung des Lehrkörpers und der StudentInnen auf rechtsextremistische Aktivitäten.

Als Mitte April KPD-Funktionäre die Räteregierung kaperten, legte er alle Ämter nieder. Zwei Wochen später wurde er von rechtsradikalen Freikorpssoldaten ermordet. brm

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