Der bibelfeste Kommunarde
Der englische Oberbefehlshaber und spätere Alleinherrscher Oliver Cromwell bezeichnete sie als „verabscheuungswürdige Personen, die sich kaum von Tieren unterscheiden“. Er war nicht gut auf diese „gleichmacherischen“ Republikaner zu sprechen, obwohl sie ihm kurz zuvor – in der ersten bürgerlichen Revolution Europas – in die Steigbügel geholfen hatten. Ganz besonders gegen den Strich ging ihm dieser ehemalige Tuchhändler aus Wigan, denn der forderte nicht nur Teilhabe und Religionsfreiheit, sondern wollte auch gleich noch die Geldwirtschaft, den Handel und das Privateigentum abschaffen. Und als wäre das nicht genug, hatte er gerade eben mit seinen Getreuen brachliegendes Ackerland besetzt.
Dass der Querulant seine Vorstellungen von einem gerechten, egalitären Gesellschaftsmodell zudem noch schriftlich unters Volk brachte – allein auf die Bibel gegründet und in allgemeinverständlichem Englisch –, machte Cromwell und seine privilegierte Klientel zu Recht nervös. Bürgerkrieg, Missernten und die rücksichtslose Landnahme der reichen Kaufleute hatten ein Heer verarmter LandarbeiterInnen nach London getrieben. Würden sie alle gemeinsam auf eigenem Boden wirtschaften, wäre es schnell vorbei mit der Macht und Herrlichkeit: Wer würde dann noch Lohnarbeit leisten?
Über das Vorleben des unbequemen Vielschreibers – er verfasste in drei Jahren achtzehn Streitschriften und Traktate – ist heute nur wenig bekannt. 1609 im Nordwesten Englands geboren, hatte er als Kaufmannssohn vermutlich eine gute Schulausbildung genossen. Mit zwanzig trat er in London eine Tuchhändlerlehre an, eröffnete irgendwann ein Handelsgeschäft und ging 1643, mit einer Arzttochter verheiratet, in den Wirren des Bürgerkriegs pleite. Danach lebte er südlich von London auf einem Bauernhof der Schwiegerfamilie und fand beim Viehhüten Zeit, über die missachteten Worte der Bibel und das daraus resultierende soziale Elend nachzudenken.
Als er 1649 seine Erkenntnisse umsetzte und zur ersten gemeinschaftlichen Landnahme schritt, machte das in Südostengland und Wales Schule: Schnell entstanden weitere Landwirtschaftskommunen. Doch die Grundbesitzer antworteten brachial, ließen Hütten zerstören und Ernten vernichten. Nach zwei Jahren war die Bewegung am Ende. Der bibelfeste Gesellschaftskritiker schrieb noch sein politisches Testament, „Das Gesetz der Freiheit“, und zog sich dann nach London zurück, wo er 1676 starb.
Wer war der im 19. Jahrhundert wiederentdeckte Frühkommunist, der wollte, dass es kein „Dies ist mein und jenes ist dein“ mehr gibt und dass die Erde „die Schatzkammer aller“ ist?
Text: Brigitte Matern
Auflösung des Rätsels
Am vergangenen Freitag fragten wir nach dem englischen Politaktivisten Gerrard Winstanley (1609–1676). Die „gleichmacherischen“ Republikaner waren die von der Oberschicht als Levellers („Gleichmacher“) verspotteten radikalen Demokraten. Winstanley gehörte zu einer noch radikaleren Abspaltung, den True Levellers, also den wahren Levellers. Er war einer der neunzehn Männer, die nach der Oktoberrevolution 1917 auf dem Alexander-Garden-Obelisk in Moskau als „Denker und Wegbereiter der Arbeiterbefreiung“ aufgeführt wurden (2013 wich dieses Monument einem Denkmal für die Zarendynastie der Romanows).
Die Erinnerung an Winstanley und seine Digger (wie man die LandbesetzerInnen auch nannte) ist noch immer wach. In den USA entstanden Mitte der 1960er-Jahre etliche Digger-Kolonien, Anfang der Achtzigerjahre gelang der britischen Friedensbewegung nach einem „Digger Walk“ die Besetzung des Cruise-Missiles-Standorts Molesworth. Ab 1995 nutzte die englische Landrechtsbewegung The Land is Ours immer wieder St. George’s Hill für ihre Proteste, eben jenen Ort also, an dem einst Winstanleys erste Landkommune entstanden war. brm
Schreiben Sie einen Kommentar